Eine fast leere, nach vorn abfallende Bühne, ein Rutschparkett, auf dem es unweigerlich abwärts gehen muss; in der Mitte eine Art digitaler Marterpfahl, über den Buchstaben laufen können, Aktienkurse, Kommentare, Fachbegriffe (Ausstattung: Dietlind Konold). Auf der rechten Seite ein Tisch mit hübschen Käsehäppchen amerikanisch beflaggt. Ein aalglatter Anwalt tritt auf und warnt: Gleich wird eine Geschichte erzählt, zwar nicht ganz wahrheitsgemäß, aber das passe “irgendwie zum Abend”. Wir wissen, um welche Geschichte es sich handelt, der Titel des Stücks verrät’s: In “Enron” behandelt die knapp 30-jährige Dramatikerin Lucy Prebble die größte Firmenpleite Amerikas: den Niedergang des Enron-Konzerns im Jahr 2001, der fast 20.000 Menschen auf einen Schlag arbeitslos machte.
Prebble hat mit ihrem Stück einen Nerv getroffen. Die Bankenkrise steckt allen noch in den Knochen, das Vertrauen in die Wirtschaft ist längst nicht wieder hergestellt. Man hat geschockt bemerkt, dass der Markt unsicher ist durch Konzepte, die auf tönernen Füßen stehen. Wirklich begriffen hat der Laie das Prinzip noch nicht, doch die Angst vor Investitionen ist spürbar. Und dann kommt ausgerechnet eine junge Dramatikerin und erklärt anhand des Enron-Konzerns, wie die Zahlen-Jonglage den Wirtschafts-Experten entgleitet. Dass eine Scheinfirma mit nur drei Prozent Einlage gegründet werden kann, sämtliche Schulden der Mutterfirma tilgt, eine weitere Scheinfirma der Scheinfirma wiederum deren Schulden und so weiter und so fort. Ein “perpetuum mobile” der Schuldentilgung ohne Geld.
Jeffrey Skilling (Nicki von Tempelhoff) ist ein “Ideenkraftwerk”. Er ist nicht besonders hip, nicht rank und schlank, und seine Nase ziert ein Kassengestell. Dennoch vögelt er ungeniert das liebste Stück des CEO auf dem Häppchentisch, Claudia Roe (Marlène Meyer-Dunker). Die ist ihm haushoch überlegen, so scheint’s, karrieregeil, kühl und sexy. Dennoch: Den Job des Vorstandsvorsitzenden staubt letztlich er ab, nicht sie (was beim Niedergang der Firma ihr Glück sein wird). In Jeffrey Skillings sehen wir die Geschichte eines Emporkömmlings, des Fleisch gewordenen “American Dream”, der sich im Fitnessstudio den Astralkörper antrainiert und auf offener Bühne in den Maßanzug gesteckt wird.
Was Jeff vor den Analysten verkauft: In erster Linie sich. Auf den zweiten Blick Konzepte, Gedanken und die Überzeugung, dass Gewinnmaximierung das Heilsversrechen bedeutet. Das Mark-to-market-Prinzip läuft als digitaler Schriftzug über die Säule, und man versteht: Eine Idee kann bereits bares Geld wert sein, bevor sie überhaupt Ertrag gebracht hat. Anders formuliert: Man kann den Wein trinken, ohne dass die Rebe geerntet wurde. Das bedeutet steigende Aktienkurse und die wiederum Kapital. In Schwindel erregende Höhen klettert die Enron-Aktie, die Angestellten werden mit Anleihen bezahlt, man vertraut der Geschäftsführung blind. Und Jeff findet den Mann für solche Zahlen-Spielereien in Andrew Fastow, einem Buchhalter mit Näschen für Schlupflöcher und Liebe zur rechtlichen Grauzone (Martin Semmelrogge). Den macht er zum Chief Financial Officer der Firma, weil der ihm das Scheinfirmenprinzip und somit die Zahlen liefert, die Jeff benötigt, um seine Bilanzen zu polieren.
Was sich trocken anhört, nimmt auf der Bühne erstaunlich Gestalt an. Wir verfolgen einen Krimi, sehen erfolgreiche Frauen im Kostüm und Männer voll Testosteron. Elegant gelöst beispielsweise eine Art Brokerballett: Die gesamte Personnage mit Sonnenbrillen auf der Börsen-Bühne, die Blicke auf Monitore gerichtet, auf denen Zahlenkolonnen laufen, unaufhörlich die Aktienkurse. Jeweils einen Hörer an jedem Ohr, “Kaufen!”, “Verkaufen!” wird da in die Muscheln gebrüllt, während bestrumpfte Beine in High Heels über die Telefonkabel klettern. Das ist sehr Neunziger, sehr reell und lebendig, man spürt die Aufgeregtheit, die Euphorie und den Kick. Die Szene wird sich zum Ende des Stückes wiederholen, wenn die Enron-Aktien fallen, die Stimmung in den Keller sinkt und man versucht, noch loszuwerden, was möglich ist. Das ist saubere Arbeit, da sitzt jeder Schritt und jedes gebrüllte Wort.
Und dennoch: Der Abend entgleitet, vor allem nach der Pause. Ein paar Striche hätten der Vorlage wohl gut getan, denn der zweite Teil wirkt ein bisschen so, als hätte man keine rechte Lust mehr gehabt zu Ende zu proben. Aber das Hauptproblem liegt in der Ästhetik begründet. Prebble will in ihrem Stück Surreales, das Gegenteil von Realismus, die Antithese des Dokumentartheaters (liest man zumindest im Programmheft): Sie lässt beispielsweise “Raptoren” auftreten, eine Art urzeitlicher Schuldenfresser, die nur von Zahlendompteur Fastow mit der Lederpeitsche in Zaum gehalten werden. Dass diese von Schauspielern mit Dinoköpfen dargestellt werden, ist nahezu der einzige Bruch zum sonst psychorealistischen Spiel des Ensembles. Es gibt keine Überhöhung, kein Kippen in die Groteske, keine Phantasmagorie, die das Alptraumhafte vorher ankündigt oder später aufgreift. Somit wirken die Phantasiegestalten schlicht unmotiviert und bleiben unverständlich.
Ein zaghaftes “Buh” ist zu hören, als das Leitungsteam zum Applaus auftritt (Regie: Ralph Bridle). So richtig sicher ist man sich wohl nicht, ob man das nun darf, wo doch ein eigentlich trockenes Thema spannend und beizeiten sehr unterhaltsam auf die Bühne gebracht wurde. Doch gehört dazu mehr als ein spielwütiges Ensemble und eine 1:1‑Übertragung des Textes. “Shame on me” läuft von oben nach unten über die Leiste, als Fastow sein Schuldgeständnis macht (und letztlich die niedrigste Strafe bekommt, obwohl das Konzept zur Pleite von ihm stammt). Hilary Clinton filmt ihn dabei und lächelt Präsidentengatinnen-mäßig. Keiner versteht, warum ausgerechnet sie jetzt die Kamera halten darf. Ich am allerwenigsten. Shame on me eben.
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