Es geht bergab

Lucy Prebbles Wirtschaftskrimi "Enron" an den Hamburger Kammerspielen

Nach der Party ist vor der Party (Bild: hhf)

Eine fast leere, nach vorn abfal­l­ende Bühne, ein Rutsch­par­kett, auf dem es unweiger­lich abwärts gehen muss; in der Mitte eine Art dig­i­taler Marterp­fahl, über den Buch­staben laufen kön­nen, Aktienkurse, Kom­mentare, Fach­be­griffe (Ausstat­tung: Dietlind Konold). Auf der recht­en Seite ein Tisch mit hüb­schen Käse­häp­pchen amerikanisch beflag­gt. Ein aal­glat­ter Anwalt tritt auf und warnt: Gle­ich wird eine Geschichte erzählt, zwar nicht ganz wahrheits­gemäß, aber das passe “irgend­wie zum Abend”.  Wir wis­sen, um welche Geschichte es sich han­delt, der Titel des Stücks verrät’s: In “Enron” behan­delt die knapp 30-jährige Dra­matik­erin Lucy Preb­ble die größte Fir­men­pleite Amerikas: den Nieder­gang des Enron-Konz­erns im Jahr 2001, der fast 20.000 Men­schen auf einen Schlag arbeit­s­los machte.

Preb­ble hat mit ihrem Stück einen Nerv getrof­fen. Die Bankenkrise steckt allen noch in den Knochen, das Ver­trauen in die Wirtschaft ist längst nicht wieder hergestellt. Man hat geschockt bemerkt, dass der Markt unsich­er ist durch Konzepte, die auf tön­er­nen Füßen ste­hen. Wirk­lich begrif­f­en hat der Laie das Prinzip noch nicht, doch die Angst vor Investi­tio­nen ist spür­bar. Und dann kommt aus­gerech­net eine junge Dra­matik­erin und erk­lärt anhand des Enron-Konz­erns, wie die Zahlen-Jonglage den Wirtschafts-Experten ent­gleit­et. Dass eine Sche­in­fir­ma mit nur drei Prozent Ein­lage gegrün­det wer­den kann, sämtliche Schulden der Mut­ter­fir­ma tilgt, eine weit­ere Sche­in­fir­ma der Sche­in­fir­ma wiederum deren Schulden und so weit­er und so fort. Ein “per­petu­um mobile” der Schulden­til­gung ohne Geld.

Jef­frey Skilling (Nic­ki von Tem­pel­hoff) ist ein “Ideenkraftwerk”. Er ist nicht beson­ders hip, nicht rank und schlank, und seine Nase ziert ein Kas­sen­gestell.  Den­noch vögelt er unge­niert das lieb­ste Stück des CEO auf dem Häp­pchen­tisch, Clau­dia Roe (Mar­lène Mey­er-Dunker). Die ist ihm haushoch über­legen, so scheint’s, kar­ri­eregeil, kühl und sexy. Den­noch: Den Job des Vor­standsvor­sitzen­den staubt let­ztlich er ab, nicht sie (was beim Nieder­gang der Fir­ma ihr Glück sein wird). In Jef­frey Skillings sehen wir die Geschichte eines Emporkömm­lings, des Fleisch gewor­de­nen “Amer­i­can Dream”, der sich im Fit­nessstu­dio den Astralkör­p­er antrainiert und auf offen­er Bühne in den Maßanzug gesteckt wird.

Was Jeff vor den Ana­lysten verkauft: In erster Lin­ie sich. Auf den zweit­en Blick Konzepte, Gedanken und die Überzeu­gung, dass Gewin­n­max­imierung das Heilsver­srechen bedeutet. Das Mark-to-mar­ket-Prinzip läuft als dig­i­taler Schriftzug über die Säule, und man ver­ste­ht: Eine Idee kann bere­its bares Geld wert sein, bevor sie über­haupt Ertrag gebracht hat. Anders for­muliert: Man kann den Wein trinken, ohne dass die Rebe geern­tet wurde. Das bedeutet steigende Aktienkurse und die wiederum Kap­i­tal. In Schwindel erre­gende Höhen klet­tert die Enron-Aktie, die Angestell­ten wer­den mit Anlei­hen bezahlt, man ver­traut der Geschäfts­führung blind. Und Jeff find­et den Mann für solche Zahlen-Spiel­ereien in Andrew Fas­tow, einem Buch­hal­ter mit Näschen für Schlupflöch­er und Liebe zur rechtlichen Grau­zone (Mar­tin Sem­mel­rogge). Den macht er zum Chief Finan­cial Offi­cer der Fir­ma, weil der ihm das Sche­in­fir­men­prinzip und somit die Zahlen liefert, die Jeff benötigt, um seine Bilanzen zu polieren.

Was sich trock­en anhört, nimmt auf der Bühne erstaunlich Gestalt an. Wir ver­fol­gen einen Kri­mi, sehen erfol­gre­iche Frauen im Kostüm und Män­ner voll Testos­teron. Ele­gant gelöst beispiel­sweise eine Art Bro­ker­bal­lett: Die gesamte Per­son­nage mit Son­nen­brillen auf der Börsen-Bühne, die Blicke auf Mon­i­tore gerichtet, auf denen Zahlenkolon­nen laufen, unaufhör­lich die Aktienkurse. Jew­eils einen Hör­er an jedem Ohr, “Kaufen!”, “Verkaufen!” wird da in die Muscheln gebrüllt, während bestrumpfte Beine in High Heels über die Tele­fonk­a­bel klet­tern. Das ist sehr Neun­ziger, sehr reell und lebendig, man spürt die Aufgeregth­eit, die Euphorie und den Kick. Die Szene wird sich zum Ende des Stück­es wieder­holen, wenn die Enron-Aktien fall­en, die Stim­mung in den Keller sinkt und man ver­sucht, noch loszuw­er­den, was möglich ist. Das ist saubere Arbeit, da sitzt jed­er Schritt und jedes gebrüllte Wort.

Und den­noch: Der Abend ent­gleit­et, vor allem nach der Pause. Ein paar Striche hät­ten der Vor­lage wohl gut getan, denn der zweite Teil wirkt ein biss­chen so, als hätte man keine rechte Lust mehr gehabt zu Ende zu proben. Aber das Haupt­prob­lem liegt in der Ästhetik begrün­det. Preb­ble will in ihrem Stück Sur­reales, das Gegen­teil von Real­is­mus, die Antithese des Doku­men­tarthe­aters (liest man zumin­d­est im Pro­grammheft): Sie lässt beispiel­sweise “Rap­toren” auftreten, eine Art urzeitlich­er Schulden­fress­er, die nur von Zahlen­domp­teur Fas­tow mit der Led­er­peitsche in Zaum gehal­ten wer­den. Dass diese von Schaus­piel­ern mit Dinoköpfen dargestellt wer­den, ist nahezu der einzige Bruch zum son­st psy­cho­re­al­is­tis­chen Spiel des Ensem­bles. Es gibt keine Über­höhung, kein Kip­pen in die Groteske, keine Phan­tas­magorie, die das Alp­traumhafte vorher ankündigt oder später auf­greift. Somit wirken die Phan­tasiegestal­ten schlicht unmo­tiviert und bleiben unver­ständlich.

Ein zaghaftes “Buh” ist zu hören, als das Leitung­steam zum Applaus auftritt (Regie: Ralph Bri­dle). So richtig sich­er ist man sich wohl nicht, ob man das nun darf, wo doch ein eigentlich trock­enes The­ma span­nend und beizeit­en sehr unter­halt­sam auf die Bühne gebracht wurde. Doch gehört dazu mehr als ein spiel­wütiges Ensem­ble und eine 1:1‑Übertragung des Textes. “Shame on me” läuft von oben nach unten über die Leiste, als Fas­tow sein Schuldgeständ­nis macht (und let­ztlich die niedrig­ste Strafe bekommt, obwohl das Konzept zur Pleite von ihm stammt). Hilary Clin­ton filmt ihn dabei und lächelt Präsi­den­ten­gatin­nen-mäßig. Kein­er ver­ste­ht, warum aus­gerech­net sie jet­zt die Kam­era hal­ten darf. Ich am aller­wenig­sten. Shame on me eben.

Nach der Par­ty ist vor der Par­ty (Bild: hhf)

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