Europas Rückkehr

Die Wiederkehr der Moderne: Das Hagen-Quartett in der kleinen Musikhalle

Die alte Europa (Bild: HHF) Auslöschung. Ver­nich­tung. Bar­barei. Zwölf Jahre litt die Welt des 20. Jahrhun­derts unter dem Dik­tat der Dummheit des paneu­ropäis­chen Faschis­mus. Es ver­loren vor allem jene europäis­chen Kün­stler ihre Wurzeln, die zu Beginn dieser Zeit nach vorne blick­ten. Jene Kun­st, die man heute gemein­hin die klas­sis­che Mod­erne nen­nt, fand – vor allem in Deutsch­land – nicht statt. Wer von diesen sich ret­ten kon­nte, emi­gri­erte, vor allem nach Ameri­ka. Dort, in der Dias­po­ra der europäis­chen Tra­di­tion, entwick­elte sich eine zwangsläu­fig weit von ihren Ursprün­gen ent­fer­nte Bewahrungskul­tur, die gele­gentlich, dann nach der Ver­nich­tung des Schat­ten­re­ichs, in Europa gezeigt wurde und wer­den kon­nte.

Die Avant­garde kehrte zurück, kon­serviert und aus­gestellt am Ort ihrer Entste­hung. So ist es denn auch kein Wun­der, daß diese Kun­st eine vol­lkom­men entwurzelte Form auf unserem Kon­ti­nent geblieben ist, immer unver­standen­er Beifang zu den auch im Faschis­mus hochge­hal­te­nen Werten ein­er deutsch-bürg­er­lichen Muse­al­ität. Gle­ich­sam als Recht­fer­ti­gung vor der Ver­nich­tung und Vertrei­bung ihrer Schöpfer, begeg­net einem die Liga der Entarteten immer noch in homöopathis­chen Dosen. Eine “gedenk­ende” Ausstel­lung dort, eine kleine Wieder­ent­deck­ung da, von Selb­stver­ständlichkeit keine Spur.

Auch die Musik kam zurück. Mit ihrer bedeu­tungs-belade­nen Form, dem Stre­ichquar­tett, dem Gral deutsch­er Aus­druck­skun­st eroberten die New York School die Konz­erthallen der neuen, von den Alli­ierten gez­im­merten Repub­lik. Europa bekam etwas zurück von den Juil­liards, den LaSalles, den Guaner­is. Sie alle spiel­ten nun die großen abendländis­chen Namen, Beethoven und Brahms, Mozart und Haydn, mitunter auch die Werke der Vergesse­nen ein. In Europa gab es lange nichts Ver­gle­ich­bares. Es gab Meis­ter der Kul­tiviertheit wie das inzwis­chen aufgelöste Alban Berg Quar­tett, es gab und gibt junge, heftige Wilde … und man übte das Pro­gramm der Vor­bilder. Die Kul­turindus­trie ist erwartungs­gemäß träge, bewahrt gerne das bürg­er­liche Vorkriegsreper­toire.

Das Hagen Quar­tett, nun­mehr im 30. Jahr sein­er Büh­nenkar­riere ange­langt – die Jubiläum­splat­te wurde ger­ade mit dem Echo, einem Preis genau jen­er gelähmt scheinen­den Kul­turindus­trie aus­geze­ich­net – gehörte einst auch zu solchen “jun­gen Wilden”. Äußer­lich immer bürg­er­lich gemäßigt, legten die aus Salzburg – was eine Herkun­ft für ein Stre­ichquar­tett – stam­menden Musik­er musikalisch zuweilen einen Furor an den Tag, der einen angst und bange wer­den ließ. Auf Youtube existiert eine frühe Auf­nahme von Schu­berts D 810 “Der Tod und das Mäd­chen” – der Ein­druck ist erschüt­ternd, so risiko­r­e­ich ist dieser frühe Angang an eins der Kopfw­erke der Lit­er­atur. Das Quar­tett hat­te Bestand, veröf­fentlichte viel, vor allem die Mozart-Gesam­tauf­nahme ist immer noch eine sichere Bank für die Plat­ten­fir­ma. Alles Reper­toire, auch hier.

So gese­hen wäre ein Konz­ert dieser For­ma­tion, dessen Ruhm inzwis­chen weltweit reicht, keine aus­nehmende Sen­sa­tion. Das angekündigte Pro­gramm ist auf den ersten Blick unaufre­gend, zu Beginn “Papa Haydn”, der “Scherz”, dann, gut gepuffert und vor der Pause, der kleine Aufreger aus der Mod­erne, Bar­toks 4. und zum Schluß Brahms op. 67. Alles in der Wirkung offen­bar auf das Brahm­squar­tett aus­gelegt, ein Konz­ert wie viele andere, solide, für einen guten Abend geeignet. Doch dieser Abend war ein ander­er, anders als viele zuvor gehörte.

Sel­ten wurde einem die Geschichte deut­lich­er gemacht als hier, allein durch die Gegenüber­stel­lung der Werke und die alles wagende Inter­pre­ta­tion der Hagens. Schon im Ein­gangsstück, Haydns zweit­em “Rus­sis­chen” Quar­tett, mit dem wie immer etwas pro­gram­ma­tis­chen Beina­men “Der Scherz”, ver­schwindet alle Form, alle Geset­ztheit. Lukas Hagens schon im ersten Satz immer wieder enteilende, fast aus­brechende Prim, die erschüt­tern­den Gen­er­al­pausen, die unfaßbare Spiel­tech­nik haben mit der Betulichkeit, mit dem man das Werk auch spie­len “kön­nte” nichts mehr gemein. Das ländler­hafte Scher­zo klingt plöt­zlich nach Schu­bert, nach Fall und Sehnen, nimmt voraus, was kom­men wird und ahnt, was kom­men kann.

So ist denn das kom­plexe, zwis­chen Tonal­ität und Atonal­ität schwank­ende Bar­tok-Quar­tett von 1928 auch kein schräg verzieren­des Bei­w­erk mehr, son­dern fol­gerichtig und kon­se­quent. Dieses vergessene, ver­schol­lene und aus­gelöschte Werk ist der Kern des Abends und ord­net sich zugle­ich in den Auf­bau, in das Konzept, ein. Es ist schroff, mech­a­nis­tisch und zuweilen von hin­reißen­der Klan­glichkeit. Und nie­mand wird es je so spie­len. Es ist unver­mit­telt offen­bar, was ver­loren gegan­gen ist in den Jahren der Bar­barei, eine Kul­tur, die nicht pas­siv unterge­gan­gen ist, son­dern sys­tem­a­tisch von diesem Kon­ti­nent aus­gelöscht wurde. Hier ist die alte Welt, das Ver­schwun­dene, hier ist Europa, in diesem Text, in diesem Spiel.

Noch deut­lich­er wird das nach der Pause. Ein Stück, in hun­dert Auf­nah­men gehört, immer wieder im Konz­ert, ein Großw­erk eines vor­wiegend kon­trol­lierten und gehemmten Mannes, der immer wieder in die Ord­nung der Bürg­er­lichkeit fiel – Brahms, ein Kom­pon­ist, den man “lieben” kann, zudem mit Ham­burg­er Wurzeln. Und schon obsiegt erneut dieses so über­aus kluge Konzept des Pro­grammes, set­zt sich fort in diesem Werk. Dies­mal sind es die ver­meintlich schwächeren Stim­men, Veron­i­ca Hagens Vio­la und Clemens Hagens Vio­lon­cel­lo, deren Into­na­tionsvielfalt und deren Mut zum Wag­nis all diese Hemm­nisse in Per­son und Text deut­lich machen. Alle Zweifel, alle Brüche sind unver­mutet ent­blößt durch das präzise, fast schroffe Spiel. Und wieder sind es harte Pausenein­sätze, die das Ganze skandieren, neu struk­turi­eren. Es gibt kein Ver­schleifen, kein “lyrisch­er” Impe­tus, kein falsch­er Schmelz ver­stellt den Blick.

Das Hagen-Quar­tett hat es uns zurück­ge­bracht, das alten Europa. Es hat das Ver­lorene an seinen Platz gestellt, das ver­meintlich Bekan­nte geopfert und aufge­brochen. Dieses Konz­ert war bar jed­er Bequem­lichkeit, es gab keine Chance zum wohlmeinen­den Zurück­lehnen – mod­ern­er und zugle­ich so immens poli­tisch in sein­er Pro­gram­matik kann Kam­mer­musik nicht sein. Vielle­icht ist das ein gutes Zeichen.

Nachbe­merkung: Das Hagen-Quar­tett hat vor einiger Zeit die Plat­ten­fir­ma gewech­selt, von einem Großkonz­ern der Klas­sik-Branche zu einem kleinen auf­streben­den Label in Süd­deutsch­land. Neben der preis­gekrön­ten Jubiläum­splat­te “30” [Ama­zon Part­ner­link] wird dort Anfang des kom­menden Jahres als näch­ste Veröf­fentlichung eine Auf­nahme des Brahmss­chen Klar­inet­ten­quin­tetts erscheinen. Ein Inter­view mit dem Label-Grün­der von Myrios-Clas­sics, Stephan Cahen, wird dem­nächst hier erscheinen.


Die neue Europa? (Bild: HHF)

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