Existenzbeherrscher

Wie der vom Theater fast vergessene Thomas Bernhard in der Diaspora sich wiederfindet: »Wittgensteins Neffe« im Schlosstheater Celle

Wichtig wäre es, zu wis­sen, ob Claus Pey­mann seine neue Hose anhat. (Bild: http://www.schoenstattzentrum-wien.at)

Die Zeit­en, in der Burgth­e­aterchef­dra­matur­gen auf den Kahlen­berg bei Wien stiegen und dort schweigend in das mit­ge­brachte kalte Wiener Schnitzel bis­sen, sind vor­bei. Claus Pey­mann ist in Berlin und Her­mann Beil Akademievorste­her. Und das The­ater inter­essiert sich heute nur noch wenig für die Texte des unbe­que­men Dichters Thomas Bern­hard. Diese Texte ste­hen niemals für das Unge­fähre, ihr her­aus­ra­gen­der Charak­ter ist die Behaup­tung, eine Welt­sicht. Das war niemals unzeit­gemäss­er denn heute. Thomas Bern­hard starb 1989.

Umso erfreulich­er ist es, einen der innig­sten Texte des grossen Öster­re­ichver­achters auf ein­er Bühne zu sehen und sei es auf der Stu­diobühne eines kleines Stadtthe­aters, in Celle. Wittgen­steins Neffe ist ein kurz­er Prosa­text Bern­hards, der von der jun­gen Graz­er Autorin Astrid Kohlmeier für die Bühne ein­gerichtet wurde. Erzählt wird die Geschichte der Fre­und­schaft des erzäh­lerischen Egos Thomas Bern­hards mit Paul Wittgen­stein, dem exzen­trischsten aller Nachkom­men des an Exzen­trik­ern nicht armen öster­re­ichis­chen Haus­es Wittgen­stein, Tobias Sosin­ka hat sie in Celle insze­niert.

Wie beina­he jede der berühmten und zuweilen auch berüchtigten bern­hard­schen Tiraden haben Stoff und Kon­struk­tion starke musikalis­che Wurzeln, Sprachrhyth­mus und Duk­tus sind trotz ihrer zuweilen sper­ri­gen didak­tis­chen Aus­las­sun­gen fein kom­poniert. Musik spielt im Werk Thomas Bern­hards nicht nur als The­ma eine Rolle, sie zieht sich bis in den Satzbau hinein. Die Textfas­sung zollte dem Trib­ut, lässt unange­tastet, was unange­tastet bleiben muss, set­zt aber das monolo­gis­che Solis­ten­prinzip (auch das ein Bern­hard-Typus) behut­sam in eine zumin­d­est stel­len­weise dial­o­gis­che Form. So entste­hen aus dem mono­ma­nen Erzählstrang tat­säch­lich einiger­maßen lebendi­ge The­ater­fig­uren. Eine “papierene” Umset­zung, die so viele der derzeit wun­der­licher­weise so mod­er­nen Prosadrama­tisierun­gen ausze­ich­net, find­et nicht statt.

Die grossen Bern­hard-Insze­nierun­gen der achtziger Jahre des vorigen Jahrhun­derts waren vor allem Schaus­piel­er­stücke. “Rit­ter, Dene, Voss” trägt eine Wid­mung “für drei intel­li­gente Schaus­piel­er”. Das ist gewiss eine der üblichen bern­hard­schen Sen­ten­zen aus der ironiegeschwängerten Hybris des Dichters, trifft aber den Kern sein­er Stücke. Sie sind für Vir­tu­osen geschrieben, die größt­möglichen Namen ihrer Zeit standen mit Bern­hard-Tex­ten auf den größt­möglichen Büh­nen, dem Deutschen Schaus­piel­haus in Ham­burg, dem Wiener Burgth­e­ater, der Berlin­er Schaubühne.

Dass das Stadtthe­ater­per­son­al da in ein­er anderen Liga spie­len muss, ist selb­stver­ständlich. Die bei­den Celler Jür­gen Kacz­marek, ein sehr energiebe­ton­ter Schaus­piel­er und der “namen­lose” Bern­hard-Darsteller Andreas Her­rmann ver­suchen gar nicht erst in den eben­so so fab­ulösen wie alt­modis­chen Bern­hard-Minet­ti-Ton zu kom­men, ihre Far­ben sind klein­er und schwäch­er als die der “Burgth­e­ater­schaus­piel­er”. Das tut in diesem kleinen Text bess­er als man denkt, die Erwartung­shal­tung wird hier hüb­sch beschei­den eingedampft auf die Essenz, die Geschichte und die großen imma­nen­ten The­men Bern­hards, Sein und Tod, Exis­ten­zfra­gen und Wel­ter­fahrung. Eine gewisse brüchige Kraft­meierei bei Kacz­marek und den leicht säch­sel­nden Ein­schlag bei Her­rmann sieht man da leicht nach.

Die Ausstat­tung ist alles andere als avant­gardis­tisch, Andreas Her­rmann kommt in nat­u­ral­is­tis­ch­er Berhard-Verklei­dung daher, Trench­coat, Sakko, als gin­ge es um einen Looka­like-Wet­tbe­werb, Paul Wittgen­stein “naturgemäß” im großbürg­er­lichen Bohemien-Stil sein­er his­torisch gewach­se­nen Ver­wandtschaft. Der Raum ist ohne­hin klein, eine Stu­diobühne eben, ein Podest vorne, ein Abtritt hin­ten, ein Tisch und ein Stuhl. Plat­ten als Req­ui­sit, ein Motiv, das auch das Plakat und das Pro­grammheft abbildet. Minu­tiös wird jedes im Text angedeutete Musik­stück ange­spielt, möglichst auch in den Orig­i­nalauf­nah­men, so hört man untern vie­len anderen Schurichts alte und berühmte Haffn­er-Ein­spielung und Keil­berths “Frau ohne Schat­ten”. Das ist zuweilen zuviel der Illus­tra­tion, erzählt nicht mehr als gesagt wird. Ein paar Leit­mo­tive hät­ten da unter Umstän­den mehr geholfen, der Text trägt, wie ein­gangs schon erwäh­nt, genug Musikalität in sich, hat den illus­tra­tiv­en Charak­ter nicht nötig.

Was bleiben kann? Eine drin­gende Reiseauf­forderung in die soge­nan­nte “The­ater­prov­inz”, die die Staat­sthe­aterbe­such­er gross­er Städte gerne mal bei ihrem Blick in das Umland ver­nach­läs­si­gen. The­ater lebt auch an anderen Orten, ins­beson­dere wenn es sich mit anderen Tex­ten als den derzeit mod­er­nen beschäftigt. “The­o­retisch war er ein Exis­tenzbe­herrsch­er, prak­tisch hat er seine Exis­tenz nicht nur nicht beherrscht, son­dern ist von ihr ver­nichtet wor­den”, so heißt es im “Unterge­her”– Thomas Bern­hard trägt, bei aller schal­len­den Mächtigkeit sein­er Sprache auch so etwas wie Demut in sein­er Lit­er­atur mit sich. Da muss erst ein­mal ein kleines Stadtthe­ater kom­men, damit man sich an so ein Gefühl wieder erin­nern kann. Den Zeit­en täte es gut.

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