Rasha Khayat ist eine interessante junge Frau. Aufgewachsen zwischen zwei Welten, mit arabischen Wurzeln in Deutschland lebend, übersetzt sie Bücher aus dem Englischen und dem Arabischen. Sie betreibt einen interkulturellen Blog, mit dem leicht kapriziösen Titel “West-Östliche Diva”, in dem sie sich äußerst charmant und klug mit ihrer Gratwanderung zwischen diesen beiden Kulturkreisen beschäftigt. Das ist gewiss, gerade in Zeiten verzweifelter Selbstbehauptung von Kulturen, ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der jeweils anderen Seite. Für den stets nach aktuellen Themen suchenden Buchmarkt ist solch eine neue Autorin, zumal mit hoher Netzaffinität, also geradezu eine Steilvorlage und so erscheint denn nun auch, ganz folgerichtig, ein “echtes” Buch, ein Roman mit dem Titel “Weil wir längst woanders sind”. Nach der ersten Lesung beim angesagten Fringe-Festival Ham.Lit fand nun auch die offizielle Buchpremiere in Hamburg statt, im immer noch als stylisch geltenden “Nachtasyl”, der Theaterbar des Thalia Theaters. Ein Verweis auf die angepeilte Zielgruppe, sicherlich.
Das Buch schildert, angelehnt an die Vita der Autorin, die Geschichte eines Geschwisterpaares, das zwischen Deutschland und Saudi-Arabien aufwächst. Die Beziehung der beiden ist eng, dennoch entscheidet sich die Schwester für eine Ehe in der alten Heimat Saudi-Arabien. Ein junger Mensch, der aus der westlichen Alltagswelt in den hierzulande fremden orientalischen Kulturkreis wechselt, ist eine Geschichte, die angesichts allgegenwärtige aktueller Ressentiments, gerade junge Großstädter interessieren muss. So ist denn die Veranstaltung gut besucht, präsentiert werden Buch und Autorin vom berlinbärtigen DuMont-Junglektor Jan Valk, Endreissiger wie die Autorin. Der nun preist dieses Buch als seinen besonderen Erstling, das Gespräch zwischen beiden ist ob der Arbeitsbeziehung vertraut und eng, und kreist vor allem um ein Thema: Die schon in den Buchtitel eingebundene Fremdheit und Unbehaustheit zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten.
Nun ist dieses Thema kein Neues, geradezu das Zentralthema der Moderne – der Topos der Fremdheit in der eigenen Lebenswelt findet sich in der jüngeren Literaturgeschichte von Musil bis Adorno auf hohem Niveau erzählt und durchleuchtet. Rasha Khayat und ihr Lektor reden folglich über die Fragmentierung des Buches und der Welt, über das fehlende Heimatgefühl des Geschwisterpaares und betonen die immanente Fremdheit in Erzählung und Sprache. Beide erschaffen das Bild eines unbehausten Lebensgefühls in der modernen Gesellschaft, das man auch aus den Erzählungen der “Expats” kennt, jener Kinder von international tätigen Beschäftigten, die mitsamt ihren Familien, je nach Arbeitgeberauftrag an irgendeinem Ort des Globus wohnen – zwar vertraut mit dem aktuellen Aufenthaltsort, dennoch immer auf Zeit mit diesem Ort verbunden.In der vorletzten Buchsaison gab es einen Achtungserfolg für Brittani Sonnenbergs “Heimflug”, die Geschichte einer jungen Amerikanerin, die in Deutschland und China aufgewachsen ist und deren Suche nach der inneren Heimat dieses Lebensgefühl umreißt. Dort heißt der Motor für die empfundene Fremdheit vor allem Globalisierung und ist dementsprechend fremdbestimmt, in Rasha Khayats Roman ist die Motivation weitaus innerlicher angelegt. Beiden gemein ist die Wanderung zwischen den unterschiedlichen kulturellen Welten, zur Verwerfung und Desorientierung führt. Ein gutes und großes Thema für einen aktuellen Roman also.
Bedauerlicherweise muss man allerdings konstatieren: Die präsentierten Textabschnitte bestätigen mitnichten die behauptete Ambition. Die allseits betonten Perspektivwechsel sind offenbar flach gehalten, und gerade in den Passagen über die arabische Welt überwiegt das kolorierende Element. Die dort immer wieder in den Text eingeworfenen und unübersetzten arabische Begriffe und Wendungen dienen vor allem einer atmosphärischen Markierung, sind Dekor aus einer fremden Welt, stilistische Arabesken.
Stünden all diese hübschen kleinen Erinnerungsbilder an den arabischen Onkel und seine Familie auf der Reise nach Mekka in einem journalistischen Feature, eine Kisch-Preis-Jury würde sich vermutlich durchaus damit befassen wollen, man spräche von warmherziger Milieuschilderung, von einem guten “Sound”. Ähnlich ist es auch mit den Stellen, die die Kindheitserinnerungen beschreiben – es ist eine kleinteilige und heimelige Details aneinanderreihende Prosa, die aber nie die deskriptive Ebene verlässt. Das schafft eine erstaunliche Verhaltenheit in der Erzählung. Von der im Gespräch stets betonten Verunsicherung und fehlenden Verortung ist zumindest in den Leseteilen nicht viel zu hören, die Verdichtung erstreckt sich dort auf leicht raunende Signalsätze: “Basil, meinst du, wir fahren bald nach Hause?”
Dennoch scheint das Buch gerade ob seines Sujets der Lektüre wert. Die Welt dort ist fremd und neu, die Autorin noch jung an Jahren, kann sich weiterentwickeln, und die Schilderung dieses deutsch-arabischen Kulturspagats hilft sicherlich, gerade den stets verunsicherten jungen Deutschen ein Leben mit dem Blick auf die Welt “woanders” zu ermöglichen. Insofern hat Rasha Khayat sehr viel richtiggemacht.
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