Fünf Gründe, warum in Hamburg sofort ein Dom gebaut werden muss

Im Grunde geht es um so was wie ein Buch, aber auch um eine kleine Sehnsucht

Ja, die sind auch noch nicht fer­tig. (Bild: © Juli­an Schnip­pe­ring – Fotolia.com)

»Dascha­nich­so­schön«, das ist die Uni­ver­sal­wen­dung, die die lang­haa­rig-blon­de Eppen­dor­fe­rin gebraucht (für die Köl­ner: das ist ein Ham­bur­ger Stadt­teil, der zu den soge­nann­ten »geho­be­nen« zählt, viel Alt­bau­sub­stanz und hohe SUV-Dich­te), wenn sie von immensen Schick­sal­schlä­gen erfährt, sei es ein Todes­fall, eine Natur­ka­ta­stro­phe oder ein Reak­tor­un­fall. Eksta­ti­scher wird es dann allen­falls noch durch eine leicht gekräu­sel­te Augen­braue. Mit über­schwäng­li­cher Emo­tio­na­li­tät hat es der Han­se­at eben nicht so. Und ein Dom fehlt auch, und zwar ein Ech­ter, nicht so einen Rum­mel­platz mit sei­nen Jux­bu­den, der alle Vier­tel­jah­re auf dem Hei­li­gen­geist­feld gastiert.

War­um das unbe­dingt nötig ist? Hier sind fünf Grün­de für den sofor­ti­gen Dom­bau an der Elbe:

Grund 1: Kar­ne­val
Der ein­zig wah­re Groß­städ­ter hält Kar­ne­val ent­we­der für eine folk­lo­ris­ti­sche Ver­an­stal­tung, die dazu dient, betrun­ke­nen Mäd­chen aus dem Dorf am Rhein ans Mie­der zu gehen oder für die bemit­lei­dens­wer­te Aus­ge­burt einer fehl­ge­lei­te­ten katho­li­schen See­le. »Ach ihr müsst zum Kar­ne­val, ihr Armen«. Schon des­we­gen muss zügig mit den Bau­ar­bei­ten begon­nen wer­den, denn nur im dräu­en­den Schat­ten von hoch­go­ti­schen Dop­pel­tür­men lässt sich der eisi­ge Nord­wind schnell vergessen.

Grund 2: Musik
Ja, auch Musi­ker gibt es im Nor­den, aber soll­ten die jemals auf der Büh­ne ste­hen und ihr Mikro­fon ver­zwei­felt in die Men­ge hal­ten, erwar­tend, dass da einer mal zumin­dest einen Refrain mit­singt, dann sind die schief­ge­wi­ckelt. Schon allein des­halb hat sich die soge­nann­te »Ham­bur­ger Schu­le« gebil­det, die Tex­te singt, die einen gar nicht erst auf die Idee kom­men las­sen, mit­zu­sin­gen, weil sie so kom­pli­ziert sind. Hier genügt ein leich­tes, bil­li­gen­des Kopf­ni­cken. Auch in die­sem Fall muss der Grund­stein zum Dom­bau bal­digst gelegt wer­den, schließ­lich bie­ten die hohen Hal­len ein schö­nes Echo, und wenn einer mal singt, kling­ts gleich wie Mil­lio­nen. Und die sind beliebt an Rhein und Elbe.

Grund 3: Nach­bar­schaft
So ein Stadt­teil ist in ers­ter Linie eine Form der Abgren­zung. Oder glaubt irgend­je­mand, dass ein Barm­be­ker mit dem Uhlen­hors­ter redet? Genau­ge­nom­men redet der Hohe­luf­ter West auch nicht mit dem Hohe­luf­ter Ost, denn der ist ja eigent­lich schon fast Eppen­dorf, und der redet auch nicht mit ande­ren Eppen­dor­fern, sie­he oben. Beim Her­um­klet­tern auf den Tür­men und beim Auf­set­zen der Turm­kreu­ze kommt man sich bestimmt näher und was für ein Bild, wenn der Bill­bro­ker einem Mari­en­tha­ler einen sand­stei­ner­nen Was­ser­spei­er anreicht und sie ihn dann gemein­sam einmauern.

Grund 4: Puri­ta­nis­mus
Die Tala­re sind außer­or­dent­lich schwarz und als präch­tig gilt der soge­nann­te »Ham­bur­ger Ornat«. Der ist auch schwarz. Lasst die Pro­zes­sio­nen end­lich kom­men, schließ­lich hat der katho­li­sche Pries­ter bun­te Kleid­chen an und die­se Gold­kreu­ze sind auch sehr hübsch.

Grund 5: Sänger
Tom­my Engel stammt aus Sülz und singt köl­sches Idi­om. Schon das muss Grund genug sein, sowas zu bauen.

Der besag­te Tom­my Engel hat ein Buch geschrie­ben. Er war bis Mit­te der 90er der Front­mann der Bläck Fööss, der klei­ne Unter­setz­te mit dem Schnauz­bart. Etwas älte­re Semes­ter erin­nern sich viel­leicht noch an »Frong­raich, Frong­raich« oder wie das hieß, da hat­ten die Fööss dann auch mal außer­halb der Stadt Köln einen Hit. Da hat­te Tom­my Engel eine Bas­ken­müt­ze auf.

Das Buch hat Tom­my Engel nicht allein ver­fasst, der Köl­ner – natür­lich ein Köl­ner – Jour­na­list Bernd Imgrund hat dabei gehol­fen. So rich­tig schön ist das nicht geschrie­ben, aber das ist ziem­lich egal, denn Tom­my Engel ist eine Köl­ner Legen­de und da ist es voll­kom­men gleich­gül­tig, ob das ein biss­chen höl­zern daher­kommt. Es ist, wie es sich für eine Künst­ler­bio­gra­phie gehört, schön chro­no­lo­gisch, ein biß­chen unter­glie­dert in wich­ti­ge Lebensabschnitte.

Der klei­ne Tom­my, jüngs­ter von zehn Geschwis­tern, wächst in soge­nann­ten ein­fa­chen, so nann­te man das in den 50ern, Ver­hält­nis­sen auf. Sein Vater ist ein loka­ler Pro­mi­nen­ter, Mit­glied des Kar­ne­vals­quar­tetts »Vier Bot­ze« (Die vier Hosen).

Irgend­wann spielt der Jun­ge Schlag­zeug und dann beginnt die Beat-Ära. Und so tin­gelt Tom­my Engel aus Köln von Band zu Band und trom­melt und irgend­wann singt er. Dann kommt die Idee, »moder­ne« Musik mit Dia­lekt­tex­ten zu machen, plötz­lich sin­gen sie Kölsch und die Band heißt »Bläck Fööss«.

Dann kom­men »Mr los­se d’r Dom in Köl­le«, »En Unse­rem Veedel« und auch der besag­te Hit mit den Kli­schee­fran­zo­sen. Die Fööss spie­len immer im Kar­ne­val, BAP wird auch berühmt mit köl­schen Tex­ten, spielt nicht im Kar­ne­val und Tom­my Engel hat kei­ne Lust mehr im Kar­ne­val zu sin­gen. Und er macht wei­ter, grün­det neue For­ma­tio­nen und singt allei­ne. Er ist Musi­ker und das ist es, was er immer gewollt hat.

Um die Rele­vanz einer sol­chen an sich nicht beson­ders auf­re­gen­den Künst­ler­bio­gra­phie zu ver­ste­hen, muss man sich ein­mal anschau­en, was pas­siert, wenn Engel auf der Büh­ne steht und singt. Da ste­hen dann näm­lich Tau­sen­de mit feuch­ten Augen und ken­nen jede Zei­le, jedes Wort. Eine gewal­ti­ge Iden­ti­täts­wel­le rollt da durch den Kon­zert­saal, ein tief ver­wur­zel­tes Hei­mat­ge­fühl, und eine gehö­ri­ge Por­ti­on Sen­ti­men­ta­li­tät. Das Buch heißt nach einem sei­ner Songs »Du bes Köl­le« (hoch­deutsch: Du bist Köln) und da steht eine gan­ze Men­ge drin von dem, was die­sen im rhei­ni­schen Katho­li­zis­mus gebo­re­nen Geist ausmacht:

Du bes Kölle
Ob de wells oder och nit
Du bes Kölle

Weil et söns kein Köl­sche jit
Du bes Kölle

Du bes super tolerant
Nimps jeden op d ́r Ärm
Un an de Hand 

Du bist Köln
Ob du willst oder auch nicht
Du bist Köln
Weil es sonst kei­ne Köl­ner gibt
Du bist Köln
Du bist super tolerant
Nimmst jeden auf den Arm
Und an der Hand

Ja, natür­lich ist das ein ver­klär­tes Selbst­bild. Und es gibt den Ein­sturz des Stadt­ar­chivs und den berühm­ten Klün­gel. Aber es gibt eben auch sol­che klei­nen roman­ti­schen Exzes­se, den Mythos der klei­nen Leu­te mit dem Herz auf dem rech­ten Fleck und der schnel­len Zun­ge. Das gab es auch ein­mal im Nor­den, inzwi­schen aber nur noch in der Ohn­sorg-Folk­lo­re, ansons­ten ist es ver­lo­ren­ge­gan­gen, vor allem das mit dem auf-den-Arm-neh­men. Der Köl­ner hat es sich bewahrt und das, in unter­schied­lich star­ker Aus­prä­gung, durch alle Gesell­schafts­schich­ten. Dafür steht ein Musi­ker wie Tom­my Engel. Und dann kann man so ein Buch auch woan­ders lesen als in Sülz. Viel­leicht fan­gen wir mal an mit dem Dom­bau, hier an der Elbe. Bald kommt ja auch Karin Bei­er. [space size=140]

Tom­my Engel
(mit Bernd Imgrund):
Du bes Kölle
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