Zunächst einmal wird man angebrüllt, wenn man rein kommt. Ob man denn keinen Hunger hätte? Die vier Performer von SHOWCASE BEAT LE MOT haben Coque au vin bereitet, es gibt Rotwein und Baguette. Man sitzt, tunkt Brot in die Sauce. “In Berlin hat dieser Teil des Stückes fünf Minuten gedauert. Hamburg ist eine satte Stadt.” Das mag stimmen. Aber es gibt auch so viel zu gucken nebenbei. An die Wände und auf den Vorhang werden alte Stempel projiziert, “Marseillaise” steht da, und das Essen duftet so gut.
Doch bald wird es dunkel, und man muss sich beeilen, den guten Hahn in Sicherheit zu bringen und nicht zu viel zu kleckern dabei. Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf vier Särge. Und denen entsteigen sie, die Revolutionäre des Coque au vin. Nur einer bleibt drin, er hat offensichtlich keine Lust auf Revolution, bis man seinen Sarg öffnet, und der ist leer. Dafür bringen sie allerhand Gerätschaften auf die Bühne: Eine Flugzettel-Wurfmaschine, eine Akkordeon-Spielmaschine und eine Guillotine aus rohem Holz. Sehr unrevolutionär wird man in der ersten Reihe darauf hingewiesen, die Hand vor die Augen zu nehmen, wenn die Flugblätter katapultiert werden. Nicht, dass man sich weh tut bei der Revolution! Man weiß ja, was für eine Sauerei das gab im Jahr 1789. Und später wird das Papier fein säuberlich aufgesammelt. “Das darf hier nicht liegen bleiben!” Ordentliche Revolutionäre sind das. Sie haben verinnerlicht, wogegen sie demonstrieren und machen keinen Dreck.
Die Revolutionäre von heute, sie schwenken keine Fahnen, sondern Würfel, auf die ihre Botschaften projiziert werden. Praktisch ist das! Man hat viel mehr Platz. Und die eine Seite des Quaders zeigt etwas anderes als die andere, wenn man den Würfel dreht. Vox populi, vox Rindvieh, und was schert mich mein Geschwätz von gestern! Nur noch Bruchstücke der Botschaften sind an den Würfelseiten zu lesen. Und eins wird klar: Eine klare, eine eindeutige Meinung, die gibt es nicht.
Oder doch? Sex sells, und so tun sie es, die vier Männer in Leggings und Jackett: Sie bilden einen Haufen aus Leibern an der Table Dance-Stange und dann tanzen sie zu Hip Hop, toternst und mit schwingenden Hüften führen sie die Erotik der Revolution ad absurdum. Das Publikum juchzt vergnügt, es gibt Szenenapplaus. Aber die Revolutionäre sind müde. Einer lässt eine Gurke auf Rädern per Fernbedienung zur Mini-Guillotine fahren und per Knopfdruck köpfen. So wird den Geistern von heute mit einer müden Daumenbewegung der Garaus gemacht.
Immer wieder wird in die Mikros gesprochen: “Liebe Hundenarren, liebe Katzenfreunde, liebe Nazis, liebe Skateboardfahrer, liebe Antifa, liebes Facebook, liebes Youtube, liebe Lieblingsplatten …” Für die Revolution gibt es keine Zielgruppe, und so laufen die Revolutionäre entschlossen von einem Bühnenrand zum andern als hätten sie ein Ziel. Doch sind sie ziellos, obwohl die Karte von Paris an den Vorhang projiziert wird; man müsste doch wissen, wie man zur Place de la Concorde kommt, zur Bastille oder zum Friedhof Pere Lachaise. Aber wo laufen sie denn? Nirgends hin. Sie setzen sich auf Gymnastikbälle und suchen mit herausforderndem Blick ihre Mitte. Dabei kann es schon mal zu Kollisionen kommen. Komisch ist das, traurig und sehr auf den Punkt. Alternde Heroen auf ihren Globen, ihnen gehört die Welt, und doch bringt genau die sie zu Fall.
In einer Art Ganzkörpersack in den Farben der Tricolore rollen sie einzeln über‑, unter- und nebeneinander wie in Leichensäcken auf dem Boden. Trommeln und Darth Vader-Atemgeräusche, ein unbeholfener Totentanz der Revolution. Bis das Blau, das Rot und das Weiß auseinander torkeln. Die Idee der Revolution, nichts hält sie mehr zusammen, sie ist längst tot. Cancan und großes Aufräumen auf der Bühne, bis sie nackt und leer ist bis auf Särge und Guillotine. Dann werfen die Heroen sich noch ein Mal in Positur, ein paar letzte, klar geführte Tanzbewegungen zwischen Perfektion und Lächerlichkeit. Black und großer Applaus für die vier verschwitzten Helden.
Dann alle ab. Bis auf einen. “Sie wissen ja, Sie müssen aufessen. Und nachher würde ich die Energie ein bisschen sparen. Und mich auf das Wesentliche besinnen. Vielen Dank.” Gut. Wir gehen nach Hause. Und die Revolution findet morgen statt. Vielleicht.
Noch zu sehen am 10. und 11. Juni auf Kampnagel
Hinterlasse jetzt einen Kommentar