Da sitzt sie bei ihrem Pilz-Risotto und erzählt. Gesche Piening ist bei der Arbeit und in ihrem Element. Ihr Element heißt Theater, ihre Arbeit Regie. Was liegt da näher als ein Stück zum Thema Arbeit zu machen? Ach, Blödsinn, eins! Piening macht keine halben Sachen. Sie nimmt gleich zwei Gesprächsprotokolle zum Thema, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und bringt diese mit vier Schauspielern auf die Bühne: Die Produktion “Lohn und Brot” vermengt Erika Runges klassenkämpferische “Bottroper Protokolle” von 1968 und Kathrin Rögglas “wir schlafen nicht” aus dem Jahr 2004, das aus Gesprächen mit Chefs und Arbeitnehmern der New Economy zusammengestellt ist.
Zu Beginn der Probenzeit hat sie ihren Schauspielern vom Luxus erzählt, jetzt sechs Wochen an diesen Stoffen probieren zu können. Und das sogar bezahlt! Das sind Stadttheater-Bedingungen, und dafür hat sie gekämpft. Ein ganzes Jahr lang. “Ich konnte doch kein Stück über Arbeitsbedingungen in Deutschland machen und dann meine Schauspieler schlecht bezahlen!” sagt sie, Empörung im Blick. Zahlreiche Förderungen hat sie für die Produktion erhalten. Die freie Szene ist ein hartes Brot, in der der Lohn erkämpft sein will. Gesche Piening weiß, wovon sie spricht – und lacht darüber: “Du hast eine Idee, beißt dich daran fest, schreibst ein Konzept, stellst einen Antrag. Dann wirst du gefördert – und kriegst erstmal die Panik. Und dann beginnst du eben zu arbeiten.“
Wenn sie gewusst hätte, was ihr Beruf bedeutet, ob sie dann trotzdem Schauspiel studiert hätte? Kurze Denkpause. Dann heftiges Nicken. Sie hätte sich allerdings besser darauf vorbereiten wollen im Rahmen ihres Studiums: “Als Regisseur in der freien Szene bist du alles auf einmal: Arbeitnehmer, Manager, du schreibst Förderanträge, machst Akquise. Für Kunst bleibt da wenig Zeit.” Sie blättert in ihren Unterlagen und liest vor aus dem “Report Darstellende Künste”, aus dem sie für ihre Schauspiel-Studierenden Passagen abgetippt hat: “Die durchschnittliche Arbeitswochenzeit der freien Theater- und Tanzschaffenden beträgt 45 Stunden. Davon fließen 35 Prozent in künstlerische und nichtkünstlerische Nebentätigkeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern; 32 Prozent fließen in die Organisation und Akquise der künstlerischen Haupttätigkeit. Für die eigentliche künstlerische Arbeit verbleiben nur knapp 33 Prozent.“
In einem Festengagement sähe das anders aus. Dort wird man zwar nicht reich, aber immerhin regelmäßig bezahlt. Warum sie das nicht macht? Nach ihrer Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule kam das für sie nicht in Frage. Denn diese staatliche Schauspiel-Ausbildung, das ist so eine Sache:
“Man geht im ersten Jahr in eine Art Tunnel hinein und kümmert sich um nichts. Und dann kommt man nach vier Jahren wieder raus und hat sich nur mit sich selbst beschäftigt.” Für die Absolventin Piening stellt sich eine entscheidende Frage: Wie soll man als Schauspieler eine Welt darstellen, von der man keine Ahnung hat, ohne in Klischees zu verfallen?
Die junge Schauspielerin entscheidet sich für die Arbeit mit Managern, Mittelstand, Industrie, Pfarrern, kurz: Menschen in Sprechberufen. Diese lernen von ihr. Und sie lernt von ihnen. Währenddessen unterrichtet sie Schauspiel. Und macht sich Gedanken darüber, wie eine Ausbildung aussehen müsste, die Schauspieler darauf vorbereitet, auch in der freien Szene zu arbeiten. Denn das lernt man nicht. Und dann sitzt man da und hat keine Ahnung, wie man das am besten angeht.
Die Idee zu der Textcollage? “Hat mein Dramaturg mir geschenkt.” sagt sie. Peter Punckhaus und sie haben das Konzept zusammen erarbeitet. Aber eigentlich hat das Thema von “Lohn und Brot” sie ja bereits seit Jahren begleitet. Was macht unsere Arbeit mit uns? Wie gehen wir mit ihr um? Können wir überhaupt ohne? Und inwieweit bestimmt der Beruf unsere Identität? Wenn sich eine wie Gesche Piening so realitätsnah und reflektiert damit auseinandersetzt, möchte man sich definitiv ansehen, was sie auf der Bühne daraus macht.
Die Popo Martin hat sie vorgesprochen aus “Fette Männer im Rock” von Nicky Silver in der Aufnahmeprüfung an der Falckenberg-Schule. Eine Verrückte also. Und Goethes Stella. Eine, die verrückt genug ist, im Dreieck zu lieben. Das passt irgendwie. Ein bisschen verrückt muss man schließlich auch sein, um die Arbeit zu machen, die sie macht. Und ein bisschen verliebt womöglich auch.
Gesche Piening inszeniert regelmäßig in München. Ihre Inszenierungen und Schauspielprojekte wurden zu diversen Gastspielen eingeladen, u. a. zum Festival 150 Prozent auf Kampnagel, an die Hamburger Kammerspiele, das Junge Theater Göttingen, Literaturhaus Wien, Technoeum Mannheim, Zimmertheater Tübingen sowie in die Kunsthalle Bayreuth. “Lohn und Brot” ist am 25. und 26. März um jeweils 20 Uhr im Hamburger Sprechwerk zu sehen.
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