Ich arbeite, also bin ich!?

Was bedeutet Arbeit für uns? Liebt der Deutsche seinen Beruf zu sehr? Und darf man auch manchmal gar nichts tun? An einem der ersten Frühlingstage in einem Münchner Straßencafé. Müßiggang oder Arbeit? Hier ist die Grenze fließend. Denn ein Interview mit Regisseurin Gesche Piening ist ein Vergnügen. Deren Produktion "Lohn und Brot“ gastiert am 25. und 26. 3. in Hamburg. Ein Gespräch über Arbeit und unsere Liebe dazu

Gesche Piening
Nicht im Stress? Da läuft doch was schief.

Da sitzt sie bei ihrem Pilz-Risot­to und erzählt. Gesche Piening ist bei der Arbeit und in ihrem Ele­ment. Ihr Ele­ment heißt Thea­ter, ihre Arbeit Regie. Was liegt da näher als ein Stück zum The­ma Arbeit zu machen? Ach, Blöd­sinn, eins! Piening macht kei­ne hal­ben Sachen. Sie nimmt gleich zwei Gesprächs­pro­to­kol­le zum The­ma, die unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten, und bringt die­se mit vier Schau­spie­lern auf die Büh­ne: Die Pro­duk­ti­on »Lohn und Brot« ver­mengt Eri­ka Run­ges klas­sen­kämp­fe­ri­sche »Bot­tro­per Pro­to­kol­le« von 1968 und Kath­rin Rög­glas »wir schla­fen nicht« aus dem Jahr 2004, das aus Gesprä­chen mit Chefs und Arbeit­neh­mern der New Eco­no­my zusam­men­ge­stellt ist.

Zu Beginn der Pro­ben­zeit hat sie ihren Schau­spie­lern vom Luxus erzählt, jetzt sechs Wochen an die­sen Stof­fen pro­bie­ren zu kön­nen. Und das sogar bezahlt! Das sind Stadt­thea­ter-Bedin­gun­gen, und dafür hat sie gekämpft. Ein gan­zes Jahr lang. »Ich konn­te doch kein Stück über Arbeits­be­din­gun­gen in Deutsch­land machen und dann mei­ne Schau­spie­ler schlecht bezah­len!« sagt sie, Empö­rung im Blick. Zahl­rei­che För­de­run­gen hat sie für die Pro­duk­ti­on erhal­ten. Die freie Sze­ne ist ein har­tes Brot, in der der Lohn erkämpft sein will. Gesche Piening weiß, wovon sie spricht – und lacht dar­über: »Du hast eine Idee, beißt dich dar­an fest, schreibst ein Kon­zept, stellst einen Antrag. Dann wirst du geför­dert – und kriegst erst­mal die Panik. Und dann beginnst du eben zu arbeiten.“

Wenn sie gewusst hät­te, was ihr Beruf bedeu­tet, ob sie dann trotz­dem Schau­spiel stu­diert hät­te? Kur­ze Denk­pau­se. Dann hef­ti­ges Nicken. Sie hät­te sich aller­dings bes­ser dar­auf vor­be­rei­ten wol­len im Rah­men ihres Stu­di­ums: »Als Regis­seur in der frei­en Sze­ne bist du alles auf ein­mal: Arbeit­neh­mer, Mana­ger, du schreibst För­der­an­trä­ge, machst Akqui­se. Für Kunst bleibt da wenig Zeit.« Sie blät­tert in ihren Unter­la­gen und liest vor aus dem »Report Dar­stel­len­de Küns­te«, aus dem sie für ihre Schau­spiel-Stu­die­ren­den Pas­sa­gen abge­tippt hat: »Die durch­schnitt­li­che Arbeits­wo­chen­zeit der frei­en Thea­ter- und Tanz­schaf­fen­den beträgt 45 Stun­den. Davon flie­ßen 35 Pro­zent in künst­le­ri­sche und nicht­künst­le­ri­sche Neben­tä­tig­kei­ten, um den Lebens­un­ter­halt zu sichern; 32 Pro­zent flie­ßen in die Orga­ni­sa­ti­on und Akqui­se der künst­le­ri­schen Haupt­tä­tig­keit. Für die eigent­li­che künst­le­ri­sche Arbeit ver­blei­ben nur knapp 33 Prozent.“

In einem Fest­enga­ge­ment sähe das anders aus. Dort wird man zwar nicht reich, aber immer­hin regel­mä­ßig bezahlt. War­um sie das nicht macht? Nach ihrer Aus­bil­dung an der Otto-Falcken­berg-Schu­le kam das für sie nicht in Fra­ge. Denn die­se staat­li­che Schau­spiel-Aus­bil­dung, das ist so eine Sache: 

Nicht im Stress? Da läuft doch was schief.

»Man geht im ers­ten Jahr in eine Art Tun­nel hin­ein und küm­mert sich um nichts. Und dann kommt man nach vier Jah­ren wie­der raus und hat sich nur mit sich selbst beschäf­tigt.« Für die Absol­ven­tin Piening stellt sich eine ent­schei­den­de Fra­ge: Wie soll man als Schau­spie­ler eine Welt dar­stel­len, von der man kei­ne Ahnung hat, ohne in Kli­schees zu verfallen?

Die jun­ge Schau­spie­le­rin ent­schei­det sich für die Arbeit mit Mana­gern, Mit­tel­stand, Indus­trie, Pfar­rern, kurz: Men­schen in Sprech­be­ru­fen. Die­se ler­nen von ihr. Und sie lernt von ihnen. Wäh­rend­des­sen unter­rich­tet sie Schau­spiel. Und macht sich Gedan­ken dar­über, wie eine Aus­bil­dung aus­se­hen müss­te, die Schau­spie­ler dar­auf vor­be­rei­tet, auch in der frei­en Sze­ne zu arbei­ten. Denn das lernt man nicht. Und dann sitzt man da und hat kei­ne Ahnung, wie man das am bes­ten angeht.

Die Idee zu der Text­col­la­ge? »Hat mein Dra­ma­turg mir geschenkt.« sagt sie. Peter Punck­haus und sie haben das Kon­zept zusam­men erar­bei­tet. Aber eigent­lich hat das The­ma von »Lohn und Brot« sie ja bereits seit Jah­ren beglei­tet. Was macht unse­re Arbeit mit uns? Wie gehen wir mit ihr um? Kön­nen wir über­haupt ohne? Und inwie­weit bestimmt der Beruf unse­re Iden­ti­tät? Wenn sich eine wie Gesche Piening so rea­li­täts­nah und reflek­tiert damit aus­ein­an­der­setzt, möch­te man sich defi­ni­tiv anse­hen, was sie auf der Büh­ne dar­aus macht.

Die Popo Mar­tin hat sie vor­ge­spro­chen aus »Fet­te Män­ner im Rock« von Nicky Sil­ver in der Auf­nah­me­prü­fung an der Falcken­berg-Schu­le. Eine Ver­rück­te also. Und Goe­thes Stel­la. Eine, die ver­rückt genug ist, im Drei­eck zu lie­ben. Das passt irgend­wie. Ein biss­chen ver­rückt muss man schließ­lich auch sein, um die Arbeit zu machen, die sie macht. Und ein biss­chen ver­liebt womög­lich auch.

Gesche Piening insze­niert regel­mä­ßig in Mün­chen. Ihre Insze­nie­run­gen und Schau­spiel­pro­jek­te wur­den zu diver­sen Gast­spie­len ein­ge­la­den, u. a. zum Fes­ti­val 150 Pro­zent auf Kamp­na­gel, an die Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le, das Jun­ge Thea­ter Göt­tin­gen, Lite­ra­tur­haus Wien, Tech­no­e­um Mann­heim, Zim­mer­thea­ter Tübin­gen sowie in die Kunst­hal­le Bay­reuth. »Lohn und Brot« ist am 25. und 26. März um jeweils 20 Uhr im Ham­bur­ger Sprech­werk zu sehen.

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