Ich hab Rücken!

Der Rolling-Stone-Weekender 2013 – ein Musikfestival für Drinnenbleiber

(Bild: FKP Scorpio/Marcus Windus)
Sophie Hunger arbeit­et hart für einen neuen Saal (Bild: FKP Scorpio/Marcus Win­dus)

Irgend­wann muss man sich wohl oder übel eingeste­hen, dass man mehr in dem Alter für die großen som­mer­lichen Open Air Fes­ti­vals ist – doch nur schw­er kann man sich von solchen Relik­ten aus der Jugend ver­ab­schieden. Allein schon bei dem Gedanken an unbe­queme Nächte im Zelt zwickt es jedoch im Rück­en, und Dosen­ravi­o­li kön­nen den ver­wöh­n­ten Gau­men nicht mehr zufrieden­stellen.

Man möchte sich nicht mehr mit vor­wiegend jün­geren Men­schen umgeben, die schon die eige­nen Kinder sein kön­nten und einem das biol­o­gis­che Alter erst so richtig bewusst machen. Man kann mit­tler­weile auch nicht mehr die Nächte durch­feiern und dann am näch­sten Tag – ob bei Regen oder Sonne– wieder prob­lem­los durch­starten. Nein, irgend­wann möchte man lieber Kom­fort, Behaglichkeit, ein richtiges Bett, ein ordentlich­es Früh­stück. Aber, was ist, wenn die Hum­meln im Hin­tern bleiben und man trotz­dem noch das Fes­ti­val­ge­fühl erleben möchte? Für alle, die sich in dieser misslichen Lage wiederfind­en, gibt es seit 2009 ein Fes­ti­val, das da Abhil­fe schaf­fen kann.

Der Rolling Stone Week­ender fand dieses Jahr zum 5. Mal im Ferien­park Weis­senhäuser Strand statt und kon­nte 3800 Besuch­er im späten herb­stlichen Novem­ber an die Ost­seeküste lock­en. Das sim­ple Konzept scheint aufzuge­hen: Man nehme ein gut gele­genes Ferien­dorf – nach Möglichkeit mit Nähe zum Meer – das mit aus­re­ichen­der Infra­struk­tur und zahlre­ichen Extras, wie Well­ness-Ein­rich­tun­gen und Bespaßung für die Kinder sowie Restau­rants und Shops aus­ges­tat­tet ist.

Wenn sich dann noch eine große deutsche Musikzeitschrift und ein Ver­anstal­ter zusam­men­tun und sich einig sind, die Fes­ti­val­sai­son noch etwas auszudehnen, und damit die oben beschriebene Ziel­gruppe erre­ichen kön­nen, dann wird daraus ein “Kom­fort-Indoor-Fes­ti­val”.

Das musikalis­che Pro­gramm auf den Büh­nen bot in diesem Jahr eine ziem­lich bunte Mis­chung aus bekan­nten Namen und frischen New­com­ern. Die 31 Bands und Solokün­stler waren dabei eher gefäl­ligeren Musikrich­tun­gen zuzuord­nen, ohne starke Auss­chläge in das eine oder andere extremere Genre.

Und den­noch gab es unter ihnen noch ein gewiss­es Maß an Exper­i­men­tier­freudigkeit und Indie-Men­tal­ität zu ent­deck­en. Ein Manko war jedoch die schwierige Akustik auf und vor den ins­ge­samt vier Büh­nen, die offen­bar nur schw­er in den Griff zu bekom­men war. Die Räume eines solchen Ferien­parks sind ja nun mal auch nicht in erster Lin­ie für Konz­erte dieser Art gebaut wor­den.
Dass die meis­ten Bands — im Gegen­satz zu anson­sten kürz­eren Fes­ti­val­shows — Konz­erte in voller Länge spiel­ten, war auf jeden Fall ein Plus­punkt. Dadurch hat­te man die Möglichkeit sich zwis­chen den vier Spielorten treiben zu lassen und in mehrere Shows gle­ichzeit­ig hineinzuschnup­pern.

Das Fes­ti­val fing leise an, als am Fre­itag Junip die Bühne im Zelt betrat­en und Sänger José Gon­za­les die Zuschauer zurück­hal­tend mit “Hal­lo, wir sind Junip” begrüßte. Dieser Tag war bis­lang nur grau, dunkel und nass-kalt, und so braucht­en die Gemüter wohl erst ein­mal ein wenig Zeit, um warm zu wer­den und in Stim­mung zu kom­men. Die Songs plätscherten so vor sich hin und bracht­en Gedanken an laue Som­mer­abende zurück, zu denen diese entspan­nte, folkige Musik der Band viel bess­er passen würde.

Kurz nach dem Fes­ti­val­be­ginn wartete auf der kleinen Bühne im Ron­dell die erste Über­raschung des Tages auf die neugieri­gen Zuhör­er: Die vier jun­gen Briten der Band Tele­man beka­men aber lei­der nur 30 Minuten Zeit um sich in die Herzen der Zuhör­er zu spie­len. Sie wur­den aber am Ende dieses kurzen Sets begeis­tert gefeiert. Wer bere­its die großar­ti­gen Vorgänger­pro­jek­te Pete and the Pirates oder Tap Tap kan­nte und mochte war hier goldrichtig, denn hier standen ¾ davon auf der Bühne.

Im Baltic Fest­saal stand danach Blaudzun auf dem Pro­gramm und zog die Besuch­er in den Baltic Fest­saal. Die herange­zo­ge­nen Ver­gle­iche mit Arcade Fire oder Ryan Adams wur­den in der Tat getrof­fen, doch hat der Nieder­län­der dur­chaus noch seine eigene, sehr abwech­slungsre­iche Note.

Der Saal erwies sich aber als eine Her­aus­forderung für Augen und Ohren, mit der zu niedri­gen Decke mit den spiegel­nden Deck­en­leucht­en und ein­er daraus resul­tieren­den schwieri­gen Akustik. Aber Blaudzun, alias Johannes Sig­monds, schaffte es all diese Scheußlichkeit vergessen zu lassen. Und das, obwohl er sich ger­ade erst ein­er Weisheit­szahn-OP unter­zo­gen hat­te, die ihn beim Sin­gen noch ein­schränk­te, wie er irgend­wann ver­ri­et.

Die Shout Out Louds spiel­ten ihr let­ztes Konz­ert für dieses Jahr im Zelt beim Rolling Stone Week­ender. Nach­dem sie im Früh­jahr, nach ein­er län­geren Auszeit, ihre neue Plat­te Opti­ca veröf­fentlicht haben, wurde diese im Som­mer aus­giebig betourt. Wer die die fünf Schwe­den schon auf anderen Fes­ti­vals erlebt hat, kon­nte fest­stellen, dass sie doch etwas müde wirk­ten.

Und irgend­wie lief es tech­nisch auch nicht so ganz rund. Lag es vielle­icht daran, dass der Ton­tech­niker erst in der Mitte des Sets den Bass­re­gler zu find­en schien und die Bühne zeitweise mit über­mäßig viel Nebel über­flutet wurde, wodurch man sie  kaum noch erken­nen kon­nte?

Aber, die Shout Out Louds kon­nten die Zuhör­er trotz­dem mit ihren fluffi­gen Pop­songs noch um ihre Fin­ger wick­eln. Irgend­wie Spätestens bei “Tonight I have to leave it”, dem let­zten Song der Show, hat­ten sie wirk­lich alle im Sack.

Bei Youth Lagoon im Ron­dell blieb das große Büh­nen­licht aus, was wohl auch so gewollt war. Aber, eine unge­wohnte Sit­u­a­tion für die Zuschauer, die auf­grund der man­gel­nden optis­chen Reize nun haupt­säch­lich zum Zuhören gezwun­gen waren.

Nur schemen­haft erkennbar, wie Schat­ten auf der Bühne, schichteten Trevor Pow­ers mit Piano und Gesang und sein Begleit­er span­nende Klangge­bilde übere­inan­der die sich dann meist in einem Sound-Gewit­ter entlu­den. Trevor Pow­ers ist ein junges Tal­ent, das vielle­icht nicht eingängige, aber ein­dringliche Musik macht.

In der Zwis­chen­zeit wur­den große Mar­shall-Türme auf die Bühne im Zelt geschoben. Diese ließen schon erah­nen, dass es wohl gle­ich etwas lauter wer­den würde. Und Dinosaur Jr, der wohl rock­ig­ste Act des ganzen Woch­enen­des, erfüllte diese Ver­mu­tung voll und ganz. In ihrer Orig­i­nalbe­set­zung spiel­ten J Mas­cis, Lou Bar­low und Murph einen bun­ten Quer­schnitt aus der Dinosaur Jr-Disko­gra­phie. Und J Mas­cis gniedelte sich vir­tu­os vor seinem Mar­shall-Turm von einem Gitar­ren-Solo zum anderen.

Nach dieser laut­starken Vorstel­lung im großen Zelt hat­ten viele dann doch wieder das Bedürf­nis nach etwas mehr Behaglichkeit und san­fteren Klän­gen. Diesem Wun­sch kon­nten die im Wit­thüs spie­len­den Paper Beat Scis­sors wun­der­bar erfüllen. Ins­ge­samt sieben Mit­stre­it­er mit ein­er instru­men­tal­en Band­bre­ite von der Geige bis zum Fagott hat­te Tim Crab­tree auf der Mini-Bühne um sich ver­sam­melt. Dies war ihre erste Tour in Deutsch­land in dieser Kon­stel­la­tion und es wird hof­fentlich nicht ihre Let­zte gewe­sen sein, denn diese Bands ver­di­enen ein­fach größere Büh­nen.

Mit den 90er-Brit­pop Helden Suede als Abschluss im Zelt endete der erste Fes­ti­val­t­ag auf den Büh­nen, und viele feierten die Nacht noch auf der After-Show-Par­ty weit­er, bevor sie sich in ihre weichen Bet­ten begaben.

Der zweite Tag brachte dann erst ein­mal Sonne und Zeit für Strandspaziergänge. Das gute Wet­ter und die frische Ost­seeluft ließen Urlaub­s­ge­füh­le aufkom­men und die Bands trafen auf eine gut gelaunte Zuhör­erschaft.
 Das Ron­dell schien sich als Fund­grube für neue, junge Bands zu her­auszukristallisieren. Die Band Night Beds erwies sich als eine weit­ere Neuent­deck­ung dieses Woch­enen­des, die Band aus Col­orado Springs hat­te wohl den Har­moniege­sang schon mit der Mut­ter­milch aufge­so­gen.

Das Gillian-Welch-Stück “The way the whole thing ends” san­gen sie, nur von ein­er Gitarre begleit­et, inmit­ten des Pub­likums. Die Zuschauer woll­ten Sie eigentlich danach gar nicht mehr gehen lassen, und so ließ sich Win­ston Yellen, trotz der stren­gen Zeitvor­gabe, noch überre­den, ein weit­eres Lied alleine für das Pub­likum zu spie­len.

Obwohl der schüchterne Yellen zuvor noch von seinem enor­men Lam­p­en­fieber erzählt hat­te, füllte er mit sein­er war­men Stimme und ganz ohne Ver­stärkung den Raum aus. Das sind einzi­gar­tige, kleine Momente, die von einem solchen Woch­enende beson­ders gut in Erin­nerung bleiben.

Ob Thees Uhlmann wohl auch vom Lam­p­en­fieber geplagt ist, lässt sich nur schw­er annehmen, wenn man ihn mal live erlebt. Er wirkt boden­ständig und ist her­zlich zum Pub­likum, das er mit char­man­ten Ansagen zu den Songs erheit­ern kann. Dabei strotz er vor Energie, die sich auch auf das Pub­likum überträgt. Und wo passt “Hier komm ich her, hier bin ich geboren”, seine Hymne über die nord­deutsche Prov­inz, bess­er hin als an diesen Ort?

Dies ist auch für ihn die let­zte Show sein­er Tour, bei der er mit sein­er Band in 25 Tagen ins­ge­samt 23 Shows gespielt hat. Und er scheint noch ein­mal alles für eine gute Show zu geben. Am Ende feuert er das Pub­likum an, einen tosenden Applaus für seine Band und seine Crew zu geben. Wie sym­pa­thisch! Diese Spiel­freude schien auch Glen Hansard zu beein­druck­en, der Thees am späteren Abend noch dafür einen Song wid­mete.

Die alten Hits von Travis kan­nte das Pub­likum noch in und auswendig und die neuen Songs rei­ht­en sich wun­der­bar in das mit vie­len Klas­sik­ern gespick­te Set ein. Bei “Drift­wood”, “Sing” oder dem so rührend vor­ge­tra­ge­nen “Flow­ers in the Win­dow” kon­nte einem richtig warm ums Herz wer­den. Ihren unumgänglichen Über­hit “Why does it always rain on me” spiel­ten sie aber selb­stver­ständlich erst ganz zum Schluss.

Dazu forderte Fran Healy die Menge dazu auf, bei dem Refrain nicht nur mitzusin­gen, son­dern auch zu hüpfen. Der Song sei so erfol­gre­ich, dass sie sich sel­ber immer so fühlen, als ob sie eine Cov­erver­sion spie­len wür­den, begrün­det er die Bitte um diese Pogo-Ein­lage. Und so hüpfte und sang das ganze Zelt zum Refrain, was wohl der dynamis­chste Moment des ganzen Woch­enen­des war.

Ich hoffe, dass ich ein­mal so viele Plat­ten verkaufe, dass ich nicht mehr in einem solchen Raum spie­len muss”. Nun, Sophie Hunger, die dies während ihres Auftritts ver­laut­en ließ, war wohl auch nicht zufrieden mit dem Baltic Fest­saal und der dor­ti­gen Akustik. Aber, sie ver­suchte, das Beste aus der Sit­u­a­tion zu machen.

Begleit­et von ihren hochkaräti­gen Musik­ern, die alle min­destens drei Instru­mente zu beherrschen schienen, trug sie diszi­plin­iert ihre Lieder vor, die sich immer zwis­chen Pop, Jazz und Chan­son bewe­gen. “Ihr seid noch das Beste an diesem Raum”, meinte sie, aber wir geben das Kom­pli­ment gerne an sie zurück.

Mit dem Auftritt von Glen Hansard, den die meis­ten wohl noch als Straßen­musik­er dem Film Once ken­nen, endete der Rolling Stone Week­ender am späten Sam­stagabend und entließ die Besuch­er in die herb­stliche küh­le Nacht.
 Viele wer­den sicher­lich auch näch­stes Jahr gerne wieder an die Ost­see zurück­kom­men.

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