Irgendwann muss man sich wohl oder übel eingestehen, dass man mehr in dem Alter für die großen sommerlichen Open Air Festivals ist – doch nur schwer kann man sich von solchen Relikten aus der Jugend verabschieden. Allein schon bei dem Gedanken an unbequeme Nächte im Zelt zwickt es jedoch im Rücken, und Dosenravioli können den verwöhnten Gaumen nicht mehr zufriedenstellen.
Man möchte sich nicht mehr mit vorwiegend jüngeren Menschen umgeben, die schon die eigenen Kinder sein könnten und einem das biologische Alter erst so richtig bewusst machen. Man kann mittlerweile auch nicht mehr die Nächte durchfeiern und dann am nächsten Tag – ob bei Regen oder Sonne– wieder problemlos durchstarten. Nein, irgendwann möchte man lieber Komfort, Behaglichkeit, ein richtiges Bett, ein ordentliches Frühstück. Aber, was ist, wenn die Hummeln im Hintern bleiben und man trotzdem noch das Festivalgefühl erleben möchte? Für alle, die sich in dieser misslichen Lage wiederfinden, gibt es seit 2009 ein Festival, das da Abhilfe schaffen kann.
Der Rolling Stone Weekender fand dieses Jahr zum 5. Mal im Ferienpark Weissenhäuser Strand statt und konnte 3800 Besucher im späten herbstlichen November an die Ostseeküste locken. Das simple Konzept scheint aufzugehen: Man nehme ein gut gelegenes Feriendorf – nach Möglichkeit mit Nähe zum Meer – das mit ausreichender Infrastruktur und zahlreichen Extras, wie Wellness-Einrichtungen und Bespaßung für die Kinder sowie Restaurants und Shops ausgestattet ist.
Wenn sich dann noch eine große deutsche Musikzeitschrift und ein Veranstalter zusammentun und sich einig sind, die Festivalsaison noch etwas auszudehnen, und damit die oben beschriebene Zielgruppe erreichen können, dann wird daraus ein “Komfort-Indoor-Festival”.
Das musikalische Programm auf den Bühnen bot in diesem Jahr eine ziemlich bunte Mischung aus bekannten Namen und frischen Newcomern. Die 31 Bands und Solokünstler waren dabei eher gefälligeren Musikrichtungen zuzuordnen, ohne starke Ausschläge in das eine oder andere extremere Genre.
Und dennoch gab es unter ihnen noch ein gewisses Maß an Experimentierfreudigkeit und Indie-Mentalität zu entdecken. Ein Manko war jedoch die schwierige Akustik auf und vor den insgesamt vier Bühnen, die offenbar nur schwer in den Griff zu bekommen war. Die Räume eines solchen Ferienparks sind ja nun mal auch nicht in erster Linie für Konzerte dieser Art gebaut worden. Dass die meisten Bands — im Gegensatz zu ansonsten kürzeren Festivalshows — Konzerte in voller Länge spielten, war auf jeden Fall ein Pluspunkt. Dadurch hatte man die Möglichkeit sich zwischen den vier Spielorten treiben zu lassen und in mehrere Shows gleichzeitig hineinzuschnuppern.
Das Festival fing leise an, als am Freitag Junip die Bühne im Zelt betraten und Sänger José Gonzales die Zuschauer zurückhaltend mit “Hallo, wir sind Junip” begrüßte. Dieser Tag war bislang nur grau, dunkel und nass-kalt, und so brauchten die Gemüter wohl erst einmal ein wenig Zeit, um warm zu werden und in Stimmung zu kommen. Die Songs plätscherten so vor sich hin und brachten Gedanken an laue Sommerabende zurück, zu denen diese entspannte, folkige Musik der Band viel besser passen würde.
Kurz nach dem Festivalbeginn wartete auf der kleinen Bühne im Rondell die erste Überraschung des Tages auf die neugierigen Zuhörer: Die vier jungen Briten der Band Teleman bekamen aber leider nur 30 Minuten Zeit um sich in die Herzen der Zuhörer zu spielen. Sie wurden aber am Ende dieses kurzen Sets begeistert gefeiert. Wer bereits die großartigen Vorgängerprojekte Pete and the Pirates oder Tap Tap kannte und mochte war hier goldrichtig, denn hier standen ¾ davon auf der Bühne.
Im Baltic Festsaal stand danach Blaudzun auf dem Programm und zog die Besucher in den Baltic Festsaal. Die herangezogenen Vergleiche mit Arcade Fire oder Ryan Adams wurden in der Tat getroffen, doch hat der Niederländer durchaus noch seine eigene, sehr abwechslungsreiche Note.
Der Saal erwies sich aber als eine Herausforderung für Augen und Ohren, mit der zu niedrigen Decke mit den spiegelnden Deckenleuchten und einer daraus resultierenden schwierigen Akustik. Aber Blaudzun, alias Johannes Sigmonds, schaffte es all diese Scheußlichkeit vergessen zu lassen. Und das, obwohl er sich gerade erst einer Weisheitszahn-OP unterzogen hatte, die ihn beim Singen noch einschränkte, wie er irgendwann verriet.
Die Shout Out Louds spielten ihr letztes Konzert für dieses Jahr im Zelt beim Rolling Stone Weekender. Nachdem sie im Frühjahr, nach einer längeren Auszeit, ihre neue Platte Optica veröffentlicht haben, wurde diese im Sommer ausgiebig betourt. Wer die die fünf Schweden schon auf anderen Festivals erlebt hat, konnte feststellen, dass sie doch etwas müde wirkten.
Und irgendwie lief es technisch auch nicht so ganz rund. Lag es vielleicht daran, dass der Tontechniker erst in der Mitte des Sets den Bassregler zu finden schien und die Bühne zeitweise mit übermäßig viel Nebel überflutet wurde, wodurch man sie kaum noch erkennen konnte?
Aber, die Shout Out Louds konnten die Zuhörer trotzdem mit ihren fluffigen Popsongs noch um ihre Finger wickeln. Irgendwie Spätestens bei “Tonight I have to leave it”, dem letzten Song der Show, hatten sie wirklich alle im Sack.
Bei Youth Lagoon im Rondell blieb das große Bühnenlicht aus, was wohl auch so gewollt war. Aber, eine ungewohnte Situation für die Zuschauer, die aufgrund der mangelnden optischen Reize nun hauptsächlich zum Zuhören gezwungen waren.
Nur schemenhaft erkennbar, wie Schatten auf der Bühne, schichteten Trevor Powers mit Piano und Gesang und sein Begleiter spannende Klanggebilde übereinander die sich dann meist in einem Sound-Gewitter entluden. Trevor Powers ist ein junges Talent, das vielleicht nicht eingängige, aber eindringliche Musik macht.
In der Zwischenzeit wurden große Marshall-Türme auf die Bühne im Zelt geschoben. Diese ließen schon erahnen, dass es wohl gleich etwas lauter werden würde. Und Dinosaur Jr, der wohl rockigste Act des ganzen Wochenendes, erfüllte diese Vermutung voll und ganz. In ihrer Originalbesetzung spielten J Mascis, Lou Barlow und Murph einen bunten Querschnitt aus der Dinosaur Jr-Diskographie. Und J Mascis gniedelte sich virtuos vor seinem Marshall-Turm von einem Gitarren-Solo zum anderen.
Nach dieser lautstarken Vorstellung im großen Zelt hatten viele dann doch wieder das Bedürfnis nach etwas mehr Behaglichkeit und sanfteren Klängen. Diesem Wunsch konnten die im Witthüs spielenden Paper Beat Scissors wunderbar erfüllen. Insgesamt sieben Mitstreiter mit einer instrumentalen Bandbreite von der Geige bis zum Fagott hatte Tim Crabtree auf der Mini-Bühne um sich versammelt. Dies war ihre erste Tour in Deutschland in dieser Konstellation und es wird hoffentlich nicht ihre Letzte gewesen sein, denn diese Bands verdienen einfach größere Bühnen.
Mit den 90er-Britpop Helden Suede als Abschluss im Zelt endete der erste Festivaltag auf den Bühnen, und viele feierten die Nacht noch auf der After-Show-Party weiter, bevor sie sich in ihre weichen Betten begaben.
Der zweite Tag brachte dann erst einmal Sonne und Zeit für Strandspaziergänge. Das gute Wetter und die frische Ostseeluft ließen Urlaubsgefühle aufkommen und die Bands trafen auf eine gut gelaunte Zuhörerschaft. Das Rondell schien sich als Fundgrube für neue, junge Bands zu herauszukristallisieren. Die Band Night Beds erwies sich als eine weitere Neuentdeckung dieses Wochenendes, die Band aus Colorado Springs hatte wohl den Harmoniegesang schon mit der Muttermilch aufgesogen.
Das Gillian-Welch-Stück “The way the whole thing ends” sangen sie, nur von einer Gitarre begleitet, inmitten des Publikums. Die Zuschauer wollten Sie eigentlich danach gar nicht mehr gehen lassen, und so ließ sich Winston Yellen, trotz der strengen Zeitvorgabe, noch überreden, ein weiteres Lied alleine für das Publikum zu spielen.
Obwohl der schüchterne Yellen zuvor noch von seinem enormen Lampenfieber erzählt hatte, füllte er mit seiner warmen Stimme und ganz ohne Verstärkung den Raum aus. Das sind einzigartige, kleine Momente, die von einem solchen Wochenende besonders gut in Erinnerung bleiben.
Ob Thees Uhlmann wohl auch vom Lampenfieber geplagt ist, lässt sich nur schwer annehmen, wenn man ihn mal live erlebt. Er wirkt bodenständig und ist herzlich zum Publikum, das er mit charmanten Ansagen zu den Songs erheitern kann. Dabei strotz er vor Energie, die sich auch auf das Publikum überträgt. Und wo passt “Hier komm ich her, hier bin ich geboren”, seine Hymne über die norddeutsche Provinz, besser hin als an diesen Ort?
Dies ist auch für ihn die letzte Show seiner Tour, bei der er mit seiner Band in 25 Tagen insgesamt 23 Shows gespielt hat. Und er scheint noch einmal alles für eine gute Show zu geben. Am Ende feuert er das Publikum an, einen tosenden Applaus für seine Band und seine Crew zu geben. Wie sympathisch! Diese Spielfreude schien auch Glen Hansard zu beeindrucken, der Thees am späteren Abend noch dafür einen Song widmete.
Die alten Hits von Travis kannte das Publikum noch in und auswendig und die neuen Songs reihten sich wunderbar in das mit vielen Klassikern gespickte Set ein. Bei “Driftwood”, “Sing” oder dem so rührend vorgetragenen “Flowers in the Window” konnte einem richtig warm ums Herz werden. Ihren unumgänglichen Überhit “Why does it always rain on me” spielten sie aber selbstverständlich erst ganz zum Schluss.
Dazu forderte Fran Healy die Menge dazu auf, bei dem Refrain nicht nur mitzusingen, sondern auch zu hüpfen. Der Song sei so erfolgreich, dass sie sich selber immer so fühlen, als ob sie eine Coverversion spielen würden, begründet er die Bitte um diese Pogo-Einlage. Und so hüpfte und sang das ganze Zelt zum Refrain, was wohl der dynamischste Moment des ganzen Wochenendes war.
“Ich hoffe, dass ich einmal so viele Platten verkaufe, dass ich nicht mehr in einem solchen Raum spielen muss”. Nun, Sophie Hunger, die dies während ihres Auftritts verlauten ließ, war wohl auch nicht zufrieden mit dem Baltic Festsaal und der dortigen Akustik. Aber, sie versuchte, das Beste aus der Situation zu machen.
Begleitet von ihren hochkarätigen Musikern, die alle mindestens drei Instrumente zu beherrschen schienen, trug sie diszipliniert ihre Lieder vor, die sich immer zwischen Pop, Jazz und Chanson bewegen. “Ihr seid noch das Beste an diesem Raum”, meinte sie, aber wir geben das Kompliment gerne an sie zurück.
Mit dem Auftritt von Glen Hansard, den die meisten wohl noch als Straßenmusiker dem Film Once kennen, endete der Rolling Stone Weekender am späten Samstagabend und entließ die Besucher in die herbstliche kühle Nacht. Viele werden sicherlich auch nächstes Jahr gerne wieder an die Ostsee zurückkommen.
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