Wir werden abgeschossen. Es blitzt, sobald wir auf die Welt kommen. Vom Moment unserer Geburt an startet die Bilderkarriere. Wir nehmen uns nicht mehr in den Arm, wir fotografieren. Uns, die Anderen, das Umfeld. Jede subjektiv bemerkenswerte Kleinigkeit wird dokumentiert, verschickt, geteilt. Apps verwandeln jedes noch so schlechte Bild in artifizielle Makellosigkeit. Tradierte Filter verbergen das Laienhafte in den sich ständig wiederholenden Motiven. Eine Gesellschaft im Bann des Bildes.
Doch was passiert mit der täglichen Bilderflut auf Instagram, Facebook und Co.? Wie werden wir zukünftig mit den sich wiederholenden Sujets alltäglicher Fotografie umgehen, wie werden wir sie empfinden oder auswerten? Und wie wird sich professionelle Fotografie von Laien-Schnappschüssen abgrenzen? Eine Antwort hält vielleicht keines der teilnehmenden Häuser der 6. “Triennale der Photographie Hamburg” parat. Wie auch? Keiner kennt die Zukunft. Dennoch wird versucht, genau dorthin zu blicken, werden Fragen aufgeworfen, die Gegenwart veranschaulicht.
“The Day Will Come” lautet das Motto des – laut Kultursenatorin Barbara Kisseler – “wichtigsten deutschen” Fotografie-Festivals 2015. Mit eigenen Untertiteln haben Hamburgs große Ausstellungshäuser das biblische Zitat “Der Tag wird kommen” nach ihrem Interesse ergänzt.
“The Day Will Come When Man Falls” heißt es in den Deichtorhallen.
Dort zeigt der Fotograf Phillip Toledano seine Werkssammlung. Den Mittelpunkt bildet seine aktuelle Bilderserie “Maybe” (2011–215), für die Toledano in verschiedene Masken und Rollen geschlüpft ist. “Ich hatte eine tolle Kindheit, ein sorgloses Leben und ich nahm an, es ginge immer so weiter. Als meine Eltern starben, merkte ich, dass ich keine Kontrolle über das Leben hatte”, so der New Yorker. Die Frage, wie er im fortgeschrittenen Alter sein werde, wie sich sein Leben entwickeln könnte, ließ ihn nicht mehr los. Er forschte und fand Antworten anhand von DNA-Tests, Wahrsagungen und psychologischen Gesprächen. Die möglichen Entwicklungen hielt Toledano in Fotos und Videos fest: smarter Erfolgsmensch, übergewichtiger Einsamer, alter Mann. Seine Erkenntnis: “Wenn du alt bist oder obdachlos, wirst du für die Gesellschaft unsichtbar.”
“The Day Will Come When We Share More Than Ever” heißt es im Museum für Kunst und Gewerbe. Bilder aus dem Museums-Archiv werden aktuellen Ausrissen der Internet-Unendlichkeit gegenübergestellt. Wurde früher der aufwändige Foto-Abzug ins sorgfältig sortierte Fotoalbum geklebt, werden die Erlebnisse heute sofort mit der Welt geteilt. Wie bei Konzeptkünstler Ai Weiwei – er füttert seinen Instagram-Account täglich. Aber auch Bilddatenbanken und Suchmaschinen bieten Inspiration ohne Unterlass. Künstlerin Taryn Simon befragte Suchmaschinen nach länderspezifischen Ergebnissen zum Thema Frauen – in Afghanistan und dem Iran kein Ergebnis, kein Gesicht, kein Thema. Rund 170 Jahre des Umgangs mit dem Teilen von Bildern werden insgesamt aufgezeigt.
Mit dem Motto “The Day Will Come When There Is Hope” veranschaulicht die Hamburger Kunsthalle den Antriebsmotor “Hoffnung” in einer Zeit des Wandels. Im Vordergrund stehen Bilder um das Thema Flucht und Migration. Chimärische Bilder, die verwirren und zum Nachdenken anregen. Hoffnungsvolle Menschen, die auf einer Gangway ins Nichts warten (Aufnahmen: Adrian Paci, 2007), russische Immigranten, die im Berliner Umland fiktive Ausreiseanträge ausfüllen (Clemens von Wedemeyer, 2005), eine spanisch-marokkanische Parkidylle mit meterhohem Grenzzaun im Hintergrund (Eva Leitolf, 2009/2010). “Nur die Lügen der Fotografie geben ein wahres Bild von der Wirklichkeit”, vermutet Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle.
Des Themas Wasser nimmt sich das Bucerius Kunst Forum an: “The Day Will Come When Water Matters” heißt es dort. Ein relevantes Thema – im Angesicht von zunehmender Wasser-Knappheit. Auch hier wird die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammengeführt. Malereien der letzten Jahrhunderte, etwa von Claude Monet und Joseph Anton Koch glänzen neben modernen Arbeiten wie denen von Martin Parr und Gerhard Richter.
Natürlich kann an dieser Stelle nicht jeder der 58. Programmpunkte erwähnt werden – dennoch lohnt es sich, auch außerhalb der großen Häuser zu schauen: Wer mit Begriffen wie #peukku, flexing oder duckface nichts anfangen kann, sollte ins Oberhafenquartier: Die interaktive Ausstellung “Snapshot” bietet eine Analyse der eigenen Daten im Netz und zeigt anhand eines „Flickr”-Müllberges mit 900.000 ausgedruckten Bildern den Wahnsinn der täglichen Bilderflut auf.
In einem Ausstellungs-Containerdorf vor den Deichtorhallen gibt es wechselndes Programm. Zehn Tage insgesamt läuft die Triennale. Aber keine Sorge: Wer es nicht bis zum 28. Juni 2015 schafft, kann die Ausstellungen der einzelnen Häuser bis in den Herbst hinein sehen. Weitere Informationen gibt es hier.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar