Im Bann des Bildes

Bilderwelten anlässlich der Phototriennale 2015: Antje Milbret war auf der Pressekonferenz und hat sich für uns umgesehen.

Martin Parr: Ocean Dome, Miyazaki, 1997

Wir wer­den abgeschossen. Es blitzt, sobald wir auf die Welt kom­men. Vom Moment unser­er Geburt an startet die Bilderkar­riere. Wir nehmen uns nicht mehr in den Arm, wir fotografieren. Uns, die Anderen, das Umfeld. Jede sub­jek­tiv bemerkenswerte Kleinigkeit wird doku­men­tiert, ver­schickt, geteilt. Apps ver­wan­deln jedes noch so schlechte Bild in arti­fizielle Makel­losigkeit. Tradierte Fil­ter ver­ber­gen das Laien­hafte in den sich ständig wieder­holen­den Motiv­en. Eine Gesellschaft im Bann des Bildes.

Doch was passiert mit der täglichen Bilder­flut auf Insta­gram, Face­book und Co.? Wie wer­den wir zukün­ftig mit den sich wieder­holen­den Sujets alltäglich­er Fotografie umge­hen, wie wer­den wir sie empfind­en oder auswerten? Und wie wird sich pro­fes­sionelle Fotografie von Laien-Schnapp­schüssen abgren­zen? Eine Antwort hält vielle­icht keines der teil­nehmenden Häuser der 6. “Tri­en­nale der Pho­togra­phie Ham­burg” parat. Wie auch? Kein­er ken­nt die Zukun­ft. Den­noch wird ver­sucht, genau dor­thin zu blick­en, wer­den Fra­gen aufge­wor­fen, die Gegen­wart ver­an­schaulicht.

“The Day Will Come” lautet das Mot­to des – laut Kul­turse­n­a­torin Bar­bara Kissel­er – “wichtig­sten deutschen” Fotografie-Fes­ti­vals 2015. Mit eige­nen Unter­titeln haben Ham­burgs große Ausstel­lung­shäuser das bib­lis­che Zitat “Der Tag wird kom­men” nach ihrem Inter­esse ergänzt.

“The Day Will Come When Man Falls” heißt es in den Deich­torhallen.

© Phillip Toledano
Eine Möglichkeit des Ich: smart und erfol­gre­ich auf der Upper East Side Par­ty. Phillip Toledano, Aus der Serie Maybe, 2011–2015
© Phillip Toledano

Dort zeigt der Fotograf Phillip Toledano seine Werkssamm­lung. Den Mit­telpunkt bildet seine aktuelle Bilder­serie “Maybe” (2011–215), für die Toledano in ver­schiedene Masken und Rollen geschlüpft ist. “Ich hat­te eine tolle Kind­heit, ein sor­glos­es Leben und ich nahm an, es gin­ge immer so weit­er. Als meine Eltern star­ben, merk­te ich, dass ich keine Kon­trolle über das Leben hat­te”, so der New York­er. Die Frage, wie er im fort­geschrit­te­nen Alter sein werde, wie sich sein Leben entwick­eln kön­nte, ließ ihn nicht mehr los. Er forschte und fand Antworten anhand von DNA-Tests, Wahrsa­gun­gen und psy­chol­o­gis­chen Gesprächen. Die möglichen Entwick­lun­gen hielt Toledano in Fotos und Videos fest: smarter Erfol­gs­men­sch, übergewichtiger Ein­samer, alter Mann. Seine Erken­nt­nis: “Wenn du alt bist oder obdach­los, wirst du für die Gesellschaft unsicht­bar.”

“The Day Will Come When We Share More Than Ever” heißt es im Muse­um für Kun­st und Gewerbe. Bilder aus dem Muse­ums-Archiv wer­den aktuellen Aus­ris­sen der Inter­net-Unendlichkeit gegenübergestellt. Wurde früher der aufwändi­ge Foto-Abzug ins sorgfältig sortierte Fotoal­bum gek­lebt, wer­den die Erleb­nisse heute sofort mit der Welt geteilt. Wie bei Konzep­tkün­stler Ai Wei­wei – er füt­tert seinen Insta­gram-Account täglich. Aber auch Bild­daten­banken und Such­maschi­nen bieten Inspi­ra­tion ohne Unter­lass. Kün­st­lerin Taryn Simon befragte Such­maschi­nen nach län­der­spez­i­fis­chen Ergeb­nis­sen zum The­ma Frauen – in Afghanistan und dem Iran kein Ergeb­nis, kein Gesicht, kein The­ma. Rund 170 Jahre des Umgangs mit dem Teilen von Bildern wer­den ins­ge­samt aufgezeigt.

Gangway ins Nichts.  Adrian Paci, 2007
Gang­way ins Nichts.
© Adri­an Paci, 2007

Mit dem Mot­to “The Day Will Come When There Is Hope” ver­an­schaulicht die Ham­burg­er Kun­sthalle den Antrieb­smo­tor “Hoff­nung” in ein­er Zeit des Wan­dels. Im Vorder­grund ste­hen Bilder um das The­ma Flucht und Migra­tion. Chimärische Bilder, die ver­wirren und zum Nach­denken anre­gen. Hoff­nungsvolle Men­schen, die auf ein­er Gang­way ins Nichts warten (Auf­nah­men: Adri­an Paci, 2007), rus­sis­che Immi­granten, die im Berlin­er Umland fik­tive Aus­reiseanträge aus­füllen (Clemens von Wede­mey­er, 2005), eine spanisch-marokkanis­che Parkidylle mit meter­ho­hem Grenz­za­un im Hin­ter­grund (Eva Leitolf, 2009/2010). “Nur die Lügen der Fotografie geben ein wahres Bild von der Wirk­lichkeit”, ver­mutet Huber­tus Gaßn­er, Direk­tor der Ham­burg­er Kun­sthalle.

Des The­mas Wass­er nimmt sich das Bucerius Kun­st Forum an: “The Day Will Come When Water Mat­ters” heißt es dort. Ein rel­e­vantes The­ma – im Angesicht von zunehmender Wass­er-Knap­pheit. Auch hier wird die Ver­gan­gen­heit mit der Gegen­wart zusam­menge­führt. Malereien der let­zten Jahrhun­derte, etwa von Claude Mon­et und Joseph Anton Koch glänzen neben mod­er­nen Arbeit­en wie denen von Mar­tin Parr und Ger­hard Richter.

Natür­lich kann an dieser Stelle nicht jed­er der 58. Pro­gramm­punk­te erwäh­nt wer­den – den­noch lohnt es sich, auch außer­halb der großen Häuser zu schauen: Wer mit Begrif­f­en wie #peukku, flex­ing oder duck­face nichts anfan­gen kann, sollte ins Ober­hafen­quarti­er: Die inter­ak­tive Ausstel­lung “Snap­shot” bietet eine Analyse der eige­nen Dat­en im Netz und zeigt anhand eines „Flickr”-Müllberges mit 900.000 aus­ge­druck­ten Bildern den Wahnsinn der täglichen Bilder­flut auf.

In einem Ausstel­lungs-Con­tain­er­dorf vor den Deich­torhallen gibt es wech­sel­ndes Pro­gramm. Zehn Tage ins­ge­samt läuft die Tri­en­nale. Aber keine Sorge: Wer es nicht bis zum 28. Juni 2015 schafft, kann die Ausstel­lun­gen der einzel­nen Häuser bis in den Herb­st hinein sehen. Weit­ere Infor­ma­tio­nen gibt es hier.

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