Jazz is about the Future

Wie Damien Chazelle den Unterhaltungsfilm neu definiert: "La La Land" ist nicht nur Hommage, sondern ein Richtungswechsel

La La Land
Worauf man die Beine nicht sieht (Foto: StudioCanal GmbH)

Viel­leicht ist das der ent­schei­den­de Moment in die­sem La La Land, dem Film, des­sen Titel auf so unver­fro­re­ne Wei­se auf die Leich­tig­keit von Sein und Schein des Hol­ly­wood-Show­busi­ness ver­weist. Sebas­ti­an (Ryan Gosling), der stets melan­cho­lisch bli­cken­de Jazz­pia­nist vol­ler Idea­le und Melo­dien bekommt ein Ange­bot, das der Musi­ker, der sich in Cover­bands und Nacht­clubs mehr schlecht als recht durch­schlägt, eigent­lich kaum aus­schla­gen kann. End­lich kann er mit Musik­ma­chen Geld ver­die­nen, end­lich winkt so etwas wie eine Kar­rie­re. Nur die Musik passt nicht, der jun­ge Musi­ker zögert. Dann aber fällt der Schlüs­sel­satz, in dem alles kul­mi­niert, nicht nur für die Lebens­ent­schei­dung die­ser Film­fi­gur, son­dern auch für den Film, viel­leicht sogar für das Unter­hal­tungs­ki­no die­ser Tage: »Jazz is about the Future«.

Mit die­ser Ankün­di­gung hat der Regis­seur Dami­en Cha­zel­le nicht den ein­fachs­ten Weg gewählt. Trotz der Beteue­run­gen, nur eine Hom­mage an das alte Gen­re des Hol­ly­wood-Musi­cals dre­hen zu wol­len, hat der jun­ge Regis­seur mit fran­zö­si­schen Wur­zeln den Kern allen Enter­tain­ments beim Schop­fe gepackt – er hat einen Jazz-Film gemacht. Jazz, die Musik, die jen­seits von Retro-Trends kaum noch Gehör fin­det, die Musik, deren Auf­er­ste­hung und Wie­der­ent­de­ckung stets behaup­tet wird, aber nie­mals wie­der die Bedeu­tung und Reich­wei­te erlangt hat, die sie in ihrer kur­zen gol­de­nen Peri­ode hat­te, die Doro­thy Par­ker und F. Scott Fitz­ge­rald vol­ler Ele­ganz und Brü­chig­keit in ihren Sto­ries und Roma­nen wie­der­ge­ge­ben haben. Fitz­ge­ralds Rück­blick auf die­se Tage, 1931 im Scribner’s Maga­zi­ne unter der Über­schrift »Echo­es of the Jazz Age« erschie­nen, macht die Span­nung von Musik und Zeit nur zu deut­lich: »The word jazz in its pro­gress toward respec­ta­bi­li­ty has meant first sex, then dancing, then music. It is asso­cia­ted with a sta­te of ner­vous stimulation …«

So ist der Jazz, auch in sei­nen kon­zi­li­an­te­ren For­men, nicht nur weit­aus kom­ple­xer als der vier­schla­gen­den R&B‑Beat, der heu­te Chart­erfol­ge garan­tiert, sein Spek­trum reicht von den smar­ten Bal­la­den der ame­ri­ka­ni­schen Croo­ner bis hin zu den bro­deln­den Erup­tio­nen des euro­päi­schen Free-Jazz, wie ihn ein Erneue­rer wie Peter Brötz­mann in den 70ern verkörperte.

Trotz sei­ner kli­schee­haf­ten Her­kunft aus Bor­del­len, Ball­rooms und Spea­k­e­a­sies ist er, bis auf sei­ne kur­ze Blü­te­zeit, nie­mals Volks­mu­sik gewor­den. Einer der Grün­de ist das Kon­ven­tio­nen bre­chen­de Moment, die Frei­heit die­ser Musik, jener Gedan­ke des augen­blick­li­chen Mit­ei­an­ders, aus dem die Impro­vi­sa­ti­on schöpft.

Soviel Unvor­her­seh­bar­keit, trotz Cho­rus- und Refrain­struk­tu­ren, trotz der schla­ger­haf­ter The­men der Song­books von Gershwin, Ber­lin und Por­ter, soviel Frei­heit ist oft­mals zu viel. Für jene »Lost Gene­ra­ti­on« nach dem ers­ten Welt­krieg war sie aller­dings der Aus­druck des Unmit­tel­ba­ren. Der Jazz ver­langt dem Gegen­über eini­ges ab, sowohl Hin­ga­be und Los­lö­sung als auch die Fähig­keit, viel­schich­ti­ge Zusam­men­hän­ge zu erfas­sen in den vie­len Stim­men und Rhyth­men, die in die­ser Musik auf­ein­an­der­tref­fen kön­nen – sex, dancing, music.

Dami­en Cha­zel­le hat 2014 schon ein­mal einen Film gemacht, »Whip­lash«, der sich mit dem Jazz aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Der beschrieb in ers­ter Linie Ehr­geiz und tech­ni­sches Wer­den eines jun­gen Schlag­zeu­gers. Der an sich beein­dru­cken­de Erst­ling ist in sei­ner Erzäh­lung noch rela­tiv kon­ven­tio­nell, er zeigt vor allem den har­ten und prä­zi­sen US-Swing, der offen­bar an ame­ri­ka­ni­schen Musik­hoch­schu­len hoch­ge­hal­ten wird. Es gibt die zu erwar­ten­de Wand­lung des Hel­den, der durch Übungs­fleiß und vor allem Wil­lens­stär­ke sei­nem musi­ka­li­schen Drills­er­geant ent­ge­gen­tritt, ein Coming of Age-Film mit musi­ka­li­schen Wur­zeln. Der Film war ein Über­ra­schungs­er­folg bei den Aca­me­dy Awards, drei die­ser Ocars in tech­ni­schen Kate­go­rien heims­te er schließ­lich ein, frei­lich weder für die Regie noch für die Musik.

Über­haupt – die Musik. Rein gar nichts wären Cha­zel­les bei­de Fil­me ohne die Musik Nathan Hur­witz‹. Leben­dig ist der La La Land-Sound­track ohne Zwei­fel, er ist diver­se, Afro, Cuban, Big­band, String, Cool Jazz, Wal­zer prä­gen ihn, mit­un­ter sogar Anklän­ge an Debus­sy und Ravel – all das ist jazz-based, meis­ter­haft arran­giert und hat tat­säch­lich Hit-Cha­rak­ter, trotz sei­ner Kom­ple­xi­tät. Hur­witz Musik trägt den Rhyth­mus und Cha­zel­les Regie über­nimmt ihn, ob in Dia­lo­gen, Gesangs- oder Tanzszenen.

Kam »Whip­lash« noch als kon­ven­tio­nel­les Film­dra­ma mit reich­lich vor­her­seh­ba­rem Aus­gang daher, sieht es bei La La Land anders aus. Zwar erzählt er vor­der­grün­dig die Geschich­te eines jun­gen Paars in Hol­ly­wood, sie, Mia (Emma Stone), eine Schau­spie­le­rin, die von Vor­spre­chen zu Vor­spre­chen has­tet, er, der Kla­vier­spie­ler, der sich mit sei­nen musi­ka­li­schen Idea­len so eben über Was­ser hält. Das Paar trifft sich, för­dert sich gegen­sei­tig, die Kar­rie­ren drif­ten aus­ein­an­der, die Leben auch. Das ist mit Emma Stone und Ryan Gosling ganz und gar glück­haft besetzt, bei­de »funk­tio­nie­ren« so gut zusam­men, dass eigent­lich kei­ne Alter­na­tiv­be­set­zun­gen mehr vor­stell­bar sind. Stones leicht iro­ni­sches Spiel, das ver­han­ge­ne Unglück ins Goslings Mimik sind sehens­wert und dass sie kei­ne per­fekt trai­nier­ten Musi­cal-Dar­stel­ler sind, ist ein Teil des gelun­ge­nen Gesamt-Konzepts.

Sol­che Künst­ler­ge­schich­ten, wie sie die bei­den in La La Land erzäh­len, gibt es vie­le in Hol­ly­wood, im Leben wie in der Illu­si­on des Kinos, man erin­nert sich viel­leicht an Mar­tin Scor­ses »New York, New York« von 1977, in dem Robert de Niro und Liza Minel­li eine ähn­li­che Bio­gra­phie in der End­pha­se der Big­Band-Ära erzähl­ten. Scor­se­se nann­te sei­nen Film damals ein »Film-Noir-Musi­cal«, Cha­zel­les La La Land ist sei­ne jün­ge­re und bunt geklei­de­te Schwes­ter, behei­ma­tet weni­ger in den düs­te­ren Sze­na­ri­en der Ver­gan­gen­heit als in der Gegenwart.

Manch einer mag die­sem Film Eska­pis­mus und Rück­wärts­ge­wand­heit vor­wer­fen wol­len, weil das genau in die heu­ti­ge Zeit zu pas­sen scheint. Wäh­rend sich die cine­as­ti­schen Archäo­lo­gen des tech­ni­schen Zeit­al­ters auf den gän­gi­gen Video­platt­for­men hüb­sche Gegen­schnitt­film­chen prä­sen­tie­ren, in denen die »Ori­gi­na­le« des Gen­res den La la Land-Sze­nen gegen­über­ge­stellt wer­den, getreu jener selbst­ver­ge­wis­sern­den Devi­se vom Wis­sen um die Wie­der­erkenn­bar­keit um das kul­tu­rel­le Erbe, löst sich Cha­zel­le von die­sem musea­len Ansatz.

Denn schaut man sich die inzwi­schen pro­mi­nen­tes­te Sze­ne genau­er an, jene nächt­li­che Begeg­nung der Prot­ago­nis­ten auf den Hügeln Los Ange­les, sieht man ein wer­den­des Paar der Gegen­wart. Bei­de waren zuvor mit unter­schied­li­chem Auf­trag auf einer Par­ty, er als Musi­ker, sie als Gast, immer auf der Suche nach Kon­tak­ten, die sie in ihrer Schau­spiel­kar­rie­re wei­ter­brin­gen könnten.

Man geht gemein­sam, auf der Suche nach dem Aller­welts­au­to der jun­gen Schau­spie­le­rin – »It’s a Pri­us«, selbst­ver­ständ­lich im Hol­ly­wood der Gegen­wart – das zwi­schen zahl­ei­chen ande­ren glei­cher Bau­art geparkt ist. Es ist eine laue Nacht, das Gespräch der bei­den bewegt sich im Bana­len und rührt in sei­ne Unbe­hol­fen­heit. Und, wie es im Musi­cal idea­ler­wei­se zu sein hat, wenn die Wor­te nicht rei­chen, wird die Emo­ti­on durch die Musik erst mög­lich. Der Dia­log wird zum Duett, das unbe­hol­fe­ne Gespräch wird zum ele­gant-fre­chen Screwball-Dialog:

»Some other girl and guy 
Would love this swir­ling sky 
But there’s only you and I 
And we’­ve got no shot«

und wei­ter:

»And there’s not a spark in sight 
What a was­te of a love­ly night« (…)«

»And though you loo­ked so cute 
In your poly­es­ter suit – It’s Wool«.

Denn:

»There’s some chan­ce for romance 
But, I’m frank­ly fee­ling nothing«

It Don’t Mean a Thing If It Ain’t Got That Swing (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)
Am I Blue? (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)
Any Place I Hang My Hat Is Home (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)
I love Paris in the Sum­mer, when it sizz­les (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)
There’s no love song finer, but how stran­ge the chan­ge from major to minor, Ever­y­ti­me we say good­bye (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)

Noch immer steht da die Behaup­tung des Des­in­ter­es­ses im Raum, also wird die nächs­te Eska­la­ti­ons­stu­fe auf­ge­legt, aus dem musi­ka­li­schen Geplän­kel wird die stärks­te Waf­fe des Musi­cals, die gemein­sa­me Cho­reo­gra­phie. Auch hier ent­steht das Unwirk­li­che aus einem all­täg­lich anmu­ten­den Moment, bei­de sind inzwi­schen an einer Bank eines Aus­sichts­punk­tes ange­kom­men, Mia wech­selt die Schu­he, vom High­Heel zum fla­chen Bro­gue – Sebas­ti­an nutzt die Gele­gen­heit, ihr Sand in die Schu­he zu schau­feln, aus der Abwehr ent­steht eine ers­te syn­chro­ne Bewe­gung, der Tanz beginnt.

Und der ist weit ent­fernt von der ent­rück­ten Per­fek­ti­on des alten Hol­ly­wood, man sieht nicht die vir­tuo­se Schwe­re­lo­sig­keit Fred Astaires oder Gene Kel­lys, das Paar tanzt sei­nen Har­mo­nien und Dis­har­mo­nien in der gan­zen Unper­fekt­heit, die das Leben zu bie­ten hat. Gera­de das macht die musi­cal­haf­te Ent­rü­ckung brü­chig, so brü­chig wie die Geschich­te, die wei­ter­hin erzählt wer­den soll. Gleich­zei­tig ist das Gan­ze von berü­ckend ele­gan­tem Charme, ein Paar, dem man in sei­nem Balz­ri­tu­al mit Freu­de und auch Ergrif­fen­heit zuschaut. Und wenn die »Roman­tik« auch die Ahnung des Ver­gäng­li­chen ist und die Flucht davor, ist die­se Sze­ne ver­dammt romantisch.

Es kommt, wie es kom­men muss, die Sze­ne glei­tet aus der Musik, das tech­ni­sche Geräusch des Funk­schlüs­sels schließt den Gleich­klang ab, das Auto wird gefun­den und bei­na­he alles ist wie vor­her. Und man ahnt, was kom­men wird, das Paar wird sich fin­den und wir schau­en ihrem gemein­sa­men und Leben zu.

Und doch ist hier eini­ges anders als in den vie­len Roman­tic Come­dies zwi­schen New Yor­ker Loft-Love und Ber­lin-Bran­den­bur­ger Gene­ra­ti­on Y, denn Cha­zel­le hat in der Tat einen durch und durch moder­nen Film gedreht, trotz sei­ner vie­len Bezü­ge auf ein Gen­re, das im Kino kom­plett ver­ges­sen schien. Denn wir erle­ben nicht den Sieg der Illu­si­on wie ehe­dem, nicht das in der Opu­lenz erstick­te Fina­le, das vor­be­halt­lo­se Hap­py Ending. Die Bezie­hung der bei­den wird schei­tern, an der All­täg­lich­keit, an den unter­schied­li­chen Lebens­we­gen ihrer Prot­ago­nis­ten und am Spa­gat zwi­schen dem Wunsch nach Frei­heit und dem Wunsch, »etwas zu wer­den«.

In einer gera­de­zu orgi­as­tisch in Far­be und Form schwel­gen­den und fast vier­tel­stün­di­gen Rück­blen­de am Schluss wer­den nun all jene Abzwei­gun­gen und Wei­chen, die der Zuschau­er vor­her mit­er­lebt hat, auf­ge­ar­bei­tet – wir erle­ben all die mög­li­chen Alter­na­ti­ven im Lebens­weg der bei­den. Was wäre pas­siert, wenn … die­se Mög­lich­keit gibt es eben nur im Kino oder in der indi­vi­du­el­len Phan­ta­sie des einzelnen.

Wie­der ent­steht hier etwas aus dem Moment, nimmt einen ande­ren Weg aus der Spiel­hand­lung die Unwirk­lich­keit und Ver­tie­fung der Illu­si­on. Hier ist der Film näher an der Wirk­lich­keit als jeder ande­re sei­nes Gen­res, spielt er mit all den ver­pass­ten Chan­cen und Mög­lich­kei­ten in einem Leben und zeigt auf wun­der­sa­me Wei­se, dass es nicht nur den einen mög­li­chen Weg zum Glück gibt. Und dar­in ist er tat­säch­lich frei von jeder Kon­ven­ti­on, frei in den Gedan­ken. La La Land ist Jazz, in vie­ler­lei Hin­sicht, »It’s about the Future« – immer­hin eine Hoffnung.

La La Land
Wobei man die Bei­ne sieht (Bild: Stu­dio­Ca­nal GmbH)

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