Körper. Stimme. Tod.

Dimiter Gotscheffs Brecht/Antigone am Thalia Theater

Aber den Zeus im Gesange des Sieges zu preisen,
Alles Denkens Frieden ist’s!
(Ais­chy­los: Agamem­non)

Sie sin­gen. Sie stim­men an den Paian, Sieges­ge­sang zu Ehren Apolls, des Unheil­ab­wehrers. Das Land ist Ödnis, die Szene um die weni­gen Men­schen hier in Theben ist leer und weit. Dimiter Gottschefs The­ater braucht keinen Auf­bau, braucht nur Raum, viel Raum. Dieses The­ater ist sprach­greifend und chore­o­gra­phiert, vor allem auf den Schaus­piel­er konzen­tri­ert. Inszena­torische Mätzchen gibt es hier keine, eine reine, klare Lehre ste­ht hin­ter jen­em Entwurf. Gottschefs Antigone zeigt die volle Stärke dieser höchst arti­fiziellen Kun­st der Konzen­tra­tion, aber auch ihre elendi­ge Schwäche.

Ein grandios­es Ensem­ble hat er sich der Alt­meis­ter da beset­zt. Ziolkoswka, Beglau, Graw­ert, Niehaus, Geiße, Thormey­er – kun­stre­iche Artis­ten ihrer Zun­ft sind sie alle. Dimiter Gottscheff liebt dieses Ensem­ble, er hat sie geführt, in offen­bar inten­siv­er Kör­p­er- und Rau­mar­beit einge­fügt in die knappe Geschichte des Mäd­chens Antigone, das sich Willkür und Räson nicht unterord­net. Antigone trauert, rot­gerän­dert die Augen, in Ges­tus und Sprache “ver­rückt”, aus der Welt. Patrycia Ziolkoswka gibt dem eine dur­chaus groteske Form der kör­per­lichen Ent­gren­zung – in eck­iger Bewe­gung, verz­er­rter Hock­hal­tung, ist sie ein aus der Welt der Kon­for­mität taumel­nder, arhyth­mis­ch­er Gegen­pol zum Theben­staat des bekränzten Orgel­trak­tier­ers Kre­on. Ihre Sprache ist gle­ichar­tig ver­formt, dis­parat phrasiert, mech­a­nisch. Kein Aus­druck mehr. Um so mehr das Bemühen aller Anderen, irgen­deine Form dieses Aus­drucks zu find­en, sei es sin­gend, Räume suchend, Posi­tio­nen ein­nehmend.

Über­haupt ist da so etwas wie Musik bei Gottscheff. Das meint nicht Sanges­fet­zen, nicht orgel­be­gleit­eten Diskant und auch nicht die gele­gentlichen Tubatöne Thomas Niehaus’ Hämon, dem außer diesem Tonge­grun­ze nicht mehr viel an Entäußerung geblieben ist.

Sedierung und Reduk­tion auch hier, Sprachlosigkeit. Vielmehr ist es die Gegenüber­stel­lung der Dishar­monie zwis­chen der nach außen gekehrten Welt des The­baner­staats und der Stil­isierung der Innen­welt Antigones. Am stärk­sten wird das im Abge­sang Antigones, stampfend rhyth­misch, gegen­läu­fig besprochen – und immer wieder ver­suchen Thebens Stim­men, dirigiert vom Konz­ert­meis­ter Kre­on an seinem Instru­ment, all das in Har­monie zu ertränken. Gle­ich den Andrew-Sis­ters, mit der Sauce des viel­stim­mi­gen Wohlk­langs um sich träufel­nd, ste­hen Christi­na Geiße, Bib­iana Beglau und Oda Thormey­er hin­ter den Stand­mikro­fo­nen, für Antigone bleibt Charons Nachen auf dem trä­gen Flusse, Acheron. Hier ist ein kaltes Ende, das gle­ichkalte Stück geht weit­er.

Und dann stockt nun auch der Fluss dessen, was einen an diesem Stück inter­essieren kön­nte. So aktiv all die Vir­tu­osen da weit­er­hin agieren, immer wieder schweift der Blick nach oben, zu den Licht­brück­en. Dort bewe­gen sich seit dem Beginn, wohl nur aus dem Par­kett voll ein­sichtig, wun­der­liche Maschi­nen, schwa­nen­gle­ich fab­rizieren gelbe Kun­st­stoff­schläuche einen Regen aus rauchge­füllte Seifen­blasen, die gemäch­lich zu Boden sinken und dort oder früher zer­platzen. Was bleibt, ist – trotz der knapp gestrich­enen anderthalb Stun­den, das, was man im Sport “Zeit schin­den” nen­nen würde. Und gäbe es nicht die phänom­e­nale Bib­iana Beglau, die den großen Chor­part zum Ende allein bewältigt und dabei ihre ganze Kun­st zeigen kann und auch muss, der Abend wäre the­atralisch schon viel früher been­det gewe­sen. Und eines ist gewiss: Die Zeit dieses the­o­retisieren­den The­aters ist eben­falls been­det.

 

Dup­didupp (Quelle: Thalia The­ater)

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