Küsse-Bisse

Patrycia Ziolkowska als »Penthesilea« im Thalia in der Gaußstraße

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 Bissfest (Bild: © Matt Cooper - Fotolia.com)

Ein schw­er­er Text und beina­he eine unlös­bare Auf­gabe: Kleists Penthe­silea auf ein­er Stu­diobühne. Unser Gastkolum­nist Hans-Jür­gen Bene­dict, seit Kurzem für Reli­gion und Gesellschaft im HHF ver­ant­wortlich, war beein­druckt. Eine per­sön­liche Betra­ch­tung:

Hein­rich von Kleists Penthe­silea ist kaum spiel­bar. Ein unge­heuer­lich­es Stück, das an die Abgründe von Liebe, Gewalt und Zer­ris­senheit rührt. Goethe war entset­zt von diesem Hor­ror­dra­ma, ganz das Gegen­stück sein­er “ver­flucht huma­nen” Iphi­ge­nie.

Kleists Dra­ma ist ein Meis­ter­w­erk der Sprache. Augen ver­suchen zu erzählen, was sie sehen. Die atem­losen Verse schießen wie ein Katarakt dahin. Das Schlacht­feld des Stück­es ist eigentlich die Sprache.

Eine der­ar­tige eben­so ver­let­zlich-zärtliche  wie auf­brausend-wütende Sprachge­walt­musik wie diese in der “Ein­rich­tung” von Christi­na Rat­ka am Thalia in der Gaußs­traße habe ich sel­ten erlebt. Es ist die Macht des ago­nalen Kampfes, vor allem aber die des ero­tis­chen Begehrens, die als Unter­drück­te sich in unge­heuer­lichen Bildern und Ver­gle­ichen Bahn bricht und  einen Sprachraum ver­schafft.

Die Sprache ist wie ein wilder Fluß, der auf seinen schäu­menden Wellen einen tanzen­den bekränzten Nachen mit irr han­del­nden  Insassen vorantreibt. Noch heit­er schön in der Schilderung des Rosen­fests der Ama­zo­nen, erschüt­tert  beim Ster­ben der Mut­ter, dann auf­jauchzend-erwartungsvoll in der  Begeg­nung mit dem “Lieben, Wilden, Süßen, Schreck­lichen”, staunend-zärtlich in dem Ereiltwer­den durch den Gott der Liebe, grausam kalt, gewalt­tätig im Auf­bruch zum Kampf.

Patri­cia Ziolkowskas Penthe­silea spricht das alles mit sich immer wieder steigern­der Inten­sität, im Auf und Ab der sich wider­stre­i­t­en­den Gefüh­le, mit flam­men­dem Blick, mit Geschrei und Geflüster. Die Musikalität der Kleistschen Verse blüht auf. Selb­st dort,wo die schändliche Tötung und Abschlach­tung des Achill  detail­liert an der Gren­ze zur Per­ver­sität berichtet wird.

Ruth Klüger hat in einem Artikel darauf hingewiesen, dass Penthe­silea sich mit ihrem nekrophil-per­versen Ver­hal­ten von den Prinzip­i­en des Ama­zo­nen­staats ent­fer­nt, deswe­gen auch das Entset­zen ihrer Gefährtin­nen über ihr Ver­hal­ten. Ihr aggres­sives Han­deln: Hunde het­zen auf den Geliebten und ihn Zer­reißen als koital­en Liebe­sakt, kor­re­spondiert dem Achills, der auch in sein­er Schilderung von  Liebe die Hunde-Meta­pher ver­wen­det. Bei­de bege­hen eine Tabu-Ver­let­zung, Achill mit dem Schleifen des Leich­nams Hek­tors, Penthe­silea in ihrer tödlichen Liebes-Raserei.

Es ist ja  merk­würdig – die Schaus­pielerin spielt eigentlich nicht, sie ste­ht hin­ter einem Pult, auf dem der Text liegt, in der unwirtlich auss­chauen­den Gaußs­traßen-Garage. Aber in dem Flusse ihrer Sprechge­walt, in dem ern­sthaften Blick dieser großen Tragödin, in ihren unter­stützen­den Gesten  geht einem die schreck­liche Schön­heit dieses Textes, dieses  Liebes-Trau­ma aus fern­er und doch so naher Zeit ganz anders auf, als wenn es ein durchge­spieltes Stück  mit Kostü­men und Büh­nen­bild wäre.

Quälend-ungläu­big Worte suchend für das Unge­heure, das sie getan: “Mit diesen kleinen Hän­den hätt ich ihn-? Und dieser Mund hier, der die Liebe schwellt. Ach zu ganz anderm Dienst gemacht, als ihn-Die hät­ten lustig stets einan­der helfend/Mund jet­zt und Hand und Hand und wieder Mund-?”

Als sie begreift dass sie ihn zer­ris­sen, nicht geküßt hat , spricht sie jene beängsti­gend naiv­en  Zeilen, die ich, seit ich sie zum ersten mal gele­sen, nicht vergessen kann: “So war es ein Verse­hen. Küsse, Bisse/das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,/Kann schon das eine für das andre greifen.”

Dies nachge­holte Liebes­beken­nt­nis führt zu ein­er fast per­vers schö­nen Imag­i­na­tion – jeman­den aus Liebe fressen: “Sieh her, als ich an deinem Halse hing/hab ichs wahrhaftig Wort für Wort getan./ Ich war nicht so ver­rückt als es wohl schien.”  Schwärmer, der ich bin, behaupte ich: wenn der Geheim­rat Goethe Patri­cia Ziolkows­ka als Penthe­silea erlebt und gehört hätte,  vielle­icht hätte er sein neg­a­tives Urteil über das Stück rev­i­diert.

Post­skript: All sein Unglück und sein Glück, seine Verzwei­flung und seine Hingabe hat der Dichter, dem nach eigen­er Aus­sage “auf Erden nicht zu helfen war”, in diese Fig­ur gelegt. In den Sprachkaskaden gibt er der fatal­en Liebeshem­mung Aus­druck, die ihn und seine Heldin bedrängt. Als er in Hen­ri­ette Vogel einen Men­schen, eine Frau find­et, die ihn zu ver­ste­hen scheint, ist es schon zu spät.  Sie feiern ein let­ztes Mal das Leben und lassen es dann los im gemein­samen Selb­st­mord.

In der Todesli­tanei der bei­den, erst 100 Jahre später aufge­fun­den, drück­en sie das aus, was sie im Leben nicht leben kon­nten: “O Lieb­ste, wie nenn ich dich.” Man hätte diesen Penthe­silea-Abend sicher­lich auch mit dieser Litanei schön­ster Liebesna­men im Angesicht des Todes been­den kön­nen: “Mein Hein­rich, mein Süßtö­nen­der, mein Hyazinthen­beet, …”  – “Mein Jettchen, mein Herzchen, mein Liebes, mein Lebenslicht, …”  Hier, in dieser blu­mi­gen Litanei und dem darauf fol­gen­den Selb­st­mord erfüllt sich, was jen­er unge­heure Satz aus Goethes Wahlver­wandtschaften benen­nt: “Wie ein Stern, der vom Him­mel fällt, fuhr die Hoff­nung über ihre Häupter hin­weg.”

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