Kunst? Eher Obsession und Zwiespalt!

Keine leichte Kost zum Thema Terror

Angesichts ein­er aktuellen Ausstel­lung im Ham­burg­er Kun­stvere­in drängt sich die Frage auf: Was bedeutet Kun­st? Ich habe über­legt, ob ich über­haupt darüber schreiben soll. Eigentlich sollte diesem The­ma eine solche Aufmerk­samkeit über­haupt nicht zuteil wer­den.

Denn es ist keine Kun­stausstel­lung im herkömm­lichen Sinne – diese Schau mit dem Titel Decod­ing Fear – über­set­zt Entschlüs­selung der Angst – ist viel eher eine geschichtliche Doku­menten­samm­lung, ja schreckt durch das akribis­che, jahrzehn­te­lange Zusam­men­su­chen beina­he ab. Ein Filmemach­er präsen­tiert Eremiten, die zu Ter­ror­is­ten wur­den oder Auf­stände unter­stützten: Seit den Achtzigern gesam­melt und gesichtet, wid­met sich der Amerikan­er James Ben­ning – eigentlich bekan­nt als exper­i­menteller Filmemach­er – den kom­plex­en The­men­feldern Angst, Ter­ror, Tech­nik – und zwis­chen allen Stühlen hockt der Men­sch.

Die bild­ner­ischen Arbeit­en set­zen sich mit tech­nol­o­gis­chen Entwick­lun­gen und ihren gesellschaftlichen Kon­se­quen­zen auseinan­der. Der große amerikanis­che Traum? Wohl eher das Gegen­teil, ein Alb­traum zeigt sich in das Korsett ein­er Kun­st-Insti­tu­tion gezwun­gen: Hier wer­den Indi­viduen analysiert in ihrem Unver­mö­gen, mit den Errun­gen­schaften seit Beginn der Indus­tri­al­isierung zurechtzukom­men, sie wer­den zu Out­sidern. Lebenssi­t­u­a­tio­nen wer­den nachemp­fun­den, Kor­re­spon­den­zen ger­ahmt, zwei Hüt­ten nachge­baut und Aus­blicke aus diesen Hüt­ten mit Orig­i­nal-vor-Ort-Ton­spule gezeigt. Lange Film­se­quen­zen, die den unvor­bere­it­eten Besuch­er auf die Probe stellen.

Einige Men­schen kom­men nicht klar mit unbe­gren­zten Möglichkeit­en, Frei­heit und Unab­hängigkeit. Ein gigan­tis­ch­er Zwies­palt klafft zwis­chen tech­nis­chem Fortschritt und Frei­heits­drang im glo­r­re­ichen Ameri­ka. Ben­ning beschäftigt sich bis ins kle­in­ste Detail mit seinen Land­sleuten, vor­rangig mit dem Philosophen Hen­ry David Thore­au (1817 – 1862), der den Abo­li­tion­is­ten John Brown (1800 — 1859, Tod durch Erhän­gen) in seinem gewalt­samen Kampf gegen die Sklaverei in den USA unter­stützte und dem Math­e­matik­er Theodor Kaczyn­s­ki (* 1942), der zwis­chen 1976 und 1998 als Unabomber (= Uni­ver­si­ty- and Air­line-Bomber) bekan­nt wurde. Bei­de lebten ger­aume Zeit in ein­er ein­samen Wald­hütte, um sich von der indus­tri­al­isierten Mas­sen­ge­sellschaft der USA abzuwen­den. Der Kün­stler beobachtet, unter­sucht, beze­ich­net sich selb­st als obses­siv, um die Obses­sio­nen ander­er zu ver­ste­hen, indem er sie nachvol­lzieht. Und hier begin­nt der Stre­it über die Kun­stsin­nigkeit. In Deutsch­land im Grundge­setz ver­ankert, ist Kun­st das, was der Kün­stler als Kun­st beze­ich­net, Punkt.

Die Aus­dauer und das Auf­nah­mev­er­mö­gen des Betra­chters wer­den so auf eine harte Probe gestellt – hält er das über­haupt noch aus in unser­er durchge­tak­teten Zeit? Den­noch greifen die Mach­er der Ausstel­lung ein aktuell hochbrisantes The­ma auf: Wie wollen wir leben in unser­er Gesellschaft? Die Antworten muss natür­lich jed­er für sich selb­st find­en. Doch es stimmt schon, dass die Angst vor Einen­gung wächst. Die Angst davor, dass tech­nol­o­gis­ch­er Fortschritt uns die Frei­heit raubt – auch die schöne (nicht) neue Handyüberwachung durch die NSA gehört dazu. Tech­nik aus Ameri­ka über­rollt den Men­schen eben.

Aber Smart­phone oder Tablet braucht man hier­für, um sich – dem Fortschritt sei übri­gens an dieser Stelle auch mal gedankt – mit der Materie näher zu beschäfti­gen und sämtliche Infor­ma­tio­nen, die für diese Mate­r­i­al-Zusam­men­stel­lung zum Ver­ständ­nis drin­gend von­nöten sind, auf eigene Faust zu recher­chieren. Denn ohne Hin­ter­grund­wis­sen macht die Schau schon gar keinen Sinn.

Wer die Ausstel­lung im ersten Stock betritt, sieht zunächst eine überdi­men­sion­al große Tage­buch­seite von Kaczyn­s­ki, geschrieben 1983. Da lebte dieser schon 13 Jahre zurück­ge­zo­gen und vol­lkom­men allein in einem Wald in Mon­tana in ein­er selb­st­gez­im­merten Holzhütte. Er beze­ich­net sich selb­st als Anar­chist und fühlt sich Mot­ten, Würmern und Spin­nen näher als Men­schen, da er den Tieren niemals etwas zu zulei­de tun könne. Doch er ist für den Tod dreier Men­schen und zahlre­iche Ver­let­zte durch selb­st­ge­bastelte Brief­bomben ver­ant­wortlich.

26 Jahre lang, von 1970 bis zu sein­er Fes­t­nahme 1996, lebte Kaczyn­s­ki in knapp 11 Quadrat­metern Hütte auf einem Grund­stück von über 5000 Quadrat­metern, baute zwis­chen 1978 und 1995 16 Brief­bomben. Und hat in seinen Tage­büch­ern einen Code benutzt, den die US-Bun­de­spolizei FBI jahre­lang nicht dechiffrieren kon­nte. Diese ver­schlüs­sel­ten Textpas­sagen zeich­net Ben­ning beson­ders gerne nach, er ist ja auch Math­e­matik­er, wie Kaczyn­s­ki.

Im Juni 1995 ver­schick­te Kaczyn­s­ki anonym ein 35.000 Wörter langes Pam­phlet mit dem Titel Die indus­trielle Gesellschaft und ihre Zukun­ft (= Indus­tri­al Soci­ety and Its Future), auch bekan­nt als das Unabomber-Man­i­fest, an die New York Times und die Wash­ing­ton Post. Diese soll­ten den Text exakt so druck­en, und er würde die Bombe­nat­ten­tate been­den. Am 19. Sep­tem­ber 1995 druck­ten es bei­de Zeitun­gen, nach­dem sich auch Staat­san­wälte und FBI dafür aus­ge­sprochen hat­ten.

Eben­so ste­ht der erste Absatz eines Kapi­tels aus dem Buch Walden (erschienen 1854) des US-amerikanis­chen Philosophen und Schrift­stellers Hen­ry David Thore­au zu lesen. Dieser hat­te sich 1845 in die Wälder von Mass­a­chu­setts verkrochen, um in ein­er kar­gen Hütte für zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage der indus­tri­al­isierten Mas­sen­ge­sellschaft der damals jun­gen USA den Rück­en zu kehren. So fasste Thore­au ein Essay namens Resis­tance to Civ­il Gov­ern­ment (1849) zusam­men, bekan­nt gewor­den unter dem späteren Titel Civ­il Dis­obe­di­ence (= Über die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat). Die Schrift war etwa für Mahat­ma Gand­hi und Mar­tin Luther King Inspi­ra­tionsquelle für den gewalt­freien Wider­stand gegen die Obrigkeit von Bedeu­tung und wirkt bis heute im Sinne des zivilen Unge­hor­sams weit­er. Mitte des 19. Jahrhun­derts waren schon die ersten Anze­ichen von Erschöp­fung des Men­schen durch die serielle Pro­duk­tion mit den großen Maschi­nen zu spüren, das, was wir heute Burnout nen­nen. Das, was sich jet­zt in den 2000ern bei vie­len Men­schen wieder­holt. Eine tech­nis­che Erschöp­fung, gepaart mit Het­ze und dem Über­all-und-dauernd-erre­ich­bar-Sein.

Thore­au brauchte Ruhe, er wollte “back to the roots” und wollte ler­nen. Und das könne man nur durch Beobach­tung, so seine Ansicht, und diese Beobach­tung müsse prak­tiziert wer­den. So sieht es auch Ben­ning. Aufmerk­same Stu­di­en bräucht­en eben ihre Zeit. Das spiegelt sich in Ben­nings Fil­men wider: lan­gat­mige Sequen­zen von Zügen – mit der Eisen­bahn kam der Fortschritt ja über­haupt erst in Schwung – und Land­schaft­sauf­nah­men, oft­mals in nur ein­er Ein­stel­lung gefilmt.

Bei­de – Thore­au und Kaczyn­s­ki – faszinieren Ben­ning, beson­ders Kaczyn­s­ki in seinem extremen Ego­is­mus, sodass er sich sehr neben seinem filmis­chen Werk ab den Achtzigern auf die bei­den konzen­tri­ert. Er meint, sie ähneln sich durch ihren Kampf gegen Unter­drück­ung in der Gesellschaft durch Masse­naus­beu­tung und Sklaverei, tech­nol­o­gis­chem Fortschritt und unfrei­willi­gen Hand­lun­gen. Auch der Kün­stler lebte in den Siebziger­jahren eine Zeit lang in ein­er kleinen Holzhütte. Das eint Ben­ning mit bei­den. Mit Kaczyn­s­ki verbindet ihn ins­beson­dere das gle­iche Geburt­s­jahr 1942, die ein­fachen Ver­hält­nisse und das Math­e­matik­studi­um. So kor­re­spondieren der Film-Kün­stler und der lebenslang inhaftierte Kaczyn­s­ki immer wieder mal schriftlich, auch das wird in der Ausstel­lung doku­men­tiert.

Mit James Ben­nings erster Einze­lausstel­lung muss der Besuch­er sich inten­siv auseinan­der­set­zen. »Die Schau braucht Zeit«, sind Direk­torin Bet­ti­na Stein­brügge und der Kün­stler aus Kali­fornien sich einig.

Dabei befremdet die Machart des Kün­stlers: Ben­ning scheint mehr besessen denn lei­den­schaftlich zu beobacht­en. Warum will er diesen Wahnsinn zeigen? Er arbeit­et allein, zeich­net nach, um zu ver­ste­hen. Er will eruieren: Was macht einen Men­schen zum Ter­ror­is­ten?

Doch die genaue Antwort darauf weiß nie­mand. Und find­et diese auch nicht in einem Kun­stvere­in. Die Angst hat Ben­ning nicht entschlüs­selt.

 

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