Große Werkhalle, frische Luft, Kunst und Objekte. Locker gehängt, geklebt, platziert, verschraubt an Baugerüsten, dem nackten Boden, der hohen Hallendecke, dazu hämmernde Housebeats – und drumherum eine ganze Menge Publikum: So präsentierte sich eine neue Kunstmesse an ihrem Vernissageabend.
Kunstwerker, Performanceproduzenten und Ausstellungsmacher mischten sich unters Betrachtervolk, man flanierte so durch die Planenwelt, mit denen die Baugerüste behängt waren, um zumindest eine kleine räumliche Trennung in der rund 2000 Quadratmeter großen Halle zu erzielen. Erste Gespräche über die Werke und mit den Künstlern, luftiger Meinungsdiskurs auf Augenhöhe, Fotos machen mit Getränk in der Hand — das alles ergab eine erfrischende Atmosphäre ohne zu intellektuelle Schwere.
Vor allem ungebunden sollten die Künstler sein: Das alte Industriegelände in Ottensen, auf dem einst Kolben gefertigt wurden, war Schauplatz der ambitionierten Produzentenmesse. Die “Producers artfair”, kurz “P/ART 13”, wollte Kunst und Betrachter direkt zusammenbringen, ohne Zwischenschaltung von Galerie, Vermittler, Auktionshaus oder Manager im weitesten Sinne.
Nicht neu, die Idee, aber doch wieder erfrischend. Mit neuen Aspekten. Und engagierten Künstlern, die ihre Vision selbst mit Leidenschaft zeigten: Sie bestimmten ihre Preise selbst und konnten direkt mit Besuchern ins Gespräch kommen. Auch Werke unter 1000 Euro sollten angeboten werden, so die Maßgabe der Messeveranstalter. Doch auch diese Messe kam nicht ganz ohne internationales Flair aus: Mit von der Partie waren national, von Nord nach Süd gestreute Maler, Bildhauer, Fotografen, aber auch Performance-Künstler mit Lokalkolorit. Zudem Kunst aus Kopenhagen und Kapstadt.
Für die Auswahl hatten die acht Organisatoren eine siebenköpfige Jury zusammengestellt, darunter die Fotografin Esther Haase, Belinda Grace Gardner, freie Kuratorin und Kunstkritikerin und den Architekten und Kunstsammler Tilmann Kriesel. Diese hatten die mehr als 400 Bewerbungen gesichtet und schon eine ganze Menge an Kunst mit Potential für die erste PART-Messe ausgewählt.
Den jungen Ausstellungsmachern war die unmittelbare Berührung von Kunstschaffenden und Betrachtern wichtig. Die Schau sollte dann auch in einem anderen Rahmen gezeigt werden, als es gemeinhin üblich ist. Deshalb die ehemalige Produktionshalle, die eine rustikale, arbeitsame Werkstattatmosphäre hervorrief.
Und deshalb die Baugerüste mit überzogenen, halbdurchsichtigen Planen statt normaler — weißer — Trennwände. Das Gelände wird schließlich seit über einhundert Jahren gewerblich genutzt — so wurden die zumeist aus 2013 stammenden Werke noch von raumimmanenter Industriepatina überzogen. In dieser Arbeitsluft positionierten sich die Künstler in ihren von leichter Gaze umwobenen Gerüstkojen und sprachen über ihre Werke. Mit Kunstbetrachtern ebenso wie mit Kojen-Nachbarn.
Und die Besucher sollten sich “frei zwischen Orten der Aktion und Orten der Ruhe” bewegen können. So gut die Idee, so schwer umsetzbar in ihrer Gänze. Denn aufgrund des Hallencharakters potenzierte sich mitunter ein lautstarkes Gemisch aus Unterhaltung, hörbaren Installationen und Music-Acts. Zudem drängelte man sich in einigen Kunstkojen besonders, andere Objekte waren gar so versteckt zwischen Plane und Hallenwand, dass sie eher beiläufig entdeckt oder schlicht überlaufen wurden.
Beschauen, befragen und aushandeln konnten die Kunstmesse-Besucher vom 19. bis 22. September bei insgesamt 71 Künstlern. Am Vernissageabend gab es gleich zwei Performances zu sehen, eine eher selten gewordene Disziplin in Hamburg: Eine Gemeinschaftsarbeit von Stephan Jäschke und Jivan Frenster sowie eine getanzte Darbietung von Anik Lazar.
Lazar platzierte ihre Tanz-Performance in der eigenen Installation namens “Poledance”. Cindy, Mandy, Sascha und Jenny hießen die statischen Tänzerinnen, aus etwas über zwei Meter hoch übereinander gestapelten Radkappen bestehend. Laut hämmernde Beats begleiteten Lazars laszive Bewegungen an der Poledancestange, um sie herum die stummen Statistinnen.
Eindringlich, laut, schnell. “Ich möchte Position beziehen. Mit einer Mischung aus Pathos und Humor, ohne dabei ironisch zu werden”, so die junge Hamburger Künstlerin, die unter anderem an der HfBK am Lerchenfeld bei Norbert Schwontkowski und Anselm Reyle studiert hat.
Ungleich ruhiger dagegen die malerisch angelegten Bilder des in Berlin lebenden norwegischen Fotokünstlers Hege Dons Samset, wie etwa “Cleaner hoovering the beach” (aus der Serie “Workers”, 2001–2009, 80 x 120 cm. RA 4 C print, handmade, 2006).
Schon der Titel ist ein Paradoxon: Die Person staubsaugt im Moment gar nicht. Der Betrachter steht gleichsam hinter der Frau, die mit blauer Jogginghose und Turnschuhen bekleidet, den Staubsauger in der Linken, am Strand steht und den Horizont entlangsieht.
Das Stromkabel verliert sich im Sand. Im Hintergrund zeichnet sich trübe eine helle Hochhaussiedlung ab, davor eine Wasserrutsche oder etwas Ähnliches aus dem Vergnügungsparksegment. Sinniert sie über den Aufwand, der vor ihr liegt? Ist sie allein gelassen worden? Oder beobachtet sie etwas?
Samset will Geschichten erzählen, dabei drehen sich seine Arbeiten um die “Beziehung zwischen Mensch und Natur, und wie man mit den Umständen, die das Leben einem gibt, leben und umgehen kann”. Dazu gehören auch die Probleme als Outsider.
Die Bildhauerin Katja Aufleger hat in ihrer Installation “sum of its parts” (Ton auf Vinyl, 12 Zoll, 2 x 20 Minuten, 2012) die Erdoberfläche auf einer Schallplatte hörbar werden lassen. Dabei werden die Höhenmeter der Erde “in Tonhöhen transferiert: Für jeden Meter über dem Meeresspiegel 1 Hertz. Der Standard-Kammerton a1 hat eine Frequenz von 440 Hertz; ein 440 Meter hoher Berg gibt demnach genau dieses a wieder, ein Berg mit 880 Metern klingt eine Oktave höher. Der Mount Everest ist mit 8.848 Hertz der höchste Ton auf der Schallplatte, der Meeresspiegel gibt mit seiner Nullhöhe die Pausen vor.”
Diese Topografie klingt eher wie ein pulsierender, unregelmäßiger Herzschlag, man muss sich “reinhören”, gerade wenn man sich mit den Höhenbegebenheiten nicht gut auskennt. Trotzdem ein interessantes Projekt, allerdings schlecht platziert neben dem Hamburger Graffiti-Kitsch-Versatzkünstler Elmar Lause. Dieser lenkt mit den rollenden Augen seines dunkel-grimmigen Werks “Knorg” (Acryl und Mischtechnik auf Leinwand, 120 x 140 cm, 2013) allzu sehr ab von der sachlich-technisch ausgefeilten Aufleger-Arbeit.
In einer anderen Koje, auf Europaletten wackelig gesetzt, das karg-kantige “Battlefield” (Holz, Beton, Stahl , 30 x 30 cm, 2013) des syrischen Bildhauers Manaf Halbouni. Die Betrachter können außen herumgehen, sich hinknien, es von Nahem in Augenschein nehmen. Das Schachspiel bezieht ganz deutlich Stellung:
“Bei der Arbeit ging es mir darum, eine neutrale Aussage zum Bürgerkrieg in meinem Heimatland Syrien zum Ausdruck zu bringen, da der Krieg inzwischen komplizierte Dimensionen erreicht hat”, so der 1984 in Damaskus geborene Künstler.
“Durch die Versetzung der Spielfelder in Höhe und Tiefe habe ich für die Spielfiguren Schützengräben erschaffen, die zu Verteidigung und Angriff dienen. Das verwendete Material Beton verstärkt die brachiale Optik des Schlachtfeldes.”
An den weiteren Tagen gab es zudem Führungen, Künstlergespräche, Live-Kunst-Acts, Podiumsdiskussionen und Musik. Kunstgenuss kommt dabei also kaum mehr ohne Drumherum aus.
Trotzdem, die Mischung macht’s: So lebhaft und erfrischend unelitär hat sich lange keine Kunstmesse mehr in Hamburg vorgestellt. Eventcharakter hin oder her, ein Kunst-Feld ist auch ein weites, und das will bespielt werden.
Jetzt nur nicht aufgeben: Die Macher müssen noch Durchhaltevermögen und Planungsgeist beweisen, gerade auch weil die Künstler viel Feedback bekamen und das eine oder andere Werk verkaufen konnten.
Postscriptum: Vielleicht war ja auch etwas für den immer noch nicht enttarnten “Kunstbeutel” dabei? Dieser ist derzeit in Sachen Kunstförderung seitens der Kulturbehörde beordert, Künstler in Hamburg zu fördern! Und es tummelten sich einige Hamburger Künstler.
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