Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne überziehen die Kräne, Hallen und Container auf dem Blohm & Voss Gelände mit einem goldenen Schimmer. Und dann ertönt das alles durchdringende Schiffshorn der Queen Elizabeth, die sich nur ein paar Meter entfernt in einem der Docks befindet. Dies ist ein Moment, den man sicherlich in einem Buch mit den “100 hamburgischsten Momenten” verewigen würde. Und er war nur den Besuchern des Elbjazz-Festivals vergönnt, da das Blohm & Voss Werftgelände den Rest des Jahres für die Öffentlichkeit verschlossen bleibt.
In und um diese industrieromantische Postkartenkulisse fanden beim diesjährigen Elbjazz am 23. und 24. Mai 60 Konzerte auf zehn verschiedenen Bühnen statt. Dabei wurden die Genregrenzen des Jazz abermals bis zum Äußersten ausgelotet. Auch wenn dieses Jahr im Line-Up auf bekannte Namen aus dem Pop- oder Elektronik-Bereich verzichtet wurde, lässt sich hier der Pop anscheinend vom Jazz nicht lösen. Zumindest nicht, so hat es den Anschein, wenn man den Anspruch verfolgt, eine sehr, sehr breite Masse ansprechen zu wollen.
Auch der Headliner des Festivals, Gregory Porter, ist durchaus ein diskussionswürdiger Kandidat, wenn es um seine Genre-Zuordnung geht. Aber, für die Elbjazz- Initiatoren ist er ein wahres Geschenk, da er derzeit mit dem Etikett “der größte Jazz-Sänger unserer Zeit” beworben wird, und mit hohen Chartplatzierungen und ausverkauften Konzerten aufwarten kann. Neben den anderen großen wie Namen Hugh Masekela und Dianne Reeves, wird er für viele ein Hauptanreiz für den Besuch dieses Festivals gewesen sein. Sein Auftritt bei Elbjazz war aufgrund einer Unwetterwarnung schon fast in Gefahr …
Die interessanteren Programmpunkte fand man auch in diesem Jahr eher abseits der großen Bühnen. Neben dem Herzstück des Festivals, den drei Bühnen auf dem Blohm & Voss Gelände, befanden sich in diesem Jahr die anderen Spielorte auf dem anderen Elbufer in Nähe der Hafencity und Speicherstadt. Es war also wieder Venue-Hopping rund um den Hamburger Hafen angesagt, per Rad, Bus oder Barkasse.
Dort liegt derzeit am Strandkai das ehemalige DDR-Fisch-Fangschiff MS Stubnitz vor Anker, das schon seit mehreren Jahren als mobiler Kultur-Spielort die Hafenstädte anfährt und die Elbjazz Besucher in den einstmaligen Lagerräumen und Kühlkammern empfängt. Eigentlich ist es eine große Blechbüchse, die aber in ihrem Stahlbauch aber mit einer erstaunlich guten Akustik und heimeligen Atmosphäre glänzen kann.
Benny Greb konnte am Freitag viele junge Menschen anlocken, die ihn mit seiner neue Formation Moving Parts sehen wollten. Er hat sich vor kurzer Zeit mit den britischen Musikern Kit Downes am Keyboard und Chris Montague an der Gitarre zusammengetan, und tüftelt mit ihnen gemeinsam Sounds aus, die sich zwischen klarer Rhythmik und spielfreudigen Improvisationen bewegen. Ein begeisterter Konzertbesucher bezeichnete diesen Auftritt danach durchaus passend als eine “Gehirnmassage”.
In der Maschinenhalle auf dem Blohm & Voss Gelände schraubten die schwedischen Grammy-Preisträger Tonbruket — auf Deutsch “Klangwerkstatt” — Filmmusik-taugliche Klangbilder zusammen. Ob angelockt von der Musik oder der namhaften Zusammensetzung des Quartetts, u. a. bestehend aus dem ehemaligen e.s.t. Bassisten Dan Berglund und dem Soundtrack of our Lives Mitglied Martin Hederos, füllte sich die langgezogene Halle auf einmal sehr schnell.
Tonbruket konnten bei den Zuhörern Geschichten im Kopf entstehen lassen, zwischen Grillengezirpe auf dem Land und Verfolgungsjagden in der Stadt, melancholischeren Passagen mit langsamen Solo-Piano Part oder arabischen Klängen. Zwar öffneten sie dabei unterschiedliche musikalische Schubladen, blieben aber immer gefällig und ohne größere Brüche.
Auf erfrischend sperrige Art und frei von jeglicher Jazz-Diva-Attitüde, präsentierte sich Rebekka Bakken nebenan an auf der Bühne am Helgen. Ganz schlicht in schwarz gekleidet, improvisiert zu den spröden Soundmustern von ihren Begleitern Eivind Aarset und Jan Bang. Und das ohne den Zuckerguss, den die Songs auf einigen ihrer Alben sonst haben. Ein paar wahre Fans blieben dann auch und sie hörten zu, doch die, die gingen, hatten mit dieser Rebekka Bakken so wohl nicht gerechnet.
Ein Szenenwechsel folgte dann am Abend auf der gleichen Bühne. Die Band Dirty Loops wurde mit Vorschusslorbeeren en masse bedacht – was es dann am Freitagabend auf dieser Bühne zu sehen und hören gab, erinnerte eher an eine dieser Coverbands, bei denen die Songs noch einmal mit einer Extra-Schicht süßem Sirup überzogen werden und ihnen noch zusätzlich ein 80er Jahre-Tuning mit Synthie-Sounds verpasst wurde.
Die Anzahl von Youtube-Klickzahlen ist nun in den meisten Fällen nicht äquivalent mit der musikalischen Qualität einer Band. Und wenn man sich schon einen Charthit wie “Wake me up” anhören muss, dann ist das Original noch immer erträglicher.
Zu einem ruhigeren Ausklang des Abends konnte man sich aber wieder auf die andere Elbseite in die Hauptkriche St. Katharinen begeben, und Stefano Bollani bei einem Soloauftritt am Flügel lauschen. Dies ist genau die richtige musikalische Untermalung für diejenigen, die gerne ihren Feierabend entspannt mit einem guten Glas Wein beschließen.
Am folgenden Tag stand die opulente Hauptorgel von St. Katharinen im Mittelpunkt, die von Daniel Stickan bespielt wurde, begleitet von Uwe Steinmetz am Saxofon und Efrat Alonys Gesang.
Das Anliegen des Projektes Waves feat. Alony liegt darin, den Jazz in Kirchen zu bringen. Und sie schaffen eine durchaus ungewohnte Art von Musik, auf die man sich einlassen muss und die nicht sofort zugänglich ist.
Aber, das wundersame an Konzerten in Kirchen ist aber, dass die Aura des Ortes allein schon eine beruhigende Wirkung auf die Zuschauer hat. Und wenn man sich dann auf diese Klangwelt einlässt, kann sie einen einhüllen und ihre meditative Wirkung entfalten. Und das ließ sich auch daran ablesen, dass die Zuhörer, die nicht gleich wieder flüchteten, dieses Konzert mit geschlossenen Augen erlebten.
Ein weiterer Elbjazz Spielort befand sich im Stage Theater Kehrwieder in der Speicherstadt, in dem eine durchaus angenehme Club-Stimmung herrschte. Aufgrund der Entfernung zu den anderen Orten lockte dieser auch wohl nur wirklich interessierte Hörer an. Hier konnte man am Samstagnachmittag dem Hamburger Saxofonisten Sebastian Gille zuhören.
Unter dem Titel Gille‘s Art featuring Jim Black, hat er ein fein besetztes internationales Quartett ins Leben gerufen. Jim Black streichelt sein Schlagzeug so behutsam, dass es summt oder flüstert, und wechselt dann wieder in einen kraftvollen, treibenden Rhythmus. Zusammen mit dem Pianisten Elias Stemeseder und dem Bassisten Jonas Westergaard schaukeln sie sich in Lautstärken‑, Tempi- und Rhythmuswechsel gegenseitig hoch und lassen es zum Schluss fulminant krachen.
Neben Ulita Knaus war Gille der einzige lokale Act, der es ins Hauptprogramm des Elbjazz geschafft hatte. Nur leider ist es dann etwas ungünstig, wenn die beiden Auftritte zur gleichen Zeit angesetzt waren – Jazzstadt Hamburg? Fehlanzeige.
Elizabeth Sheperd lud am Samstag auf der MS Stubnitz zu sanften Tönen ein, die sie fein, zurückhaltend und doch fluffig mit gut aufeinander abgestimmter Rhythmus-Sektion präsentierte. Die Kanadierin bewegte sich mit sanfter Stimme und ihrem pluckernden Nord Piano Sound zwischen Standards und Eigenkompositionen. Auch immer auf der Schwelle zwischen Pop und Jazz, aber wer jetzt “Norah Jones” sagt, muss Nachsitzen.
Und dann kam es doch, das wilde, ungezügelte Ding zum Festival: Als man nach dem Konzert aus dem Bauch des Schiffes wieder auf dem Deck auftauchte, hatte sich am Hamburger Himmel schon etwas zusammengebraut, was überhaupt nicht mehr nach Postkartenwetter aussah. Und dann ging auf einmal nichts mehr. Thalia Zelt und MS Stubnitz abgesperrt, der Fahrbetrieb der Barkassen wurde bis auf weiteres eingestellt.
Es kam der Regen, auf den viele Besucher mit ihrer Kleiderwahl tatsächlich nicht eingestellt waren. Es suchten daher viele Zuflucht im kargen Unilever Haus, das wie ein Flughafenterminal wirkte, wenn kurzfristig alle Flüge gestrichen wurden. Genauere Infos, wie es nun mit dem Programm weitergehen würde, gab es nur spärlich. So machten bald Gerüchte die Runde, das auch der Auftritt von Gregory Porter nicht mehr stattfinden könne …
Um 22 Uhr erreichte dann die erste Entwarnung die Wartenden: Gregory Porter, der Einzigartige, der Berühmte – er konnte dann statt um 22 Uhr nun erst um 23 Uhr auf der Bühne stehenl. Auch die blau leuchtende Louisiana Star tauchte wieder auf der Elbe auf und sollte die wartenden Fans über die Elbe bringen.
Auf dem schmucken Schaufelraddampfer waren den ganzen Samstag ebenfalls Konzerte geplant. Doch auch hier wurde das Unwetter der Zeitplan durcheinandergewirbelt, die musikalische Fahrtbegleitung wirkte wohl dadurch leicht improvisiert. War das jetzt der Soundcheck, oder hat das Kako Weiss Ensemble schon richtig angefangen?
Wer dann, endlich wieder angekommen bei Blohm &Voss, nicht den direkten Weg zum Schmusesound der Hauptbühne fand, wurde von verzerrten Gitarrensounds ins Innere der Maschinenbauhalle gesogen. Zwischen einer Vielzahl von wunderlichen Saiten‑, Tasten- und Rhythmusinstrumenten waren die vier junge Menschen der Band Wintergatan auszumachen.
Mit dieser Band führt Mulitinstrumentalist Martin Molin den Sound seines ehemaligen Projekts Detektivbyrån bei dem er schon Akkordeon‑, Glockenspiel- und Elektro-Sounds miteinander verwurschtelte, fort. In größerer Bandbesetzung wird daraus ein noch größeres Feuerwerk aus unterschiedlichen Melodien und Sounds, das in keine Genrebezeichnung passt, aber ganz bestimmt kein Jazz ist.
Als sich schon das Gefühl einschlich, dass nun allmählich die Luft wirklich raus sei, wurde man an der Bühne am Helgen von Gabby Young & other animals noch einmal umgestimmt. Die acht Musiker schmissen auf der Bühne erst gegen Mitternacht die Partymaschinerie an, und animierten die Zuschauer zum tanzen und mitsingen.
Sängerin – oder eher – Animateurin Gabby Young wirkte dabei mit ihren knallroten Haaren und dem hinreißenden Bühnenoutfit mit Tüllrüschen und Spitze wie ein stimmungsaufhellender Farbklecks, nach den vorangegangen Strapazen. Musikalisch kann man diese Formation irgendwo zwischen englischem Folk, schrillem Ballhaussound und Balkan und noch viel mehr verorten.
Aber, im Grunde ist es ein großes Happening, das einfach Spaß macht und auf große Bühnen gehört. Und wer sich nach dieser Show auf den Heimweg machte, tat dies vielleicht mit nassen Füßen, aber bestimmt mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Mit zeitgenössischem Jazz und der so lebendigen Hamburger Jazzszene hat dieses Festival allerdings nichts zu tun. Diese blüht anscheinend vorwiegend im Verborgenen, hier erwarten darf man sie wohl nicht, vielleicht haben sie die Macher des “Elbjazz” auch einfach noch nicht gefunden in den vergangenen vier Jahren.
Vielleicht sollte man sich auch anders nennen. “Smoothie-Klänge-im-Hafen-Festival” wäre ja auch eine Möglichkeit, dann kann man noch ein paar norwegische Tenorsaxophonisten mehr einladen. Das gefällt dann bestimmt auch noch mehr Leuten.
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