lear. no thing. no think.

König Lear am Deutschen Schauspielhaus, eingerichtet von Georg Schmiedleitner

“Nay, and thou canst not smile as the wind sits, thou’lt catch cold short­ly.”  – King Lear, I, 4

Man soll ja nicht ins The­ater gehen, wenn man ver­grippt ist – allein, um sich zu scho­nen und auch die anderen nicht mit seinen unge­planten Lautäußerun­gen zu belästi­gen. Wenn allerd­ings eine Lear-Pre­miere am Deutschen Schaus­piel­haus anste­ht, dann wird man schon mal leichtsin­nig. Ein gross­es Stück, ein wichtiges Stück, und das Haus kön­nte mal endlich wieder einen Erfolg ver­tra­gen. Unter diesen Vorze­ichen ist es dann aber auch schw­er,  ein gutes Ende zu erwarten. So war es dann auch bei Georg Schmiedleit­ners Lear am Sam­stag. Also nur ein Ein­druck, keine Besprechung – und so begin­nt er denn, der Ein­druck:

Das schön­ste Bild des Abends, ein nacht­blauer, leicht im Luftzug schwin­gen­der Vorhang, aufge­hängt zwis­chen zwei papiere­nen Säulen, natron­braun. Die erste Expo­si­tion des Haus­es Glouces­ter find­et auf dem Prosze­ni­um statt – wer um alles in der Welt gibt eigentlich mal den Ausstat­tern der deutschen The­ater den Tipp, dass sie sich diese Büh­ne­nuni­form, die schlecht sitzen­den Anzüge, die Wollpul­lun­der und 60er-Jahre-Brillen, mit­tler­weile nichts, aber auch gar nichts mehr erzählen. Das war ja noch amüsant, als es Anna Viebrock auf die Marthaler-Bühne brachte, aber PRO HELVETIA war 1993! Dieses Zeug ist nicht Avant­garde, auch in der hin­ter­let­zten Schanzenkaschemme trägt das kein­er mehr. Und es charak­ter­isiert den deutschen Spießer keineswegs, höch­stens einen spießi­gen Kostüm­bild­ner.

So, der Vorhang fällt, das son­stige Per­son­al ist an den Seit­en aufgestellt, ein bißchen grotesk ver­bo­gen. Man sieht so eine Art Papp­kar­ton, natron­braun, das Boden­tuch ist Pack­pa­pi­er, helles natron­braun. Lear (Markus John, wieder ein­mal mit ent­blößtem Embon­point, nun ja – wir wis­sen: “And with pre­sent­ed naked­ness outface/The winds and per­se­cu­tions of the sky.”) hängt an einem Zug und pen­delt mit großen Pin­sel­strichen sein Reich aus. Am Büh­nen­hor­i­zont lesen wir, schwarz, “no thing.” Auch das ein Lear-Klas­sik­er, “I am a fool, thou art noth­ing.” Und dann passiert auch nichts. Rein gar nichts. Eine Stunde wird der Text gemacht, die solide Bre­mer Shake­speare-Über­set­zung ist nun auch schon fast 30 Jahre alt, Dialoge wie ein Björn-Borg-Match, immer von der Grundlin­ie, kein Angriff, nichts. Irgend­wann reißt der Papp­kar­ton und Jana Schulzens Narr ist auf der Bühne, mit über­großer Kro­ne und im munteren Ges­tus des jun­gen Vale­rio, der Leonce aus dem Ennui befreien will. So langsam fragt man sich, wo diese Reise hinge­hen soll. Immer­hin, es gibt ein paar Lach­er. Der in Ung­nade gefal­l­ene Kent trägt übri­gens inzwis­chen die näch­ste Uni­form, dies­mal die der sozial ges­trauchel­ten, die far­blich frag­würdi­ge Bal­lon­sei­den­jacke.

Dann lässt sich die Grippe nicht mehr bändi­gen, keine Atemübung der Welt mag helfen, nur noch die Garder­oben­frau draußen, im Gang, sie bringt einen Bech­er Wass­er. Das hil­ft erst ein­mal. Jana Schulz wartet, auch auf dem Gang, auf den näch­sten Auftritt und hat auch einen Bech­er in der Hand. Sie ist eine mit­füh­lende Per­son und will die Grippe auch mit Wass­er bekämpfen. Das ist wirk­lich sehr nett, schließlich ist das ja eine Pre­miere und da hat man gewiss andere Dinge im Kopf als hus­tende Besuch­er zu rea­n­imieren. Dann muss sie wieder auf die Bühne. Bis zur Pause find­et Lear nun auf dem Schirm statt, die Hus­terei kann man ja keinem zumuten – im Foy­er des Schaus­piel­haus­es ist eine mit­tel­großer Fernse­her über dem Getränkeauss­chank, da kann man lei­dlich erken­nen, wie es weit­er geht. Ton gibt es auch, rund um den Geträn­ke­tre­sen warten die fre­undlichen Her­ren und Damen vom Ein­lass auf die Pause. Man plaud­ert, gele­gentlich schauen sie auf den Bild­schirm. Da ist eine schöne Totale zu sehen, die Lear-Fig­uren aufge­baut im Nichts-Kar­ton. Jana Schulz hängt irgend­wie an der recht­en Prosze­ni­umspapp­säule, dann ist sie weg. Von der Bar aus kann man sie durch die Rotunde flitzen sehen, um den Auftritt auf der anderen Seite zu wieder­holen.

Das Grundlin­ien­spiel, das kann man auch durch die Videoüber­tra­gung sehen, scheint sich fortzuset­zen. Zwei Szenen kann man iden­ti­fizieren, Lears große Hei­deszene, Regen und Sturm, dies­mal aus Far­beimern, mit denen sich John und Schulz gegen­seit­ig wässern … und Glouces­ters Blendung. Ein­er der Ein­lass­men­schen schaut kurz auf und sagt “Oh, King Lear geht Müm­mels­man­ns­berg.” Die Kol­le­gen schmun­zeln, aber irgend­wie ist das auch nicht so ganz falsch. Hier, draußen vor dem Bild­schirm geht es auf die Pause zu, die Bar wird bestückt, die Gläs­er wer­den befüllt, in Frischhal­te­folie eingeschla­gene Weißbrote auf dem Tre­sen gestapelt. Und das ist auch ein Ende, denn jet­zt ist die Grippe wirk­lich stärk­er als der Wille, der Leere dieses Abends noch weit­er standzuhal­ten.  – “That’s a sheal’d peas­cod.” Ein Nichts. Für­wahr.

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