Leimrute

Anna Depenbusch trickst – das neue Album »Sommer aus Papier«

Wenn das Coco wüss­te … (Bild: Goldwerkphotography.com)

Fast könn­te man mei­nen, die Welt sei wirk­lich und plötz­lich schön und leicht gewor­den, so kun­ter­bunt ist das Art­work von Anna Depen­buschs neu­em Album »Som­mer aus Papier«. Die­sen Coco-Cha­nel-Deau­ville-Look, das Matro­sen­rin­gel­shirt, das tru­gen in den Fünf­zi­gern »kes­se« Mäd­chen und spä­ter Jean Seberg.

Ansichts­kar­ten­bunt ist die Sehn­sucht nach Hawaii und die Som­mer­bri­se, sind sol­che Mäd­chen­bil­der und die gro­ßen Lie­be der Matro­sen. In so eine Welt gehö­ren Songs, die hei­ßen wie Brau­se­pul­ver und auch so klin­gen. Wer die frü­he­ren Alben wie das in sich gekehr­te »Ins Gesicht« aus dem Jahr 2005 oder das scharf­zün­gi­ge »Die Mathe­ma­tik der Anna Depen­busch« von 2011 kennt, sieht sich mit einem kom­plet­ten Stil- und Image­wech­sel kon­fron­tiert. All das mag den Fan – und davon gibt es inzwi­schen eini­ge – nicht küm­mern und das Feld für eine neue, mehr popaf­fi­ne Kli­en­tel erwei­tern. Aber die­ses Album ist eine hin­ter­lis­ti­ge, ver­damm­te Leimrute.

Wäre die­se Sän­ge­rin eines die­ser durch­schnitt­lich gut aus­se­hen­den, durch­schnitt­lich sin­gen­den und sich von den übli­chen Ver­däch­ti­gen betex­ten­den Front­mäd­chen, gin­ge man dem Ding tat­säch­lich auf den Leim. Retro­chic im Sound begrüsst sie die Rei­se­grup­pe in die Welt der Sehnsüchte:

»Herz­lich willkommen
mei­ne Damen mei­ne Herren
Ich bin heut Ihr Kapitän
auf uns­rer Rei­se zu den Sternen«

Das swingt ja ganz ordent­lich und macht gute Lau­ne und ist eben­so leicht wie der titel­ge­ben­de »Som­mer aus Papier«. Eine hüb­sche klei­ne Idee ist das, »bun­tes Glanz­pa­pier« und alles wird schön. Dazu flot­ter Coun­try­pop und ein neu­es Instru­ment, die Uku­le­le – ja, Mari­lyn, Hawaii, Insel der Pro­jek­ti­on – fol­ge­rich­tig fährt Matro­sen-Anna mit dem Tret­boot in Track 7 dorthin:

»Die Son­ne scheint bist du dabei
komm wir machen heu­te frei.
Wir trin­ken sau­re Limonade,
essen Blau­beer­eis mit Sahne …«

Dazu ein ein paar lächeln­de Phra­sie­run­gen. So leicht muss man erst mal können.

Wäre Anna Depen­busch eine Künst­le­rin, der das genüg­te, die Welt wäre tat­säch­lich aus bun­tem Papier und ver­lo­gen bis in die Haar­spit­zen. Es genügt ihr nicht.

Schon das per­len­de, zucker­süs­se Titel­stück hat eine die­ser Geschich­ten inne, die rein aus der Erin­ne­rung leben. Denn der »Som­mer aus Papier« ist eine höchst fra­gi­le Sache – wo selbst Hand­schu­he aus die­sem Mate­ri­al gebas­telt wer­den müs­sen, ist kein wirk­lich war­mer Ort. Das ist das Dilem­ma in der bun­ten, selbst­ge­mach­ten Welt. Doch das ist noch fast so harm­los wie das fol­gen­de Duett mit Mark Fors­ter, einem die­ser jun­gen Män­ner, deren zart schmel­zen­de Stim­men stets im Nichts versinken.

Denn rich­tig erschre­ckend wird die Welt der bun­ten Bil­der erst, wenn die Vögel anfan­gen zu sin­gen. Die sin­gen in der Tat als klei­ner ein­lul­len­der Sound­tep­pich im Idyll vom »Leben als Gespenst«. »In einer Nacht hat er die Welt als Mensch ver­lo­ren« – ein Mann ver­blasst ange­sichts einer eben­so ver­blas­sen­den Lie­be. Das könn­te eine düs­te­re Bal­la­de sein, ist aber eine der char­mant-ver­track­tes­ten Geschich­ten, die man sich vor­stel­len kann.

Sol­che, sich selbst ver­dre­hen­den Geschich­ten zu erzäh­len, gehört über­haupt zu den unbe­streit­ba­ren Stär­ken Anna Depen­buschs. Eine wei­te­re die­ser Geschich­ten ist »Ben­ja­min« – der Name einer Nach­bar­schafts­lie­be, die vor­bei ist. Die Lüge und der Selbst­be­trug gehö­ren zu sol­chen Dra­men des Alltags:

»Ich find’s nicht schlimm
dass wir noch Nach­barn sind
Ist sogar praktisch
wenn ich im Urlaub bin
für die Post und die Blumen
und den Zeitungsjungen«

Doch lei­der muss die Ent­täusch­te ihre Nach­fol­ge­rin beim Lie­bes­spiel mit dem Ver­flos­se­nen durch die Wand belau­schen und das orgas­mi­sche, laut­ma­le­ri­sche Stam­meln sei­nes Namens mit anhö­ren. Ihr bleibt nur, dem für sie Uner­träg­li­chen auszuweichen:

»Dar­um geh ich raus auf den Balkon
und schlaf auf Beton«

Der Boden der Rea­li­tät ist sehr hart. Immer­hin gibt es Hoff­nung, aber das ist erst die nächs­te Wendung.

Bei jemand ande­rem wäre das ein ein­fa­ches Lied­chen und eine pein­li­che Per­for­mance im Refrain – bei Anna Depen­busch gerät das zu einer fein zise­lier­ten Moment­auf­nah­me einer gro­ßen Ver­let­zung. Die­se Plat­te ist ein per­fi­des Meisterwerk.

Und außer­dem ist sie sehr bunt.

Anna Depen­busch
Som­mer aus Papier
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2 Kommentare

  1. Sehr geehr­ter Herr Mat­thi­as Schumann,

    “Ich find’s nicht schlimm
    das wir noch Nach­barn sind«

    Wenn es sich bei dem „das“ um ein rück­be­züg­li­ches Für­wort (Rela­tiv­pro­nom) han­delt, lei­tet es einen Bezugs­satz (Rela­tiv­satz) ein. Das ist bei dem „dass“ anders. Die­ses Wort bezieht sich auf kein Hauptwort.Die Auf­ga­be von „dass“ ist es also, als Bindewort
    (Kon­juk­ti­on) ver­schie­de­ne Arten von Neben­sät­ze einzuleiten.

    Bit­te schau­en Sie sich doch den von Ihnen zitier­ten Text noch­mal genau an. Mer­ken Sie was? Ich fin­de, ein Jour­na­list soll­te doch wenigs­tens sein Hand­werks­zeug (Spra­che!) beherrschen.

    mit freund­li­chem Gruß
    Alberto

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