Deutschland ist im Krieg. Es hat lange gebraucht, bis jemand dieses Diktum ausgesprochen hat, der Verdienst gehört nicht allein dem untergegangenen Verteidigungminister Guttenberg, erst langsam hat sich dieser Sprachgebrauch durchgesetzt. Auch andere Begriffe, die wir bislang nur aus den Erzählungen der Großelterngeneration kannten, sind wieder da. “Feldpost” ist so ein verloren geglaubtes Wort. Das sind Briefwechsel, die aus den sogenannten “Krisengebieten”, nunmehr ” von der Front”, geführt werden. Nun haben sich fünfjunge Journalisten aus dem Umfeld des SZ-Magazins darangemacht, solche Briefe aus der Banalität des alltäglichen Lebens im Kriegszustand zu sammeln und in einem Buch zu veröffentlichen.
Die Lesung in der Thalia-Bar ZenTrale ist gut besucht, das Altersprofil ist weit gefächert. Man könnte das einen Querschnitt durch die bürgerliche Gesellschaft nennen, was sich da auf den Sofas und Fensterbänken im Dachgeschoss des Theaters lümmelt. Auf der Bühne sitzen neben den zwei Mitherausgebern Franziska Storz und Mauritius Much, dem Moderator Jan Kuhlmann und zwei jungen Schauspielschülern, die aus den Briefen lesen, Bertram Hacker. Der war Oberstleutnant in vielen Krisenregionen und steht für den O‑Ton, ist die authentische Stimme zu den verlesenen Briefstellen. Und er ist im Interessenmittelpunkt der umfangreichen Fragestunde, die das Publikum einfordert.
Es sind zunächst technische Fragen, die da gestellt werden, aber Hacker meldet sich immer wieder zu Wort, schildert in nüchternen Worten und dezentem bayrischen Zungenschlag seine Sicht der Dinge. Es fallen Worte wie “Wiedereingliederung der Heimkehrer” und wiederholt der Satz “In Kunduz herrscht Krieg”. Wie sehr diese Einsätze die Soldaten belasten, klingt immer wieder durch, selbst bei so einem erfahrenen Mann wie Hacker, der 10 Jahre lang immer wieder im Ausland eingesetzt wurde. Das Situation, die er schildert, ist die einer stressbedingten Depression, einer Notlage unter enormen Druck. Er schildert eindringlich Strategien der Bindung an der Front “um nicht kaputtzugehen”, eine Solidarisierung der Soldaten über die Dienstgrade hinweg.
Man hört viel über die Verunsicherung, das Richtige zu tun und das deutliche Bemühen, sich den Gegebenheiten in der Fremde anzupassen. Es sind manchmal vordergründig nette Anekdoten aus fernen Ländern, aber in der Essenz reflektierte Schilderungen der Plan- und Ziellosigkeit der Mission, dem Unverständnis von Vorgesetzten, und vor allem, als Leitmotiv, des Alleinseins. Hacker hat sich vom Befürworter der Auslandeinsätze zu einem ihrer Gegner gewandelt. “Man hat nie politische Ziele für den Einsatz entwickelt.” Und: “Man kann Terrorismus nicht mit Soldaten bekämpfen.” Das blieb unwidersprochen, ein eindrucksvoller Abend war das.
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