Lesetage, Tag 1: Horx den Europäer

Matthias Horx ist der Star unter den soge­nan­nten Trend- und Zukun­fts­forsch­ern. Als solch­er wurde er ein­ge­laden zur inof­fiziellen Eröff­nungsver­anstal­tung der Lese­tage, immer­hin wurde dem Fes­ti­val ein weit­er­er Preis ver­liehen, eine “Aus­gewählter Ort im Land der Ideen” zu sein. Das nutzte eine kleine Gruppe von Vat­ten­fall-/Moor­burg-/Atomkraft-Geg­n­ern denn auch gle­ich, um ein bemaltes Bet­t­lak­en mit dem sin­ni­gen Slo­gan “Lese­tage ja, aber ohne Vat­ten­fall” zu entrollen. Die Aktion ver­puffte schnell, das Lak­en wurde wieder zusam­menge­fal­tet und Matthias Horx durfte begin­nen. Als erstes verkün­dete er, er sei eigentlich gegen Lesun­gen und er würde es auch nicht tun, das Lesen – stattdessen hätte er eine Beam­er-Präsen­ta­tion seines Buch­es “Das Buch des Wan­dels” vor­bere­it­et. Die war denn auch schon zu sehen, güldene Let­tern auf virtuellem Led­ere­in­band wur­den pro­jeziert, unschw­er zu erken­nen als vorge­fer­tigtes The­ma der Apple-Präsen­ta­tion­ssoft­ware Keynote. Warum er nicht lesen wollte, wurde dem Zuhör­er ziem­lich schnell deut­lich. Nicht nur, daß der Zukun­fts-Star nicht beson­ders gut vor­lesen kann – was an sich kein Man­gel ist, nicht jed­er ist da tal­en­tiert – nein, der Mann hat­te lei­der auch gar nichts zu erzählen. Eine gute Stunde drück­te Horx Folie um Folie her­bei, neb­u­lierte vor sich hin und so recht klar wurde eigentlich nie­man­dem, was da eigentlich zu erzählen war. Ein­drucksvollen Aufzäh­lun­gen von Wis­senschaften, mit denen sich der Autor ja nach eigen­er Aus­sage beschäftigt, fol­gten kleine Rück­blicke in die Men­schheits­geschichte. Erk­lärtes Ziel war – so der Meis­ter – die “Erschließung neuer Soziokul­turen” in Zeit­en des Wan­dels. Also Zukun­ft nicht als tech­nis­chen Fortschritt zu begreifen, son­dern die soziale Inter­ak­tion zukun­fts­fähig zu machen. Immer wieder neue Schaubilder mit Sen­ten­zen dem Pub­likum unbekan­nter Wis­senschaftler beliebiger amerikanis­ch­er Uni­ver­sitäten wur­den einem da um die Ohren gehauen – diese Art des Bal­ly­hoo gehört sicher­lich zum Pro­gramm. Und die wur­den dann auch noch ein­mal nachge­betet, dabei lernt doch jed­er Mit­teklasse­m­an­ag­er in sein­er ersten Präsen­ta­tion­schu­lung, daß das ein “no go” (bleiben wir in dieser Sprache …) sei.

Ein Sper­rfeuer an unaus­ge­führten Ideen und Zitat­en also, alle mit dem Ziel, den Zuhör­er schw­er zu beein­druck­en. Und als geplanter Knall­ef­fekt – der Trend­mann out­et sich als Inter­net-Rol­len­spiel­er, der mit seinen Söh­nen “World of War­craft” zockt. Ui, avant­gardis­tisch … Klar, daß das soziale Kom­pe­ten­zen und Fähigkeit­en schult, in Ameri­ka (na, wo son­st?) wer­den schon Man­ag­er damit aus­ge­bildet. Das ist natür­lich echt ein totaler Affront bei einem Fes­ti­val, daß dann auch noch “Lese­tage” heißt. Beein­druck­end.

Großes The­ma bei Horx ist die Angst, das alles Block­ierende, das ins­beson­dere den Deutschen, aber auch andere Europäer hemmt, sich weit­er zu entwick­eln. Aus dem grossen Mustopf sein­er vie­len Wis­senschaften strickt er dann auch die Begrün­dung, die Trau­ma­tisierung durch his­torische Ereignisse. Die schafft Angst und hemmt die Entwick­lung. Das ist natür­lich eine unbe­d­ingt neue Erken­nt­nis, all die schö­nen Büch­er vor und nach Fre­und sind ja auch noch nicht geschrieben wor­den. Läh­mend ist vor allem das Sicher­heits­bedürf­nis der Arbeit­nehmer, die ihre Beschäf­ti­gung zu sehr als gegeben hin­nehmen. Das ist immer­hin eine These, die in Zeit­en sich wan­del­nder Beschäf­ti­gungsver­hält­nisse des Nach­denkens wert ist. Anson­sten kann man noch erfahren, daß der Autor viel herum kommt, unbe­d­ingt an den Fortschritt des Kap­i­tal­is­mus glaubt und auf gar keinen Fall mit einem Train­er ver­wech­selt wer­den will, auch wenn sich das Ganze immer wieder wie Busi­ness-Coach­ing anhört.

Gän­zlich unerträglich zudem ist der Ges­tus des Her­rn Horx, mit dem er sich seinem Pub­likum nähert. Jed­wede Frage, sei sie kri­tisch oder auch nur ein bißchen naiv wird als “päd­a­gogisch”, “lehrerhaft” oder ähn­lich tit­uliert. Her­ablassender kann man sich sein­er Ziel­gruppe kaum gegenüber­stellen. Dabei gerät er bei kri­tis­chen Nach­fra­gen sichtlich in Bedräng­nis und ret­tet sich in die Dis­tanz. Auch eine der let­zten Pub­likums­fra­gen des Abends wird nicht beant­wortet: “Herr Horx, was wollen sie denn eigentlich?” Antwort: “Ja, das ist mein Ver­such(!), eine Vision zu enwick­eln.” Stimmt. Aber nicht jed­er Ver­such muß klap­pen.

Matthias Horx: Das Buch des Wan­dels

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