Vorm Schlafengehn teilen wir Länder

Georg Kreislers Klein-Musical "Lola Blau" auf der Bühne des Klein-Theaters »Schmidtchen« am Spielbudenbplatz

Lola Blau
Sprachlos (Bild: Oliver Fantitsch)

Als Georg Kreisler 1938 seine Heimat Öster­re­ich ver­ließ, war er ein­er von vie­len Vertretern der Kul­turszene, die aus dem deutschsprachi­gen Raum unter dem faschis­tis­chen Regime ver­schwun­den waren. Der beispiel­lose Exo­dus von Kul­turschaf­fend­en ist bis heute zu spüren, ger­ade in der Unter­hal­tungsin­dus­trie kat­a­pul­tierte sich durch Mord und Vertrei­bung der halbe Kon­ti­nent in die Bedeu­tungslosigkeit. Wenn heutzu­tage das Pri­mat der amerikanis­chen Unter­hal­tungsin­dus­trie (vul­go “Kul­turindus­trie”) beklagt wird, ist das auch eine Folge dieses Ader­lass­es, viele der Kün­stler, so sie denn emi­gri­eren kon­nten, gin­gen nach in die Vere­inigten Staat­en und prägten dort maßge­blich das Enter­tain­ment. Wilder, Goetz, Lang und eben auch Kreisler bracht­en den “Weimar Touch” nach Hol­ly­wood. Kreisler kehrte als amerikanis­ch­er Staats­bürg­er zurück, sein Miniatur­mu­si­cal “Lola Blau” lehnt sich in den The­men an seine Lebens­geschichte an: Erste Erfolge in Öster­re­ich, die begin­nende Repres­sion, die Emi­gra­tion, Erfolg in Ameri­ka, Entwurzelung und Rück­kehr, das sind die The­men dieser kleinen Lebens-Revue, zusam­menge­fasst im bekan­nten Kreis­lerischen Duk­tus zwis­chen Alt-Wiener Sen­ti­ment und geschlif­f­en­er Bösar­tigkeit. Das Stück hat­te nun im immer noch neuen kleinen Schmidt-The­ater, dem “Schmidtchen”, Pre­miere.

Schon beim Ein­lass zele­bri­ert man die Unter­hal­tungswelt der Vorkriegszeit, aus den Laut­sprech­ern schn­od­dert Heinz Rüh­mann, Ilse Wern­er pfeift und Mari­ka Röck singt. Die Bühne ist naturgemäß ein­fach, der musikalis­che Leit­er Gleb Pavlov sitzt links am Klavier, ein Rück­en­prospekt aus Stoff, je nach Büh­nen­si­t­u­a­tion unter­schiedlich aus­geleuchtet, und ein sparsam deko­ri­ertes Ver­satzstück rechts für die Innen­szenen – das genügt. Auf dem Klavier ein Radio, man hört den Reich­srund­funk als his­torisches Kolorit, das dient zur Illus­tra­tion der bösen Zeit und macht später auch vor der unsäglichen Sport­palas­trede nicht halt. Regis­seurin Ingrit Dohse ver­lässt sich da ganz aufs Ein­deutige, damit auch ja jed­er Zuschauer ver­ste­ht, worum es da geht. Möglicher­weise ist man der Mei­n­ung, dass das “Schmidtchen”-Publikum Kreislers Erzäh­lung in “Lola Blau” nicht fol­gen kann und solche wenig sub­tilen Mit­tel braucht. Dabei ste­ht mit Musi­cal-Darstel­lerin Yvonne Dis­qué eine fabel­hafte Pro­tag­o­nistin auf der Bühne, die sichtlich Spaß an den ver­track­ten Tex­ten des Meis­ters hat und die mit ihrer für das Fach untyp­isch wenig überze­ich­nen­den Stimme auch der fatal­en Ton­tech­nik trotzt. Der Sound ist erschreck­end indi­rekt, nie ist klar, von wo die Stim­men eigentlich kom­men, als säße man vor einem Kof­fer­ra­dio.

Das Stück erzählt die Geschichte ein­er auf­streben­den jüdis­chen Sän­gerin in den 30er und 40er Jahren. Es gibt eine sehr spär­liche Rah­men­hand­lung, die die einzel­nen Num­mern, über 20 an der Zahl verbindet, und, ganz wie es sich für die Gat­tung Musi­cal gebi­etet, den jew­eili­gen Zus­tand der Pro­tag­o­nistin illus­tri­eren. Das geht von den Erwartung­shal­tun­gen der Debü­tan­tin – “Im The­ater ist was los” – über die Verzwei­flung und Ent­täuschung der Ver­triebe­nen in “Wed­er noch” bis hin zum glam­ourösen “Der zweitäl­teste Beruf der Welt” mit solch beza­ubernd-grotesken Zeilen wie “Vorm Schlafengehn teilen wir Län­der – und ändern die Rän­der”. Darin steckt tat­säch­lich so etwas wie Revue, Glanz und Inner­lichkeit, und das macht Yvonne Dis­qué ganz fabel­haft und mit viel Präsenz, die Erfahrung bei größeren Pro­duk­tio­nen wie “Heiße Ecke” und “Swing­ing St. Pauli” ist der Rolf-Mares-Preisträgerin von 2011 deut­lich anzumerken. Da sitzt jede Num­mer, die Spiel­freude ist ihr anzuse­hen – das allein genügte für einen gelun­genen Abend, der ohne­hin in sein­er doch lan­gen Aneinan­der­rei­hung von Songs ein­er Num­mern­re­vue näher ist als einem durcherzählten Stück – doch das liegt in der Vor­lage Kreislers begrün­det

Weitaus schwieriger wird es in den Spiel­szenen, in denen ihr Part­ner Hans B. Goet­zfried in die Hand­lung ein­greift, die wirken son­der­bar gehemmt und führen nicht nur in den Radio-Ein­spiel­ern einen gewis­sen eduka­tiv­en His­to­ry-Chan­nel-Duk­tus immer im Köch­er. Goet­zfried hat die ohne­hin undankbare Rolle des Stich­wort­ge­bers in dieser Ein­rich­tung und muss in der Maske des mimisch groben Weiß­clowns mit den hart geschmink­ten Wan­gen­knochen – wohl eine Rem­i­niszenz an Joel Greys berühmten Cabarét-Con­fer­enci­er – vom faschis­toiden Hauswart bis zum amerikanis­chen Show­mas­ter jede Charge bedi­enen. Er wird allerd­ings dabei her­zlich allein gelassen von dieser Insze­nierung, das Ganze wirkt hölz­ern, vorder­gründig und unfer­tig.

Ganz und gar schwierig wird das in ein­er Szene, in der Lola Blau auf der Über­fahrt nach Ameri­ka auf einen jüdis­chen Schick­salsgenossen trifft. “Das ist ja schon fast anti­semi­tisch” murmelt die Sitz­nach­barin nach eini­gen Sätzen, und sie trifft es damit ziem­lich genau. Der wein­er­liche, osteu­ropäis­che Schtetl-Jude, der gebrochen rade­brecht, solche Darstel­lun­gen glaubte man über­wun­den. Das soll wohl als liebevolle Erin­nerung an cha­galleske und anat­evka­hafte Idyllen gel­ten, scheit­ert aber am Unver­mö­gen der ober­fläch­lichen Insze­nierung. Kreisler beherrschte in der Tat eine Vielzahl von Dialek­ten, von sein­er Meis­ter­schaft ist diese Nachah­mung weit ent­fer­nt. Das geht soweit, dass das nach­fol­gende Lied vom Mädele – “Ich hab a Mädele, die hat a Fin­ger­leMit diesem Fin­ger­le drückt sie an Knopf …” – genau­so schal daher kom­men muss, obgle­ich Yvonne Dis­qués Lola zu diesem Zeit­punkt bere­its bestens als Fig­ur etabliert ist.

Das Hans B. Goet­zfried ein ganz her­vor­ra­gend gestal­tender Chan­son­nier sein kann, zeigt er kurz vor Schluss, in einem der bösar­tig­sten Cou­plets Kreislers, dem späten “Schlagt sie tot” von 1997, das nicht zum über zwanzig Jahre älteren “Lola Blau”-Kon­text gehört. Doch da ist es schon zu spät für Rolle und Fig­ur, zum Glück nicht für den Darsteller, der sich damit ganz und gar reha­bil­i­tieren kann. Denn hier bricht auf ein­mal der ganze Zynis­mus des heimgekehrten Anar­chis­ten Kreisler durch, und in diesem Moment und mit diesem Text gewin­nt der Abend für einen kurzen Moment an der inhaltlichen Schärfe, die er bish­er ver­mis­sen ließ:

“Komm mir nicht mit Demokrat­en, köpf sie, kill sie,
das sind Todeskan­di­dat­en, nie­mand will sie,
Vater, Mut­ter, Schwest­er, Brüder, alte Fre­unde,
brauchst du die für irgend­was?
Pfar­rer, Lehrer, Besser­wiss­er, stran­guli­er sie,
all die blö­den Tin­ten­piss­er, mas­sakri­er sie,
merk dir eins: du bist stark,
aller Rest ist Quark.

Bedauer­licher­weise glaubt die Regie nur wenig später, dieser an sich schon starken Posi­tion­ierung noch etwas hinzuzufü­gen zu müssen: Ein Audio-Ein­spiel­er ein­er Pegi­da-Demon­stra­tion ist der Schlusspunkt des Abends, damit die Bedro­hung durch den All­t­ags­faschis­mus auch ja jedem bewusst werde. Das ist und bleibt ernüchternd schlicht angesichts der Ele­ganz und Deut­lichkeit von Kreislers Tex­ten und ein­er überzeu­gen­den Haupt­darstel­lerin, bei­der Qual­itäten kann man nur jedem ans Herz leg­en, “Heute Abend: Lola Blau” läuft noch bis Ende April.

Post­scrip­tum: Wieviel Eit­elkeit muss man besitzen, ein­er Darstel­lerin, die zwei Stun­den auf der Bühne hart gear­beit­et hat, noch vor dem zweit­en Vorhang in den wohlwol­lend­sten Schlus­sap­plaus zu sprin­gen, um sein eigenes Haus zu “präsen­tieren”? Der The­ater­leit­er Corny Littmann nimmt sich diese Frei­heit wie ein Duodezfürst, der seine Komö­di­anten vor­führt. Möge diese Stil­losigkeit kün­fti­gen Besuch­ern erspart bleiben.

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