Man ist ja viele.

Ein Gespräch mit Marie Löcker, die derzeit im Thalia Zelt den D´Artagnan in „Die drei Musketiere“ spielt.

Thalia im Zelt

Ein Don­ner­stag Spät­nach­mit­tag in einem Café im Grindel­hof. Marie Löck­er rührt in ihrem Minz­tee. Dabei denkt sie über die Frage nach, ob „Man­tel und Degen“ unmod­ern sei. Und kommt zu dem Schluss, so wie das Regieduo Peter Jor­dan und Leon­hard Kop­pel­mann „Die drei Mus­ketiere“ in Ham­burg insze­nieren, eigentlich nicht. „Das ist echt­es Mark­t­platzthe­ater. Wir sin­gen, fecht­en, spie­len machen das Hufge­trap­pel selb­st. Da kommt nichts aus der Dose.“ Das hört sich nach Spaß an. Nach Freude am Spiel und The­ater, das aus dem Vollen schöpft.

Wie das so ist, mit gle­ich zwei Regis­seuren zu proben? Hat da jed­er sein eigenes Auf­gabenge­bi­et? Immer­hin kom­men bei der Insze­nierung im Zelt am Baak­en­höft in der HafenCi­ty zwei recht unter­schiedliche Hand­schriften zusam­men. „Bei Leo (Leon­hard Kop­pel­mann) spürst du, dass er vom Hör­spiel kommt, weil er ein sehr starkes Gefühl für Rhyth­mus, Tim­ing und Musikalität hat. Das ist diese Gewohn­heit, übers Ohr zu arbeit­en, die man ihm anmerkt.“ Und Peter Jor­dan, der dem Pub­likum aus dem Kino und als Ham­burg­er Tatort-Kom­mis­sar Uwe Kohnau bekan­nt sein dürfte, bringt als Schaus­piel­er „eine enorme Spielfan­tasie“ mit. „Man merkt ihm seine Erfahrung von Film und Bühne ein­fach an.“ Die Zusam­me­nar­beit der bei­den ergänzt sich, macht den Text zum Spek­takel. Nicht umson­st waren die Mus­ketiere 2014 so erfol­gre­ich, dass sie in dieser Spielzeit wieder aufgenom­men wer­den.

Marie Löcker
Marie Löck­er.
Foto: Armin Smailovic

Marie Löck­er ist, wie sie sagt, angekom­men am Thalia. Sie stand auf vie­len Büh­nen – am Schaus­piel­haus Bochum, am Berlin­er Ensem­ble, an der Volks­bühne am Rosa-Lux­em­burg-Platz. Sie hat mit Regis­seuren wie Mar­tin Wut­tke, Thomas Lang­hoff, Jan Bosse und René Pollesch gear­beit­et. Sie ist rumgekom­men, hat, wie sie es nen­nt, „viel Unter­schiedlichkeit ken­nen­gel­ernt“. Aber jet­zt, jet­zt fühlt es sich gut an, festes Mit­glied an diesem Haus zu wer­den, am Thalia, wo alle „so wertschätzend und erwach­sen“ miteinan­der umge­hen. „Und erwach­sen finde ich ziem­lich sexy“. Sie lacht.

Der Weg dahin war nicht ger­ade. Mit 14 ist sie bei ihren Großel­tern in Salzburg aus- und nach München gezo­gen. Erst durch ihren ersten Fre­und bekam sie Lit­er­atur in die Fin­ger, die sie faszinierte – und empfind­et eine große „Freude, Ver­wirrtheit über das Ankom­men“. Sie entschei­det sich fürs Schaus­piel – und wird schnell an der renom­mierten West­fälis­che Schaus­pielschule Bochum angenom­men. Den­noch war da die Schwierigkeit, sich voll und ganz auf etwas einzu­lassen. „Dieses ganze Gezweifel“, ob Schaus­piel das Richtige für sie ist – bei ein­er Vita wie Löck­ers eigentlich erstaunlich. Trotz­dem hat sie zwis­chen­durch sog­ar mal Jura studiert. „Man ist ja viele“, sagt sie dazu schlicht.

Und so macht es ihr natür­lich Spaß, in „Die drei Mus­ketiere“ mit D´Artagnan eine Hosen­rolle zu übernehmen. „Es ist ja so“, erk­lärt sie. „Als Frau am The­ater küm­mert man sich oft um das het­ero­sex­uelle, männliche Sub­jekt in der Mitte.“ Jet­zt ist sie das plöt­zlich selb­st, „darf diese Män­ner­sätze sagen. Das finde ich erstaunlich.“ Tat­säch­lich wirkt sie dabei fast ein wenig verblüfft.

Girls Will Be Boys

Im Thalia im Zelt merkt man, dass das Konzept voll aufge­ht. Die – alle­samt weib­lichen – Mus­ketiere spie­len das Pathos des „Alle für einen“ groß aus. Sie sind Machos und Helden, sie flirten, stellen Frauen nach, sie pinkeln im Ste­hen. Sie sind Rüpel und Rauf­bolde, und manch­mal sind sie nicht beson­ders helle. Ihre geris­senste Wider­sacherin, Myla­dy de Win­ter, wird kon­se­quenter­weise von einem Mann verkör­pert. Sebas­t­ian Zimm­ler ist eine reizende Rächerin und spielt die Intri­g­an­tin in rot­er Robe von ver­rucht bis derbe, aber vor allem „böse, böse, böse“. Als Zuschauer macht das einen Hei­denspaß.

11 Schaus­pielerin­nen und Schaus­piel­er spie­len im Thalia im Zelt 60 Rollen. Und das ist saukomisch bis platt. Wobei das „platt“ hier gar nicht groß stört. Denn was wir hier sehen, ist Volk­sthe­ater in sein­er schön­sten Form – da darf das so ste­hen bleiben. Begriffe wie Rache und Ehre, all das, wofür das Man­tel und Degen-Pathos klas­sis­cher­weise ste­ht, wer­den hier aufs Schön­ste per­si­fliert und gebrochen. Wenn Anni­ka Meier sich als Athos in die Brust wirft, um sich vorzustellen, hat sie das Pub­likum schon auf ihrer Seite: „Ich bin Athos. Merk´ dir diesen Namen, du wirst ihn heute Nacht noch schreien.“ Im Zelt brüllt es.

Plat­titü­den wie „Gle­ich klatscht´s – und keinen Beifall“ dür­fen hier eben­so wenig fehlen wie Zitate aus großer Lit­er­atur und schlecht­en Fil­men. Die regionalen franzö­sis­chen Dialek­te wer­den kurz­er­hand „über­set­zt“. Da darf die großar­tige Vic­to­ria Trauttmanns­dorff den Riche­lieu im bre­itesten Wiener­isch lamen­tieren lassen über die unfähige Majestät; San­dra Flubach­er gibt als D´Artagnans Vater ein Schwyz­erdütsch zum Niederknien, und auch son­st sorgt die regionale Vielfalt der deutschen Sprache für Komik. Es darf gekaspert und Klam­otte gespielt, in alle Rich­tun­gen des Zelts gelit­ten, geliebt und geschmachtet wer­den. Hier agiert ein Ensem­ble mit solch­er Spiel­freude, dass man zu gern bei den Proben Mäuschen gespielt hätte.

Hot Love im Schottenrock: Königin Anna (Tilo Werner) und Buckingham (Victoria Trauttmannsdorff).
Hot Love im Schot­ten­rock: Köni­gin Anna (Tilo Wern­er) und Buck­ing­ham (Vic­to­ria Trauttmanns­dorff) Foto: NF

Natür­lich steckt harte Arbeit in dieser Leichtigkeit. Die ful­mi­nante Kampf­chore­ografie ver­ant­wortet Alt­meis­ter Klaus Figge. Die Degen klir­ren, es wird spek­takulär gesprun­gen und gestürzt. Man sieht den Schaus­piel­ern, allen voran Marie Löck­er, das harte Train­ing an. Auch musikalisch ist das Ensem­ble per­fekt eingestellt (Musik: Mark Badur). Die viel­stim­mi­gen Chor­par­tien (Leitung: Uschi Krosch) sitzen dabei eben­so wie die grandiosen Bänkelgesänge von Tilo Wern­er, der neben diversen Instru­menten auch ganz neben­bei den Bösewicht Rochefort und Köni­gin Anna mit großar­tigem spanis­chen Pathos spielt.

Machen wir´s kurz. „Die drei Mus­ketiere“ ist ein großes The­ater­fest. Oder wie Trauttmanns­dorff als Buck­ing­ham im Schot­ten­rock inbrün­stig sagt: „My Dear Mis­ter Singing Club!“ – ist das ein Spaß!

Wer die “Mus­ketiere” live kämpfen sehen möchte, sollte schnell sein: Bis 12.07.15 spie­len sie noch 18 Vorstel­lun­gen.

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