Das Leben findet nur einmal statt.” Und einige Seiten später wird hinzugefügt: “Die besten Zeiten haben wir gehabt.” So steckt Andreas Dierßen in seiner neuen Geschichte den Rahmen ab. “Die besten Zeiten” führt den Leser in eine triste, graue Welt.
Die Protagonisten haben den Morgen und den Mittag bereits hinter sich. Denn wenn nach dem Leben nichts mehr kommt und wenn die besten Zeiten bereits vorbei sind, dann kann es nur noch schlechter werden. Von Anfang an umweht das Panoptikum von Dierßens Figuren diese nicht sonderlich hoffnungsvolle Aura. Sie sind schlagfertig und nicht auf den Mund gefallen. Sie bewegen sich durch eine vage bezeichnete Großstadt, die vielleicht Hamburg sein könnte. Sie suchen das Glück, oder was sie dafür halten. Vielleicht hängen sie auch nur herum.
Geschickt, weil leicht und unkompliziert, arrangiert Dierßen verschiedene Episoden, kurze Erzählstränge um Verbrechen, Gewalt, Streit, Hinterlist und zufällige Begegnungen. Seine Dialoge sind exzellent, manchmal ironisch, oft voller Anspielungen. Auf erzählenden Text verzichtet er, ebenso auf extravagante Anordnung der Panels, so dass schließlich der Eindruck des Filmischen entsteht. Er zeichnet ein Bild vom Leben in der Großstadt. Aber ist das alles echt?
Wie alles in der Literatur ist auch der Raum inszeniert. Er bildet den Rahmen für die Aktionen und Erlebnisse der Protagonisten. Aber er ruft auch eine bestimmte Stimmung beim Leser hervor und trifft eine ideologische Aussage. Räume, die von Macht und Wohlstand zeugen, gibt es in “Die besten Zeiten” nicht. Stattdessen sieht man graue Hauswände, triste Ecken und Hinterhöfe, U‑Bahnsteige und Mülltonnen.
Die Wohnungen sind eng und die Treppenhäuser schmutzig. Es ist eine Geschichte von unten, aus dem Milieu der kleinen Leute, die nicht viel vom Leben zu erwarten haben.
Die Figuren, die in dieser Welt leben, sind sich ihrer Situation bewusst. Sie suchen nach einem Ausweg. Sie wollen zurück zu den “besten Zeiten”, von denen sie gerne träumen. Sie versuchen der tristen Aura zu entkommen, die ihre Wirklichkeit ist, jeder auf seine Art. Einige glauben, Geld wäre eine Lösung. Aber das ist ein Irrweg.
Dierßen webt das Übernatürliche mit in seine Geschichte ein, diesen freundlichen, älteren Herrn, der jedem Menschen genau einen Wunsch erfüllt. Der Leser sieht: Das könnte der Ausweg sein! Mit der Erfüllung eines einzigen Wunsches könnte man die Tristesse überwinden und zu den besten Zeiten zurückkehren. Doch hätte Dierßen solch eine Geschichte erzählen wollen, dann sähen seine Bilder vermutlich nicht so realistisch aus wie sie es tun.
Einen Ausweg aus der Dystopie, die einfach nur der Blick in das heruntergekommene Viertel einer beliebigen deutschen Stadt sein könnte, bietet er dennoch. Der Wahnsinn ist es nicht. Das wäre zynisch. Aber so ähnlich. Bei Dierßen umspielt der Ausweg die Lippen einer lächelnden Frau. Die Hoffnung, sie ist nah, nur einen Kuss weit entfernt.
Andreas Dierßen: Die besten Zeiten
Carlsen Comics, Hardcover, schwarzweiß,
160 Seiten
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