Mangelware Hoffnung

HHF-Gastautor Christopher Bünte über Andreas Dierßens neue Graphic Novel »Die besten Zeiten«

Das Leben find­et nur ein­mal statt.” Und einige Seit­en später wird hinzuge­fügt: “Die besten Zeit­en haben wir gehabt.” So steckt Andreas Dierßen in sein­er neuen Geschichte den Rah­men ab. “Die besten Zeit­en” führt den Leser in eine triste, graue Welt.

Die Pro­tag­o­nis­ten haben den Mor­gen und den Mit­tag bere­its hin­ter sich. Denn wenn nach dem Leben nichts mehr kommt und wenn die besten Zeit­en bere­its vor­bei sind, dann kann es nur noch schlechter wer­den. Von Anfang an umwe­ht das Panop­tikum von Dierßens Fig­uren diese nicht son­der­lich hoff­nungsvolle Aura. Sie sind schlagfer­tig und nicht auf den Mund gefall­en. Sie bewe­gen sich durch eine vage beze­ich­nete Großs­tadt, die vielle­icht Ham­burg sein kön­nte. Sie suchen das Glück, oder was sie dafür hal­ten. Vielle­icht hän­gen sie auch nur herum.

Geschickt, weil leicht und unkom­pliziert, arrang­iert Dierßen ver­schiedene Episo­den, kurze Erzählstränge um Ver­brechen, Gewalt, Stre­it, Hin­terlist und zufäl­lige Begeg­nun­gen. Seine Dialoge sind exzel­lent, manch­mal iro­nisch, oft voller Anspielun­gen. Auf erzäh­len­den Text verzichtet er, eben­so auf extrav­a­gante Anord­nung der Pan­els, so dass schließlich der Ein­druck des Filmis­chen entste­ht. Er zeich­net ein Bild vom Leben in der Großs­tadt. Aber ist das alles echt?

Wie alles in der Lit­er­atur ist auch der Raum insze­niert. Er bildet den Rah­men für die Aktio­nen und Erleb­nisse der Pro­tag­o­nis­ten. Aber er ruft auch eine bes­timmte Stim­mung beim Leser her­vor und trifft eine ide­ol­o­gis­che Aus­sage. Räume, die von Macht und Wohl­stand zeu­gen, gibt es in “Die besten Zeit­en” nicht. Stattdessen sieht man graue Hauswände, triste Eck­en und Hin­ter­höfe, U‑Bahnsteige und Müll­ton­nen.

Die Woh­nun­gen sind eng und die Trep­pen­häuser schmutzig. Es ist eine Geschichte von unten, aus dem Milieu der kleinen Leute, die nicht viel vom Leben zu erwarten haben.

Die Fig­uren, die in dieser Welt leben, sind sich ihrer Sit­u­a­tion bewusst. Sie suchen nach einem Ausweg. Sie wollen zurück zu den “besten Zeit­en”, von denen sie gerne träu­men. Sie ver­suchen der tris­ten Aura zu entkom­men, die ihre Wirk­lichkeit ist, jed­er auf seine Art. Einige glauben, Geld wäre eine Lösung. Aber das ist ein Irrweg.

Dierßen webt das Über­natür­liche mit in seine Geschichte ein, diesen fre­undlichen, älteren Her­rn, der jedem Men­schen genau einen Wun­sch erfüllt. Der Leser sieht: Das kön­nte der Ausweg sein! Mit der Erfül­lung eines einzi­gen Wun­sches kön­nte man die Tristesse über­winden und zu den besten Zeit­en zurück­kehren. Doch hätte Dierßen solch eine Geschichte erzählen wollen, dann sähen seine Bilder ver­mut­lich nicht so real­is­tisch aus wie sie es tun.

Einen Ausweg aus der Dystopie, die ein­fach nur der Blick in das herun­tergekommene Vier­tel ein­er beliebi­gen deutschen Stadt sein kön­nte, bietet er den­noch. Der Wahnsinn ist es nicht. Das wäre zynisch. Aber so ähn­lich. Bei Dierßen umspielt der Ausweg die Lip­pen ein­er lächel­nden Frau. Die Hoff­nung, sie ist nah, nur einen Kuss weit ent­fer­nt.

Andreas Dierßen: Die besten Zeit­en
Carlsen Comics, Hard­cov­er, schwarzweiß,
160 Seit­en

Andreas Dierßen: Die besten Zeit­en (Bild: Carlsen Comics)

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