Es ist schon eine schwierige Sache mit der Komik, hier in Deutschland. Wir haben die Krawallheinis, die sich im Privatfernsehen tummeln, wir haben die Retrokünstler, die einen mit dem immer wiederkehrenden Kurt Tucholsky – gibt es andere? – unterhalten wollen und wir haben die überwiegend übellaunigen “ernsthaften” Kabarettisten.
Im deutschen Bildungsbürgertum findet sich eine gewisse Vorliebe für die Vertreter der beiden letztgenannten Kategorien, besonders die letztere erfreut sich im Nachkriegsdeutschland großer Beliebtheit. Schließlich gehört es spätestens seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum guten Ton belesener und politikinteressierter Kreise, sich an der atemlosen Besserwisserei des deutschen Fernsehkabaretts à la “Scheibenwischer” gütlich zu tun. Der Hamburger Sebastian Schnoy bezeichnet sich allerdings als Kabarettist und hat dabei doch einen anderen Weg gewählt als das Milieu der saturierten “Rive Gauche”.
Was nicht bedeutet, dass man es bei ihm mit dem Brachialulk der bewährten Stadionkomödianten zu tun hätte. Im Gegenteil, das Publikum, das sich am Premierenabend seines neuen Programms “Von Stauffenberg zu Guttenberg” in Alma Hoppes Lustspielhaus versammelt hatte, gehört im besten Sinne zu der Klientel, die man in Lifestyle-Postillen mit dem Modebegriff “Normcore” bezeichnen würde. Von der Funktionsjacke bis zum Blazer ist denn auch alles versammelt im Foyer, man hört den leicht nasalen Eppendorfer Sound genauso wie den breiten Ton aus der Barmbeker Ecke, am Weißwein wird genau so genippt wie Bierpitcher über den Tresen gewuchtet werden.
Sein Thema ist der Adel, über den es sich gut lustig machen lässt, besonders im tiefbürgerlichen Hamburg, dessen finanzstarke Oberschicht nichts so gerne wäre wie “British”, dem Land of Hope and Glory so nah und den Royals natürlich gefühlt noch viel verbundener als die Eingeborenen der Insel. Die seiner Wahrnehmung nach gewaltige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit dieser schon seit 1919 eigentlich entmachteten Schicht ist das Leitmotiv seines Programms.
Das könnte natürlich eine moralinsaure und dauerbelehrende Sache sein, schließlich ist Sebastian Schnoy Historiker und nennt seine Programme ausdrücklich “Geschichtskabarett”. “Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.” schrieb der bereits erwähnte Kurt Tucholsky schon 1926, und damit ist er wohl der Urvater des Schnoyschen Kabarettgedankens.
Damit das schon mal ganz klar ist, dass es sich um eine distinguierte Veranstaltung handelt, wird auf der offenen Bühne, vor dem sich sammelnden, weinnippenden und bierpitchenden Publikum, Gepflegtes zelebriert. Zwei Pseudoportraits des Künstlers im Goldrahmen – wir wissen, Photoshop hatte gerade einen runden Geburtstag – dazu sitzt eine Harfenistin auf der Bühne. So stellen wir Bürgerlichen uns den Adel vor, allein auf seinen Schlössern sitzend, und filigranem Gezupfe lauschend. Die Normcore-Mensch goutiert’s.
Kabarett ist in erster Linie Gerede, Live-Vortrag, Ansprache. Sebastian Schnoy beherrscht das und greift sich von Beginn an sein grundbürgerliches Publikum. Schnell wird klar, dass die Bonmots, die selbstverständlich zünden müssen – Prinz Charles spricht mit Pflanzen, der spanische König auf Elephantenjagd, all diese »Ahas« und »Ohos«, die einem aus der Society-Presse entgegenquellen –, nicht das eigentliche Thema des Abends sind, obwohl sie sich so prächtig dazu eignen zu unterhalten und sich von denen abzugrenzen, die kein normales Leben führen. Schnell entlarvt er hier das »von« als einfache lokale Präposition, die auch den »einfachen« Mann treffen kann – so entsteht mal schnell das Geschlecht derer »von Barmbek«.
Die Behauptung der Besonderheit und die vorwiegend missglückte Erfüllung dieser Versprechen zieht sich denn auch so grunddemokratisch durch den Abend, dass es eine reine Lust ist. Und natürlich bekommt der berühmte gescheiterte »Von«, der einmal Verteidungsminister war, sein Fett weg, die Demontage von Adelsmythen ist, in die alte und neuere Vergangenheit blickend, äußerst amüsant.
Mit einem Mal hat Sebastian Schnoy ein Plakat in der Hand, ein vergrössertes Schwarz-Weiss-Photo. Es zeigt keinen Adeligen, sondern einen Tischler, jenen Tischler Georg Elser, der 1939 mit einer selbstgebauten Bombe, Adolf Hitler umbringen wollte. Die Bombe explodierte, Hitler hatte jene Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller aber bereits verlassen. Elser starb 1945 im Konzentrationslager Dachau, hingerichtet durch einen Genickschuss des SS-Manns Theodor Heinrich Bongartz. An Elser erinnern sich heute nicht mehr viele.
Die Parallele zu einem sehr verehrten und sehr adeligen Helden, dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist flugs gezogen. Die »Helden des 20. Juli« sind jüngst wieder gepriesen worden, doch ein paar Worte Schnoys über die nationalistische und durch aus nicht rein antinationalsozialistische Grundhaltung Stauffenbergs und der Vergleich mit Elser genügen dem Geschichtskabarettisten, um Heldenverehrung im Allgemeinen und diese im Besonderen als ungemein hinterfragenswert zu kennzeichnen. Man mag den Topos mit dem Lachen, das einem im Halse stecken bleibt, nicht überstrapazieren, aber selten trifft er so zu wie hier.
»Aut prodesse volunt aut delectare poetae.« – »Die Dichter wollen entweder nützen oder unterhalten«, schrieb der Römer Horaz, oder auch beides, so folgt es im nächsten Satz. Den römischen Helden wurde aber auch auf ihren Triumpfwagen ins Ohr geflüstert: »Memento moriendum esse« – »Bedenke, dass du sterblich bist«. Der Sterblichkeit von Helden sollte man sich tatsächlich immer bewusst sein. Das schützt vor vorschneller Verehrung.
Und so ist sie da, die Aufklärung im Kabarett des Sebastian Schnoy, ohne Nörgelei. Der Mann will was.
Werthes Hamburger Feuilleton, seit 5 Jahren mache ich,zusammen mit Jens Harzer, am 8.11. dem Tag des Attentats von Georg Elser einen Abend, an dem ich sein Attentat (1939) dem von 1944 gegenüberstelle.
Am 8.11.14 wieder. Und der neue Elser-Film kommt im April auch noch, es geht als aufwärts mit Elsers Bekanntheit gegenüber den jährlich hochgelobten Militäradligen.
Herzlichen Gruß,
Helmut Butzmann