Eine Verneigung vor David Bowie

Die Tanz-Ikone Michael Clark verbeugt sich mit »to a simple, rock ’n’ roll … song« beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel vor David Bowie

Michael Clark
DoubleStar (Bild: Hugo Glendinning)

Eine enorme Klangfülle nimmt die Halle sechs der Kul­tur­fab­rik Kamp­nagel ein. Es erklingt Eric Saties “Ogive”. Satie war bere­its in den frühen Zeit­en seines Schaf­fens vom gre­go­ri­an­is­chen Gesang inspiri­ert wor­den, daher wohl auch die Beze­ich­nung “Ogive”, ein Kreuzrip­pengewölbe, welch­es zahlre­iche gotis­che Kirchenge­bäude schmückt. Saties Idee zu dem Stück war eine religiöse. Er wollte die starken Klänge ein­er Pfeifenorgel nachah­men, welche assozia­tiv in den Tiefen ein­er Kathe­drale wieder­hallen soll­ten. Kirchenge­sang und Rock’n’Roll, wie passt das zusam­men?

Indem Michael Clark seine dre­it­eilige Per­for­mance mit den min­i­mal­is­tis­chen und kar­gen Tönen der “Ogive” ein­leit­et, über­rascht er den Zuschauer von Anbe­ginn. Zu den knap­pen und teils aggres­siv­en Akko­r­den bewe­gen sich die acht Tänz­er der Michael Clark Com­pa­ny in puris­tis­chen und mech­a­nis­chen Bewe­gun­gen. Passend dazu die leere Büh­nenkulisse und die schlicht­en schwarz-weißen Ganzkör­per­trikots der Tänz­er. Der Stilmix aus Bal­lett und Mod­ern Dance ist auf Präzi­sion und Klarheit bedacht. Clark ist streng mit seinen Tänz­ern, lässt sie auf einem Bein oder kopfüber auf den Armen bal­ancieren – pure Askese. Die eine oder andere Fig­ur erin­nert an Kör­per­stel­lun­gen aus dem Yoga. Inten­sive Kör­per­be­herrschung gepaart mit Geschmei­digkeit und Akro­batik. Beina­he dishar­monisch wirken dabei die immer wiederkehren­den Bal­let­tele­mente. Klas­sis­che Drehun­gen und Sprünge aus dem Bal­lett kreuzen sich mit akro­batis­chen Fig­uren. Hier ein Jeté, dort eine Kerze oder ein Hand­stand. Dazu Saties harte Akko­rde und Dop­pel-Oktaven. Musik und Tanz entwick­eln eine scharfe kon­trastierende Dynamik. Was gewöhn­lich ästhetisch wirkt, erscheint in Dishar­monie.

Nach zwanzig Minuten strenger Diszi­plin und musikalis­chem Min­i­mal­is­mus erklingt Pat­ti Smiths Song “Hors­es”. Rock­ig ist nicht nur die Musik, son­dern auch das Out­fit der Tänz­er, in schwarzen Leder­ho­sen mit Schlag. Futur­is­tisch anmu­tende Grafik-Pro­jek­tio­nen erscheinen im Hin­ter­grund und gehen in wirre Zahlenkom­bi­na­tio­nen über. Dazu die energiege­lade­nen und pro­gres­siv­en Bewe­gungsabläufe der Tänz­er. Wie im Rausch ver­schmelzen die Tänz­er Bal­let­tfig­uren mit Popele­menten und Akro­batikkun­st. Im Ver­gle­ich zum ersten Akt fließen die Bewe­gun­gen mehr in einan­der über, lasziv gleit­en die Tänz­er über den Boden. Sinnlichkeit und Rausch statt Schlichtheit und Min­i­mal­is­mus.

Und dann erklingt David Bowies “Black­star” aus dem let­zten Stu­dioal­bum der britis­chen Pop-Leg­ende. Die Tänz­er tra­gen nun engan­liegende met­allisch-glänzende Ganzkör­p­er-Over­alls, ganz im Sinne ihres Chore­ografen. Michael Clark verkör­pert Glam­our, Punk und Sexy­ness wie kein ander­er zeit­genös­sis­ch­er Chore­o­graph. Clark arbeit­ete mit bekan­nten Design­ers und Mod­els zusam­men und genoss sein Leben in Rausch und Fülle. Bunt und Schrill sind Büh­nen­bild und Kostüme der Tänz­er, wie einst das Leben des Aus­nah­mekün­stlers Bowie und der per­sön­liche Lebensstil des Chore­ografen Michael Clark.

In Mit­ten der Tänz­er erscheint wie aus dem Nichts, eine in Schwarz bek­lei­dete Dame. Teils mis­cht sie sich unter die Tänz­er, teils erscheint sie alleine mit einem Soli auf der Bühne. Ein Tode­sen­gel, der an Bowies plöt­zlichen Tod erin­nern soll?

In Bowies let­ztem Album “Black­star”, nur wenige Tage vor seinem Tod erschienen, scheinen immer wieder Tode­sah­nun­gen des Kün­stlers zu hören zu sein. Bowie schaut in diesem Album auf sein Leben zurück und sucht nach Erlö­sung. Wie der erste Akt erin­nert auch der let­zte an etwas Übersinnlich­es.

Wie bei Satie mis­cht sich auch in das Bowies Album ein düster­er Gesang ein, der ent­fer­nt an einen gre­go­ri­an­is­chen Choral erin­nert. Religiöse Klan­gele­mente, die Clarks Akte zusam­men­hal­ten. Als let­ztes Stück erklingt Bowies “Aladdin Sane”, das stark von dem Klavier­spiel des Jazz-Pianis­ten Mike Gar­son geprägt ist . Seine Pianok­länge rufen Saties Klavier­spiel zurück. Eric Satie war nicht nur Rev­o­lu­tionär und Mit­be­grün­der ein­er “Nou­velle Music”, seine Musik bee­in­flusste auch den Jazz. Und, ganz wie am Anfang, so endet auch das Gesamt­stück mit ein­er Pirou­ette auf einem let­zten Klavier­an­schlag.

Wie das Gewölbe, die Ogive, welche von Kreuzrip­pen gehal­ten wird, span­nt Clark einen his­torischen und musikalis­chen Bogen um seine drei Akte. Ange­fan­gen beim radikalen Vere­in­fach­er Eric Satie, der mit den klas­sis­chen Klavierkom­po­si­tio­nen brach und sich nach ein­er neuen Musikrich­tung sehnte, über die “God­moth­er of Punk” Pat­ti Smith bis hin zu Bowies let­ztem Werk “Black­star” – alle drei eint die Freude am Exper­i­men­tieren und der Suche nach etwas Neuem.

Getreu dem inno­v­a­tiv­en und rebel­lis­chen Geist dieser Musik­er bricht auch Clark mit der Tra­di­tion und entwick­elt eine eigen­ständi­ge Form des Tanzes. Auch Clarks Chore­o­gra­phi­estil lässt sich keinem genauen Genre zuschreiben. Heute wirkt der einst als Enfant ter­ri­ble gefeierte Kün­stler nicht mehr so radikal und inno­v­a­tiv wie in sein­er Hochzeit in den achtziger Jahren. Nichts­destotrotz begeis­tert er – und zwar nicht, weil er eine atem­ber­aubende Per­for­mance zeigt, son­dern weil er einen Aus­nah­mekün­stler feiert. Mit seinem Stück verneigt sich Clark vor der Pople­gende und er scheint Bowie für seinen Mut, seine Inspi­ra­tion und sein Lebenswerk danken zu wollen.

Michael Clark
He’s being sur­round­ed by Hors­es, Hors­es, Hors­es, Hors­es … (Bild: Anja Beut­ler)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*