Mit einem Bein am Abgrund

Helge Schmidt und sein Team zeigen mit »Wem gehört das Land?« am Lichthof Theater die fatalen Folgen von Landgrabbing.

Das hat er defin­i­tiv: ein Näschen für das, was bren­nt, bevor andere es richtig auf der Agen­da haben. Schon bei der Cum-Ex-Affäre recher­chierte Regis­seur, Gesellschafts- und Poli­tik­sezier­er Helge Schmidt frühzeit­ig. Bere­its vor der Veröf­fentlichung des inves­tiga­tiv­en Recherchezen­trums CORRECTIV am 18. Okto­ber 2018 bekam er mit seinem Team Ein­blick in die jour­nal­is­tis­chen Prozesse. Das Ergeb­nis: ein fes­sel­nder The­at­er­abend über einen der größten Finanzskan­dale Deutsch­lands – so aktuell, dass das The­ma noch in den Nachricht­en präsent war. Eben­so passiert bei »Tax for free« über Olaf Scholz‘ und Peter Tschentsch­ers War­burg-Bank-Involve­ment. Das aktuelle Stück »Wem gehört das Land? Eine Recherche zum boden­losen Han­del mit Ack­er­land« feierte in Berlin Pre­miere, noch bevor Ham­burgs Straßen von nord­deutschen Trak­toren lah­mgelegt wur­den. Die inves­tiga­tive Stück­recherche holt die Speku­la­tion mit Agrarflächen und das Phänomen des sog. »Land­grab­bing« auf die Bühne.

Exzel­lente Recherche bedeutet aber keineswegs trock­ene Analyse. Ja, es wer­den Exper­tin­nen und Experten zum The­ma befragt und deren State­ments auf der Bühne pro­jiziert. Und ja, es geht um Fak­ten – das dreiköp­fige Team disku­tiert über das Gesagte und bezieht dazu Stel­lung. Aber dem Abend ist eine gehörige Por­tion The­aterza­uber und Lit­er­atur beige­mengt, ohne den Doku­mentar­charak­ter zu stören. Die Theatermacher:innen malen das Recher­chierte vielmehr bunt, geben ihm eine kün­st­lerische Farbe, die die Fak­ten in ein neues Licht rück­en. Es wird gesun­gen und auf dem Klavier begleit­et, es gibt Texte von Inge­borg Bach­mann oder Dörte Hansen neben Erken­nt­nis­sen von Journalist:innen und Wissenschaftler:innen. Das Aus­maß des gesellschaftlichen Prob­lems wird dadurch keineswegs geschmälert.

Recherche und Zauberstab

Der per­fek­te Bauern­hof? Jonas Anders und Gün­ter Schaupp (Bild: Fabi­an Raabe)

Ein wichtiges Zauber­mit­tel ist die Büh­nen­nutzung (Bühne: Mar­ti­na Mahlknecht). Hier wer­den unter­schiedliche Mate­ri­alien als Pro­jek­tions­flächen einge­set­zt, es gibt ein Gewächshaus, dessen Plane mul­ti­funk­tion­al einge­set­zt wird. Darin darf Erde in Ack­er­furchen geschichtet wer­den, es dient aber auch als Folie für Schat­ten­spiel. Eine Live-Kam­era an einem anderen Büh­nen­bildele­ment hält fest, wie die Performer:innen Erde in Reagen­zgläsern quellen lassen oder einen Play­mo­bil-Bauern­hof mit fein­er Ironie bespie­len. Mit dem Plas­tik-Hip­ster, der aus Ham­burg und Berlin seinen Weg aufs Land gefun­den hat, da dort die Luft so gut ist – »und die Die­len schleife ich uns ab, Schatz«.

Auch wenn Schmidts Team das The­ma ins Sinnliche holt – das Pub­likum muss blitzwach bleiben. Denn Artikel 161 zur Boden­nutzung aus der Bay­erischen Lan­desver­fas­sung ist nicht das Kom­plex­este, was hier zitiert wird. Wir ler­nen von Expert:innen wie Roman Herre, Agrar­ref­er­ent bei der deutschen Sek­tion der inter­na­tionalen Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tion FIAN, Agrarökonomin Dr. Insa Flachs­barth oder dem Agrar­wis­senschaftler Felix zu Löwen­stein. So erfahren wir, dass unser Land »anthro­pogen über­prägt« ist, dass Solar­for­men auf Ack­er­flächen zwar zu grünem Strom ver­helfen, aber eben nicht zu gesun­den Lebens­mit­teln und dass Ack­er­land vor allem zur Diver­si­fika­tion von Ver­mö­gen gern als ins Investi­tion­sport­fo­lio aufgenom­men wird.

Boden unter den Füßen

Bodenbe­sitz ist Macht. (Bild: Judith Wess­bech­er)

Und ger­ade, wenn die Köpfe anfan­gen zu rauchen, holen Ruth Marie Kröger, Jonas Anders und Gün­ter Schaupp das Pub­likum zurück auf die Erde – im wahrsten Wortsinn. Denn diese wird verteilt, betram­pelt, gerächt, zer­furcht oder gewässert. Der Boden spielt mit. Gut so, denn: »Die Geschichte von Fuß und Boden ist eine Geschichte der Ent­frem­dung. Fuß und Boden haben sich Stück für Stück voneinan­der ent­fer­nt.« Kein Wun­der. Immer­hin bewirtschaften immer größere Höfe immer größere Flächen. Wirtschaftlich, ja. Aber nicht ökol­o­gisch. Der Kon­sum hat den Anbau längst vergessen. Klein­bauern haben hier schlicht keine Chance mehr: »Die Großen wer­den größer, und die Kleinen gaben auf.« Eine ernüchternde, ja drama­tis­che Tat­sache. Denn kleine Höfe gibt es kaum noch. Land­wirtschaft, wie wir sie kan­nten, existiert (fast) nicht mehr.

Klare Kante auch Rich­tung Poli­tik, die hier reg­ulieren muss. Nicht nur, dass etwa den Aldi-Erben Agrarflächen gigan­tis­chen Aus­maßes in Ost­deutsch­land gehören. Auch die Hal­tung »Der Ver­brauch­er wird´s schon richt­en« ist hier zu kurz gedacht. Inner­halb Europas muss augen­schein­lich eine Entwach­s­tums­de­bat­te stat­tfind­en, auch wenn das zweifel­sohne ein regionaler Blick ist. Denn der imag­inäre Sprung nach Afri­ka zeigt: Die Schwellen- und Entwick­lungslän­der brauchen das Wach­s­tum, von dem die entwick­el­ten Märk­te zu viel haben. Hier lässt sich eine klare Form von Neokolo­nial­is­mus beobacht­en: Aus­ländis­che Eigen­tümer schöpfen den Prof­it ab, die Men­schen vor Ort sind ver­schuldet und abhängig. Klar ist: Wenn wir im eige­nen Land so weit­er machen, erah­nen wir zumin­d­est im Ansatz, was der Land­wirtschaft blüht. Wussten Sie, dass bei Landwirt:innen eine 50 Prozent höhere Suizidrate als in der Zivil­bevölkerung herrscht?

Musik gegen Unver­nun­ft © Fabi­an Raabe

Also ein­fach mal Kon­takt zum Boden aufnehmen? Die Schuhe ausziehen und mehr bar­fuß laufen? Ein Anfang, aber unzure­ichend. Das müssen auch Kröger, Anders und Schaupp zäh­neknirschend akzep­tieren. Die Debat­te ist heiß. Und sie nimmt kein Ende, Hoff­nung vor­erst nicht in Sicht. Das Land­grab­bing ist längst in Deutsch­land angekom­men. Und das, obwohl der Welt­a­grar­bericht ganz deut­lich zeigt: Die Klein­bauern sind die Lösung! Was aber, wenn es weltweit an Ein­sicht man­gelt? Ein schiefes Lächeln und ab ans Klavier. »Ich würd´ sagen, ich spiel jet­zt noch ein Lied, und dabei geht das Licht langsam aus.«

Das Stück ist noch am 16., 17. und 18.2. am Lichthof The­ater zu sehen.

 

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