Mit einem blauen Auge

»Rocky« strauchelt in der ersten Runde und kommt dann wieder auf die Beine.

Alles, was ein Rocky braucht. (Bild: © cuh­le-fotos — Fotolia.com)

Es gibt alles, was echte Rocky-Fans glück­lich macht, soviel sei vorneweg gesagt. Box­train­ing in der Fleis­chfab­rik, den mor­gendlichen Kraft­drink aus rohen Eiern auf Ex (Szene­nap­plaus für Rocky-Darsteller Drew Sarich), und die Treppe, an der der abge­halfterte Box­er zu Beginn seines Train­ings scheit­ert. Doch es gibt auch Pas­sagen, die eben ganz klas­sisch und Musi­cal-typ­isch sind und die vielle­icht dem Wun­sch nach echter Action nicht nachkom­men. Doch ist es ins­ge­samt ger­ade diese Mis­chung, die den Abend aus­macht.

“Die Nase hält noch” singt Rocky für seine Schild­kröten zu Ehren seines Idols Rocky Mar­ciano. Das Schw­er­fäl­lige, das Drew Sarichs Sprache innehat – obwohl er als Amerikan­er extrem hart daran gear­beit­et haben muss – tut der Fig­ur gut. Der Under­dog Rocky, der keinen zum Reden hat außer seinen bei­den Schild­kröten K und O, schafft es, das Pub­likum zu rühren. Und das, obwohl der Abend in der ersten Hälfte dur­chaus schw­er in Schwung kommt, was nicht Wun­der nimmt. Immer­hin hat das Medi­um Film es erhe­blich leichter, die Ein­samkeit des in die Jahre gekomme­nen Box­ers zu zeigen als das The­ater.

Die Büh­nen­tech­nik jeden­falls gibt von Beginn an alles. Leicht­gängig wech­seln die Szene­r­ien zwis­chen Rock­ys arm­seliger Bude, der Zoohand­lung, in der Adri­an arbeit­et, dem Train­ingsraum und dem 70er-Jahre Retro-Büro des Man­agers von Box­er-Welt­meis­ter Apol­lo. Ständig gibt es auf der Bühne etwas zu ent­deck­en, und den­noch kommt die Hand­lung nicht so recht in Gang. Daran kann auch die Musik, die teil­weise her­rlich Musi­cal-untyp­isch im beschwingten Phillysound daherkommt, nichts ändern. Typ­is­che Musi­cal-Num­mern wie “Mehr als nur ich und du”, ein kitschiges Liebes­duett zwis­chen Rocky und Adri­an, ziehen sich wie Kau­gum­mi, vor allem wenn Adri­an bei ihren schw­er­fäl­li­gen Eis­laufver­suchen eher pein­lich berührt als zu Trä­nen rührt.

Und dann gibt es da diese extrem mitreißen­den Momente schon in der ersten Hälfte, z. B. im Box­train­ingsraum: Der stampfende Rhyth­mus kommt aus dem Orch­ester­graben, und mit fes­sel­nder Genauigkeit ist das Train­ing auf der Bühne abges­timmt. Bere­its hier fällt eine solche Exak­theit in der chore­ografis­chen Arbeit auf, dass man unwillkür­lich zugeben muss, dass Musi­cal eben Kun­st ist – selb­st wenn man son­st eher kein Musi­cal-Typ ist.

Nach der Pause jedoch ist Wider­stand zweck­los – selb­st einge­fleis­chte Musi­cal-Geg­n­er wer­den hier atem­los dran bleiben. Dabei wird die zweite Hälfte ganz ruhig ein­geläutet. “33 Tage bis zum Kampf” zählt die Pro­jek­tion auf dem Vorhang an, und dann wird man direkt hineinge­so­gen in Rock­ys müh­same Train­ingsver­suche. Denn auch hier zieht die Tech­nik alle Reg­is­ter. Was die Bühne alles kann, mag man unwillkür­lich denken, wenn Stad­tan­sicht­en auf Gaze am joggen­den Rocky vorüberziehen, wenn zu “Eye oft the Tiger” gle­ich drei Rock­ys in Kapuzen­pullis gegen unsicht­bare Geg­n­er box­en und sich die Train­ingsszene recht bald zu ein­er tem­por­e­ichen Grup­pen­chore­ografie box­en­der Rock­ys entwick­elt.

Die Mach­er des Musi­cals wis­sen, was Effek­te sind, und sie set­zen jeden Effekt mit solch­er Per­fek­tion, dass einem schon mal die Luft weg bleibt. Dass die Rinder­hälften in der Fleis­chhalle zwis­chen­durch mal ins Stock­en ger­at­en, zeigt nur, wie genau hier jedes einzelne Räd­chen funk­tion­ieren muss und dass auch Tech­nik nicht unfehlbar ist. Beim finalen Kampf springt spätestens auf, wer jet­zt noch sitzt – allein schon, weil man son­st nichts mehr sieht. Vor einem ste­hen näm­lich alle.

Und auch die Bühne selb­st ist Bewe­gung: Der Boxring schiebt sich über die ersten Rei­hen in Rich­tung Pub­likum, die dor­ti­gen Plätze ziehen kurz­er­hand auf die andere Seite des Boxrings um, und spätestens beim Auftritt von Apol­lo Creed (schaus­pielerisch und stimm­lich stark: Ter­ence Archie) mit seinen heißen Mädels in Stars and Stripes gibt es kein Hal­ten mehr. Und damit das jet­zt nicht nach totalem Spek­takel klingt, sei auch an dieser Stelle nochmals das per­fek­te Zusam­men­spiel der Band, der Tech­nik und der Darsteller erwäh­nt. Hier passiert alles, was passiert, genau nach Plan. Jed­er Schlag in Zeitlupe, jed­er Beat aus dem Orch­ester­graben und jed­er Tritt. Hier wird Zeit überblendet zum einzi­gar­ti­gen Moment, mit Ebe­nen gespielt und das Pub­likum so galant getäuscht, dass es eine wahre Freude ist. Das ist ein­fach sehenswert – ungeliebtes Genre hin oder her. Punk­tum.

 

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