Es gibt alles, was echte Rocky-Fans glücklich macht, soviel sei vorneweg gesagt. Boxtraining in der Fleischfabrik, den morgendlichen Kraftdrink aus rohen Eiern auf Ex (Szenenapplaus für Rocky-Darsteller Drew Sarich), und die Treppe, an der der abgehalfterte Boxer zu Beginn seines Trainings scheitert. Doch es gibt auch Passagen, die eben ganz klassisch und Musical-typisch sind und die vielleicht dem Wunsch nach echter Action nicht nachkommen. Doch ist es insgesamt gerade diese Mischung, die den Abend ausmacht.
“Die Nase hält noch” singt Rocky für seine Schildkröten zu Ehren seines Idols Rocky Marciano. Das Schwerfällige, das Drew Sarichs Sprache innehat – obwohl er als Amerikaner extrem hart daran gearbeitet haben muss – tut der Figur gut. Der Underdog Rocky, der keinen zum Reden hat außer seinen beiden Schildkröten K und O, schafft es, das Publikum zu rühren. Und das, obwohl der Abend in der ersten Hälfte durchaus schwer in Schwung kommt, was nicht Wunder nimmt. Immerhin hat das Medium Film es erheblich leichter, die Einsamkeit des in die Jahre gekommenen Boxers zu zeigen als das Theater.
Die Bühnentechnik jedenfalls gibt von Beginn an alles. Leichtgängig wechseln die Szenerien zwischen Rockys armseliger Bude, der Zoohandlung, in der Adrian arbeitet, dem Trainingsraum und dem 70er-Jahre Retro-Büro des Managers von Boxer-Weltmeister Apollo. Ständig gibt es auf der Bühne etwas zu entdecken, und dennoch kommt die Handlung nicht so recht in Gang. Daran kann auch die Musik, die teilweise herrlich Musical-untypisch im beschwingten Phillysound daherkommt, nichts ändern. Typische Musical-Nummern wie “Mehr als nur ich und du”, ein kitschiges Liebesduett zwischen Rocky und Adrian, ziehen sich wie Kaugummi, vor allem wenn Adrian bei ihren schwerfälligen Eislaufversuchen eher peinlich berührt als zu Tränen rührt.
Und dann gibt es da diese extrem mitreißenden Momente schon in der ersten Hälfte, z. B. im Boxtrainingsraum: Der stampfende Rhythmus kommt aus dem Orchestergraben, und mit fesselnder Genauigkeit ist das Training auf der Bühne abgestimmt. Bereits hier fällt eine solche Exaktheit in der choreografischen Arbeit auf, dass man unwillkürlich zugeben muss, dass Musical eben Kunst ist – selbst wenn man sonst eher kein Musical-Typ ist.
Nach der Pause jedoch ist Widerstand zwecklos – selbst eingefleischte Musical-Gegner werden hier atemlos dran bleiben. Dabei wird die zweite Hälfte ganz ruhig eingeläutet. “33 Tage bis zum Kampf” zählt die Projektion auf dem Vorhang an, und dann wird man direkt hineingesogen in Rockys mühsame Trainingsversuche. Denn auch hier zieht die Technik alle Register. Was die Bühne alles kann, mag man unwillkürlich denken, wenn Stadtansichten auf Gaze am joggenden Rocky vorüberziehen, wenn zu “Eye oft the Tiger” gleich drei Rockys in Kapuzenpullis gegen unsichtbare Gegner boxen und sich die Trainingsszene recht bald zu einer temporeichen Gruppenchoreografie boxender Rockys entwickelt.
Die Macher des Musicals wissen, was Effekte sind, und sie setzen jeden Effekt mit solcher Perfektion, dass einem schon mal die Luft weg bleibt. Dass die Rinderhälften in der Fleischhalle zwischendurch mal ins Stocken geraten, zeigt nur, wie genau hier jedes einzelne Rädchen funktionieren muss und dass auch Technik nicht unfehlbar ist. Beim finalen Kampf springt spätestens auf, wer jetzt noch sitzt – allein schon, weil man sonst nichts mehr sieht. Vor einem stehen nämlich alle.
Und auch die Bühne selbst ist Bewegung: Der Boxring schiebt sich über die ersten Reihen in Richtung Publikum, die dortigen Plätze ziehen kurzerhand auf die andere Seite des Boxrings um, und spätestens beim Auftritt von Apollo Creed (schauspielerisch und stimmlich stark: Terence Archie) mit seinen heißen Mädels in Stars and Stripes gibt es kein Halten mehr. Und damit das jetzt nicht nach totalem Spektakel klingt, sei auch an dieser Stelle nochmals das perfekte Zusammenspiel der Band, der Technik und der Darsteller erwähnt. Hier passiert alles, was passiert, genau nach Plan. Jeder Schlag in Zeitlupe, jeder Beat aus dem Orchestergraben und jeder Tritt. Hier wird Zeit überblendet zum einzigartigen Moment, mit Ebenen gespielt und das Publikum so galant getäuscht, dass es eine wahre Freude ist. Das ist einfach sehenswert – ungeliebtes Genre hin oder her. Punktum.
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