Normalerweise steht hier, an dieser Stelle, eine Würdigung für einen verstorbenen Künstler. Die Auswahl ist meist subjektiv, wann immer einer in der Redaktion einen derer, die er zu seinen Lebzeiten für wichtig hielt, ehren wollte, immer dann wurde eine Würdigung eingestellt. Aus Prinzip keine salbungsvollen Worte, es ging stets um das Vermächtnis, um das Werk, das derjenige, dessen Zeit nun zu Ende war, hinterlassen hatte.
Zum Tode von Günter Grass am vergangenen Montag fühlte sich keiner wirklich berufen, zu übermächtig war vielleicht der Tod des bekanntesten Schnauzbartes der alten Bundesrepublik. Was hätte man auch abbilden sollen? Eine seiner kantigen Radierungen von Dingen und Tieren? Einen Filmausschnitt aus der Schlöndorff-Verfilmung der “Blechtrommel”, dem Werk, an dem alles andere, was Günter Grass je produziert hatte, sich messen lassen musste? Oder gar eine der Hinterlassenschaften der letzten Jahre, manchmal über das Ziel hinausschießende und streitbare Ergüsse wie einst, oder auch schon gelegentlich altersweise verhaltene Texte? Von all dem erschien nichts angemessen.
Ich selbst bin dem Autor nur wenige Male persönlich begegnet, immer aus der Distanz, im Rahmen von Veranstaltungen, denen ich auch hinter der Bühne beiwohnen durfte. Da war er schon ein versammelter älterer Herr, in Maßen gesellig, der auch die um ihn herumdienerende Entourage an seinem Cordhosenhabitus abprallen ließ, zuletzt vor knapp anderthalb Jahren.
Er mochte wohl Kinder, er selbst hatte einige davon. Er schaute dann bei dieser Gelegenheit wohlwollend über den Brillenrand der nun schon ikonischen halben Lesebrille hinweg und schrieb dann eine Widmung für ein neunjähriges Mädchen in eines seiner Bücher. Ein freundlicher älterer Herr, der aber auch niemanden in seiner Umgebung darüber im Zweifel ließ, dass er der Nobelpreisträger war und auch kein anderer. So war es dann bei der darauf folgenden Lesung in seiner Wahlheimat Lübeck, wo er dem eigens engagierten Starschauspieler, der ihn, den greisen Autor, unterstützen sollte angesichts der zu erwartenden Länge der Veranstaltung, mal eben locker per spätviriler Ausdauervorlesung in seine Schranken verwies. Es gab eben nur einen Grass in diesem Saal, da war auch Oscarruhm und Sprecherkunst irrelevant.
Auch konnte ich dem alten Mann so einiges übel nehmen, sowohl sein Engagement bei zweifelhaften Fringe-Veranstaltungen gegen die von ihm stets als Gefahr wahrgenommene Atomenergie, das dann in der Folge ganze Heerscharen von Kollegen um Honorare und Auftrittsmöglichkeiten brachte; oder seine überbordenden Tiraden gegen Dinge, die ihm nicht passten, wie das so viel umstrittene – und vor allem tatsächlich schlechte – Gedicht gegen die israelische Politik, “Was gesagt werden muss”.
Das passte einerseits so gar nicht mit dem “Pater familias” zusammen, als den ich ihn erlebt hatte. Nach der Veranstaltung saß man zusammen, sprach bei Wein und Piroggen, einem Gericht aus der alten, der verlorenen Heimat, über die Deutschland in seinem Opus Magnum so viel erfahren hatte. Hinterher ließ er ausrichten, es sei ein Abend gewesen, wie er ihm gefallen hätte.
Andererseits hatte er eben den sprichwörtlichen “Arsch in der Hose”, die Dinge, für die er eintrat, als unzweifelhaft zu vertreten. Daran rüttelt auch keiner der Beckmesser, die sich über längst Bekanntes erregten, als “Beim Häuten der Zwiebel” erschienen war, 2006. Er war hineingeboren in die Geschichte dieses Landes, schuldig wie unschuldig, und er hat dieses Land zeit seines Lebens damit beschäftigt. Das hat ihn unterschieden von fast allen anderen. Nun ist es doch ein verspäteter Nachruf, es wird wohl der einzige an dieser Stelle bleiben.
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