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Wie Moritz Rinke den modernen Menschen sucht und was er findet: »Wir lieben und wissen nichts« in den Hamburger Kammerspielen

Katzen aunf Affen auf einem Maskenball (Bild: Felix Wandler/Hamburger Kammerspiele)
Katzen und Affen auf einem Masken­ball (Bild: Felix Wandler/Hamburger Kam­mer­spiele)

Die Lat­te liegt hoch, sehr hoch: “So ist die Lieb! So ist die Lieb! – Mit Küssen nicht zu stillen …”

Eduard Mörikes Gedicht ver­bildlicht seit beina­he 200 Jahren das pro­to­typ­is­che Ide­al der Paar­beziehung, das kann der beziehungs­bere­ite Großstädter in jed­er Äußerung sein­er Umwelt nach­forschen, ob in Mag­a­zi­nen, Kino oder in der Rat­ge­ber­lit­er­atur. Das Ziel ist ewiger Gle­ichk­lang und ewiges Begehren, die Per­fek­tion der roman­tis­chen Vorstel­lung vom Glück.

Diese Zeilen der deutschen Roman­tik bergen aber auch den tiefen Zweifel der Unvol­lkom­men­heit in sich, die Ungewis­sheit, ob denn alles, was da ver­anstal­tet wird an emo­tionaler Ver­renkung, an Balz- und Begehrver­hal­ten und dem darauf fol­gen­den “Set­tle­ment” dem Ide­al genügt. In der heuti­gen Gesellschaft wird erstaunlicher­weise dieses Bild hochge­hal­ten, haben sich die Zeit­en und sozialen Kon­stel­la­tio­nen seit dem frühen 19. Jahrhun­dert doch sehr verän­dert.

Das Indi­vidu­um ste­ht doch so hoch im Kurs, die freie Entschei­dung bei der Part­ner­wahl scheint alle Schwierigkeit­en der Ver­gan­gen­heit aufzulösen, dem ewigen und frei­heitlichen Glück scheint nichts mehr ent­ge­gen­zuste­hen.

In dieses Bild vom Paradies der Paare, das so tief in den Köpfen und – so es sie gibt – auch in den Herzen der medi­al ver­w­erteten Kon­sumge­sellschaft ver­wurzelt ist, ist auch der Aus­gangspunkt von Moritz Rinkes neuem Stück “Wie lieben und wis­sen nichts”, das an den Kam­mer­spie­len seine Ham­burg-Pre­miere hat­te. Rinke ist ein­er der weni­gen Autoren der jün­geren Gen­er­a­tion, die das dra­matur­gis­che Handw­erk mit der Mut­ter­milch einge­so­gen zu scheinen haben, seine grossen Bühnen­er­folge der ver­gan­genen Jahre sind extrem genau kon­stru­iert und bestechen durch die fed­ernde Ele­ganz sein­er Sprache. An die Rei­he von “Repub­lik Vine­ta” bis hin zu den phänom­e­nalen “Nibelun­gen” knüpft nun “Wir lieben und wis­sen nichts” rel­a­tiv naht­los an, der Text ist gut, die Pointen sitzen, die Fig­uren sind scharf geze­ich­net. Und der Autor schaut auf seine Zeit.

Der Plot ist konzen­tri­ert, zwei Paare tre­f­fen aufeinan­der, vier Typen, deren Klis­chee-Exis­ten­zen so typ­isch sind für eine heutige Gesellschaft von Selb­stver­wirk­lich­ern und ver­meintlich Erfol­gre­ichen. Da wäre die Man­age­ment-Trainer­in Han­nah (Katha­ri­na Wack­er­nagel), die Zen-Kurse für mit­tlere Führungskräfte gibt, mit dem erfol­glosen Autor Sebas­t­ian (Stephan Kam­p­wirth) zusam­men­lebt. Und der IT-beflis­sene Raum­fahrtin­ge­nieur Roman (Wan­ja Mues), an sein­er Seite die Ehe­frau Mag­dale­na (Karo­line Eich­horn), die eigentlich nichts tut. Bei­de Paare haben sich zum Woh­nungstausch aus beru­flichen Grün­den verabre­det, Aus­gangspunkt der Geschichte ist die fast leerg­eräumte Woh­nung von Han­nah und Sebas­t­ian. Die ist, wie es sich für den intellek­tuellen Mit­tel­stand gehört, hüb­sch weiß, das zen­trale Büh­nenob­jekt (Ausstat­tung: Lars Peter) ist der berühmte Lounge-Chair des Ehep­aars Charles und Ray Eames. Auch so ein kreatives Paar.

Ras­ant sind die Dialoge in den ersten zwei Drit­teln des Stück­es, Stephan Kam­p­wirth erfreut sich sichtlich an der Wortwech­se­lei mit sein­er Part­ner­in Katha­ri­na Wack­er­nagel. Deren schirmer­probtes Spiel hat so gar nichts von der Aufge­set­ztheit manch­er Büh­nenkün­stler, die “natür­liche Stim­mung” ist unzweifel­haft ihr Meti­er.

Ihre Han­nah ist offen­bar die treibende Kraft in der Beziehung der bei­den, und die depres­siv-tragikomis­che Egozen­trik ihres Autoren­fre­un­des Sebas­t­ian ist vielle­icht ein klein­er Spiegel­blick des Autors: “Ich komme aus ein­er klas­sis­chen Selb­st­mörder­fam­i­lie”. Hin­ter diesen Fig­uren ste­ht stets der tiefe Zweifel an der Richtigkeit ihrer Exis­tenz, bricht die Fas­sade auf. Han­nah hat bei aller Kar­ri­ere­pla­nung einen laten­ten Kinder­wun­sch, der ihr der Lone­some Rid­er Sebas­t­ian nicht erfüllen kann und will. Natür­lich beschäftigt er, der sich nicht entschei­den will, mit lib­ert­inären Gesellschaften. Er schreibt Kat­a­logvor­worte, der “große Roman” wartet und er pos­tuliert Frei­heit­en, die er nicht hat.

Unwillkür­lich fall­en einem die mod­er­nen Beziehungss­chlacht­en des heute nicht mehr gespiel­ten Schwe­den Lars Norén ein (“Dämo­nen”), in ihrer Uner­bit­tlichkeit und Gnaden­losigkeit sind sie Pro­duk­te ein­er anderen Zeit, des Endes des ver­gan­genen Jahrhun­derts. Rinkes Fig­uren sind Suchende, trudeln herum in ein­er Welt voller räum­lich­er Entwurzelung und fehlen­der ide­ol­o­gis­ch­er Per­spek­tiv­en. Das Schlacht­feld ist das­selbe, der, der einem ver­meintlich am näch­sten ste­ht, ist auch der Spar­ringspart­ner im Kampf mit sich selb­st.

Dem Tausch­paar Wan­ja Mues und Karo­line Eich­horn fehlt es eben­so an Per­spek­tiv­en und sie bleiben qua Anlage ein wenig blass­er als die anderen bei­den. Er, ein tech­nikver­liebter und von der eige­nen Wichtigkeit stets überzeugter Bra­mar­bas, sie das deko­ra­tive Frauchen an sein­er Seite mit einem Hang zur Kun­st – auch das ist eine Vor­lage, an der der Autor sich abar­beit­en kann – bei­de kom­men ein wenig stumpf daher, trotz der forcierten Dynamik eines bevorste­hen­den Ter­mins.

Es ist klar, dass es eine ero­tis­che Ver­schränkung dieses halt­losen Quar­tettes geben muss, das gebi­etet der Komö­di­en­plot und die Maske der jew­eili­gen sozialen Rolle. Funk­tion­ieren tut das natür­lich nicht, das Ende wie der Anfang ungewiss – damit ist die Regel des Boule­vards eigentlich aus­ge­he­belt, trotz der unauswe­ich­lichen Ver­satzstücke des Gen­res.

Gelöst ist das Ganze, wie schon angedeutet, flott – bis zum let­zten Drit­tel. An der Stelle, an der Rinke seinem möglichen Alter Ego Sebas­t­ian zum Cre­do ver­helfen will, da fängt der Abend an zu schlep­pen, als hätte jemand die Bremse getreten. Es ist schw­er für den Zuschauer, dieses Ritar­dan­do mitzu­machen, wäh­nte er sich doch bis dahin in ein­er Screw­ball-Com­e­dy.

Hier liegt die inszena­torische Schwierigkeit des Stoffes, unter Umstän­den hat­te die Regis­seurin Ulrike Maack aber auch eine gewisse Beißhem­mung, angesichts der Nahezu-Urauf­führung (die gab es im Dezem­ber in Frank­furt) und der Anwe­sen­heit des Autors, an entschei­den­der Stelle ein­mal den gefürchteten Bleis­tift des the­atralen Strich­es kreisen zu lassen, um das an sich Gelun­gene noch ein wenig weit­er zu for­men.

Aber – ein trotz der Ein­schränkung  intel­li­gen­ter und dann darum eben sehenswert­er Abend ist das. Zudem ist Moritz Rinke ist ein gesellschaft­spoli­tisch motiviert­er Roman­tik­er, das scheint gewiss. Endlich mal ein­er, solche Leute wer­den gebraucht.

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