Moderner Wartesaal

Stefan Pucher inszeniert »Warten auf Godot« am Thalia Theater mit Fokus auf aktuelle Themen.

Godot
Und weiter geht der Kampf gegen die Absurdität auf den Euro-Paletten. (Bild: Armin Smailovic/Thalia Theater)

Gle­ich vor­weg: Auch in Ste­fan Puch­ers Insze­nierung warten am Schluss alle immer noch auf Godot. Soweit alles wie gewohnt – der Rest der Neuin­sze­nierung des Beck­et-Klas­sik­ers “Warten auf Godot” erscheint eher unge­wohnt: Estragon und Wladimir, kurz Gogo und Didi, in Hartz-IV-Optik, Poz­zo in Jeans mit hal­blanger blonder Mähne und Led­er­man­tel, sein Diener Lucky kom­plett in Schwarz ver­hüllt und mit aller­lei Gegen­stän­den behängt, die er für seinen Her­rn sinn­los über die Bühne schleppt.

Schon die Kostüme (Tabea Braun) und Video-Ein­spielun­gen (Mei­ka Dresenkamp) erzeu­gen eine groteske, hoff­nungslose Stim­mung und lassen viele Assozi­a­tio­nen zur Gegen­wart zu: Flüchtlinge, Gewalt, IS, Abu Ghraib, die Ver­hül­lung von Men­schen als Ent­men­schlichung von Opfern oder als schlichte Bur­ka inter­pretiert etc.

Die vier Schaus­piel­er, Jens Harz­er als Wladimir, Jörg Pohl als Estragon, Oliv­er Malli­son als Poz­zo und Mir­co Kreibich als Lucky sind den gesamten Abend über durch­weg stark und machen die Sinnlosigkeit ihres Daseins greif­bar. Kurze Pas­sagen im Ham­burg­er Schnack, pathetis­che Dekla­ma­tion oder das dreima­lige Hose-Run­ter­lassen in den ersten zehn Minuten ste­hen zunächst kon­text­los im Raum. Absurd eben. Und da “Warten auf Godot” ja genau das sein soll, macht das auch wieder Sinn.

Die Dialoge führen gewohnt ins Leere oder zumin­d­est aneinan­der vor­bei. Wenn beim wieder­holten Nach­fra­gen immer noch nicht die richtige Antwort gegeben wird, möchte man am lieb­sten auf­sprin­gen und selb­st die Antwort rauss­chreien – selb­st wenn man sie zugegeben­er­maßen auch nicht hat –, um die bei­den Anti­helden endlich aus ihrer Monot­o­nie zu befreien. Unter­strichen wird diese grausame Ein­tönigkeit durch eine Wüste an fein­säu­ber­lich gestapel­ten Euro-Palet­ten (Büh­nen­bild: Stéphane Laimé), auf denen die ori­en­tierungslosen Fig­uren Beck­etts – Peiniger, Flüchtlinge, ahnungs­los, wegse­hend, quälend, lei­dend – herum­tram­peln. Dass die unter­schiedlichen Pro­tag­o­nis­ten dadurch sinnbildlich auf Europa herum­tram­peln, erscheint vielle­icht auf den ersten Blick plaka­tiv, ist aber gle­ichzeit­ig so sub­til, dass es fast überse­hen wer­den kön­nte.

Die Ver­lagerung in die Gegen­wart und die diversen Anspielun­gen geben dem Stück eine unan­genehme Aktu­al­ität, die es greif­bar­er macht und beim Pub­likum mit ihrer Drastik punk­ten kann. Allerd­ings gehen dadurch natür­lich auch Inter­pre­ta­tion­sebe­nen und Assozi­a­tion­sräume ver­loren.

Was machen wir hier über­haupt? Was ist der Sinn des Lebens? Wie war das mit unseren Zie­len? Diese und andere Fra­gen kom­men in Puch­ers Insze­nierung zwar wieder­holt ans Tages­licht, wer­den aber durch Flüchtlings-Dra­matik und IS-Ter­ror schnell wieder ver­hüllt. Ver­hüllt wie der Kör­p­er des zum Gegen­stand degradierten Dieners Lucky, der immer wieder von seinem cho­lerischen Her­rn Poz­zo grund­los geprügelt wird. Wie soll man sich bei der Kon­fronta­tion mit so viel Gewalt auch noch um den Sinn des Lebens küm­mern, wenn doch das Hin- und gle­ichzeit­ige Wegschauen nicht nur Gogo und Didi son­dern auch das Pub­likum schon genug über­fordern?

Godot wurde als Inbe­griff für Gott, für Schleuser der Résis­tance, für den Sinn des Lebens, kurzum für die Suche nach Tran­szen­denz ver­standen und insze­niert. Zwar hielt sich Beck­ett selb­st immer bedeckt darüber, was er mit dem Stück eigentlich aus­sagen wollte, es zeigt sich jedoch deut­lich, dass viele Rich­tun­gen der Inter­pre­ta­tion möglich und gewün­scht sind.

Puch­er set­zt mit seinem Godot neue Schw­er­punk­te und macht diese Insze­nierung vor allem durch die abso­lut überzeu­gen­den Darsteller auf zu einem sehenswerten The­ater­erleb­nis. Seine Neuin­sze­nierung der absurd öden Dialoge lässt genug Raum für Sit­u­a­tion­skomik, bei der einem das Lachen auf­grund der Sinn- und Auswe­glosigkeit häu­fig im Hals steck­en bleibt. Gekon­nt dosiert erzeugt er dadurch ein bek­lem­mendes Unwohl­sein. Auch wenn vielle­icht einige Wün­sche offen bleiben – wir warten ja auch immer noch auf Godot.

Ob das abschließende “Komm, wir gehen” als nahezu kitschige Erlö­sung des Pub­likums oder als sinns­tif­tende Kom­po­nente für das gesamte Stück zu inter­pretieren ist – darüber lässt sich stre­it­en.

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