Man hört sie noch gelegentlich bei den Tanzveranstaltungen, bei denen sich heutige Menschen in den Zootsuit der 40er werfen. Swingtanzen ist ein wenig modern geworden in den letzten zehn Jahren und dort, zwischen Jitterbug und Jive, ist sie noch die Königin der Instrumente. Die Rede ist von der Klarinette, die in den jüngeren Jahren des Jazz so präsent war.
Natürlich denkt man an Artie Shaws »Begin the Beguine«, wo sie den ganzen Schmelz dieses kleinen Exotikums aus der Feder des Großmeisters Cole Porter so unvergleichlich transportiert. Oder an den stets alerten Benny Goodman, den King of Swing und Großmeister des »Stick« jener Tage. Doch inzwischen, im zeitgenössischen und modernen Jazz ist sie ein wenig in Vergessenheit geraten, jene elegante Schönheit mit den warmen Grundtönen, der geschmeidigen »Smears« und markanten Höhen.
Im zeitgenössischen Jazz kommt sie fast ausschließlich in ihrer mächtigen Großform vor, die Bassklarinette ist beliebt ob ihrer erdigen und mächtigen Präsenz. Vom Amerikaner Eric Dolphy, der sie früh als Hauptinstrument einsetzte bis zum deutschen Rudi Mahall dringen ihre Töne bis in die inneren Resonanzräume der Zuhörer, setzen sich fest irgendwo zwischen oberer Magengegend und Unterleib.
So ist das jüngst erschienene Debütalbum der jungen, in Birmingham geborenen und in Hamburg arbeitenden Klarinettistin Samantha Wright schon an sich eine kleine Überraschung, ist doch die einst so populäre kleinere Schwester, die B‑Klarinette, ihr Instrument. Schlank und elegant wie einst klingt ihr Sound, mit bemerkenswerter Ansatz-Kontrolle in allen Lagen.
Hochgradig kultiviert ist dieser Ton – das Instrument ist durchaus für eine gewisse Eigenwilligkeit bekannt und verzeiht keine Schlampereien – warm und holzig in den unteren Registern, scharf bis in die Höhe. Unzweifelhaft geschult an den Altmeistern ist diese Instrumentalistin, wer sich ein wenig im Netz umschaut, findet von ihr charmante Playalong-Videos berühmter Vorbilder, Soli von Peanuts Hucko bis Herb Hall, verkannte und beinahe vergessene Größen dieses Klangs.
Auffällig ist, dass sich im Repertoire des Albums mit dem bezeichnenden Titel »How about now« bis auf zwei Standards, Jimmy McHughs Tin Pan Alley-Abräumer »I can’t give you anything but Love« und Johnny Greens Dur/Moll-Schönheit »Body and Soul«, ausschließlich Eigenkompositionen befinden. Rückwärtsgewandt ist da trotz Traditionskenntnis nichts, keine vordergründige Swing-Hommage geht da an den Start, Wright positioniert sich eindeutig als Instrumentalistin mit eigenem Gestaltungswillen.
Sie hat sich drei exzellente Mitstreiter aus der jungen und agile Hamburger Jazz-Szene gesucht, allen voran den klugen Bassisten Tilman Oberbeck, dessen unprätentiöse Lines so manch effektvolle Grundierung für die Klarinette setzen. Der spannungsvolle musikalische Dialog »Duo« der beiden gehört gewiss zu den Höhepunkten dieses Albums, ein schwebendes Zwiegespräch einander ebenbürtiger Stimmen, hier Wrights raunende tiefere Lage, dort ein luzid-transparenter Klang von Oberbecks mächtigem Instrument.
Eine echte Entdeckung zudem ist die Pianistin Sophia Oster, die in eigenen Projekten auch als Sängerin agiert. Ihr akzentuierender und sparsamer Einsatz hat großen Anteil an den Spannungsbögen des Ensemblespiels, ihre Soli sind reichlich ernst zu nehmende Antworten an die Melodiefolgen der Klarinettistin.
Das hat in seiner Markantheit beinahe Züge des großen Count Basie – im Jazz klingt immer jemand »wie«, wenn der Vergleich eigentlich hinkt. Hier ist es doch eher ein Zeichen der Hingabe an die Ideen der Solistin, wenn jemand so eigenständig für Reibungen sorgen kann. Die rhythmische Unterstützung am Schlagzeug kommt von Wolff Reichert, der mitunter einen Hauch zu präsent erscheint (»Mr Speaker«). Das mag der Mischung geschuldet sein, ansonsten glänzt er doch durch feine Besen- und Beckenarbeit und lässt es swingen.
Samantha Wright jedenfalls ist ein starkes Album gelungen, die Wiederentdeckung eines alten Klangs, der Zukunft zugewandt. »How about now« – das ist auch ein Programm. Hört man nur in dieses Titelstück hinein, als Exempel, ist viel Aufbruch zu spüren: Aufstrebenden Skalen, furchtlose Entwicklungen, hell und licht wie ein Tag auf dem Land. Der Mittelteil verschattet sich ein wenig, doch die Schatten gehen, und im Moment erscheint der Jazz erneut als die Musik für die Zukunft, herausgekommen in einer Zeit, die solche Impulse nötiger hat als andere. Der Song verklingt in einem flatternden Triller, nicht im jubilierenden Diskant, sondern fein mezzo-voce, ein offener Klang, der Hoffnung machen kann und voran schreitet. So soll es sein, jetzt im Sommer, nach der Pandemie. Now.
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