Pinch him, pinch him for his Crimes

Wie am Theater Lübeck keine Steuergelder verschwendet werden – Purcells "Fairy Queen"

Moon River (Bild: Olaf Malzahn)

In Zei­ten wie die­ser, die ver­mehrt der Auf­ge­regt­heit hul­di­gen, war es es eine die­ser Vor­la­gen, die im Fuß­ball stets zum unmit­tel­ba­ren Tor­schuss füh­ren. Der Kul­tur­re­fe­rent des Ber­li­ner Senats, Tim Ren­ner, in gewis­sen Krei­sen bekannt als ein Kul­tur-Par­ve­nü und natür­lich in allen Din­gen der hohen Kunst voll­kom­men unwis­sen­der Abkömm­ling der Popu­lar­in­dus­trie, hat­te es gewagt, an einer Lebens­stel­lung zu rüh­ren und geplant, den Inten­dan­ten des ruhm­rei­chen Ber­li­ner Ensem­bles, den Über-Regis­seur Frank Cas­torf aufs Alten­teil zu schi­cken und ihn durch einen Mann zu erset­zen, den in Ber­lin kei­ner so rich­tig kennt und dazu noch nicht ein­mal ein Über-Regis­seur ist, son­dern z. Z. Kura­tor eines Muse­um für moder­ne Kunst. Der #Auf­schrei war groß, die Debat­te per­sön­lich und ange­mes­sen auf­ge­regt – und sogar stel­len­wei­se recht amü­sant, vol­ler put­zi­ger Wor­te wie »Lebens­zwerg« und ähn­li­chem Schnickschnack.

Und natür­lich wur­de, nach Abklin­gen der ers­ten Auf­re­gung, eine zwei­te, wenn­gleich auch klei­ne­re Auf­re­gung pro­du­ziert. Denn schließ­lich galt es wie­der ein­mal, das Prin­zip an sich in Zwei­fel zu stel­len, in die­sem Fal­le die ewi­ge Dis­kus­si­on um die Fra­ge nach der guten und der schlech­ten Kunst und ob sich eine Gesell­schaft solch eine Kunst über­haupt leis­ten soll: Die Sub­ven­ti­ons­de­bat­te, ewi­ger Gral der­je­ni­gen, die ger­ne an den Topos der »Steu­er­gel­der« erin­nern, wenn sie ins Thea­ter gehen.

Der stell­ver­tre­ten­de Chef­re­dak­teur der über­re­gio­na­len Tages­zei­tung »Die Welt« und sonst eher in Kraft­fah­rer­fra­gen akti­ve Ulf Pos­ch­ardt, stell­te höchst­selbst das kom­plet­te kul­tu­rel­le Sub­ven­ti­ons­sys­tem der Repu­blik infra­ge, getreu dem bür­ger­li­chen Mythos, dass die soge­nann­te »ech­te« Kunst ja ohne­hin nur aus dem Bedürf­nis und der Ent­sa­gung kom­men kön­ne, und nicht aus den feis­ten Bäu­chen sub­ven­tio­nier­ter Staats­küns­te, die in die­sem Fall dann auch ger­ne als »so genannt« titu­liert werden.

Der Ber­li­ner Under­ground-Fil­mer Klaus Lem­ke wur­de in Stel­lung gebracht, und es wur­de sich, wie in der »Lebenszwerg«-Debatte, sehr empört. Schön wäre doch, wenn sich die­ser gan­ze Kunst­kram selbst finan­zie­ren wür­de und man sich nicht immer ärgern müss­te, dass mit die­sem und jenem ja das müh­sam ver­dien­te und an die Kra­ke Staat abge­ge­be­ne Geld »ver­brannt« wür­de. Und final stand da dann wie­der ein­mal die Abschaf­fung der staat­li­chen Unter­stüt­zung des gan­zen Kul­tur­be­trie­bes auf der Fah­ne, die Face­book-Threads schäum­ten und alles war wie immer im bür­ger­li­chen Leben.

Was die­se dann nicht mehr ganz so amü­san­te Schein­de­bat­te aber doch gänz­lich ver­ges­sen hat­te, bei aller bür­ger­li­chen-roman­ti­schen Nai­vi­tät in der Vor­stel­lung, was denn nun die wah­re und ech­te Kunst eigent­lich sei, war die Rea­li­tät jen­seits des lär­men­den Haupt­stadt­be­trie­bes mit all sei­nen pup­pen­thea­ter­haf­ten Far­cen. Dort ist die Arbeit schon eine Ande­re, die Fra­ge nach der För­de­rung ist dort eine ech­te Fra­ge des Über­le­bens von Kul­tur­ein­rich­tun­gen, die oft eine gan­ze Flä­chen-Regi­on bespie­len müs­sen und nicht nur einen Stadt­teil oder einen Fan­club. Und oft blü­hen dort, in den Regio­nen, unbe­kann­te Blü­ten, die in einer ande­ren Kon­stel­la­ti­on über­haupt nicht denk­bar wären.

Ein sol­ches Haus ist auch das Thea­ter Lübeck. Es ist ein Drei­spar­ten­haus, Oper, Schau­spiel, Phil­har­mo­nie, ein Stadt­thea­ter. Rela­tiv nah am Bal­lungs­raum Ham­burg gelin­gen hier immer wie­der klei­ne Coups der Außer­or­dent­lich­keit, die die Thea­ter­ma­cher in der Groß­stadt eigent­lich ban­ge machen müss­ten, wür­den sie das klei­ne Haus über­haupt wahr­neh­men. Ein preis­ge­krön­ter »Ring«, ein »Tris­tan«, nach dem das wie­der ein­mal neue Bay­reuth sich eigent­lich die Fin­ger lecken müss­te, und immer wie­der aus­ge­zeich­ne­te Insze­nie­run­gen im Schau­spiel ste­hen in der jüngs­ten Agen­da. 2008 wur­de das Haus für den Preis »Bes­tes Thea­ter abseits der Zen­tren« des Fach­blat­tes »Die deut­sche Büh­ne« nominiert.

Wie wenig inter­es­sant auch für die Rezen­sen­ten die­ser »Zen­tren« eben solch ein Haus ist, konn­te man unlängst sehen, ange­sichts des Brim­bo­ri­ums, dass um die »wie­der­ent­deck­te« Korn­gold-Oper »Die tote Stadt« in Ham­burg gemacht wur­de. In Lübeck stand das Stück zwei Jah­re zuvor in einer betö­ren­den Insze­nie­rung des Regis­seurs Die­ter Kae­gi auf dem Spiel­plan, besetzt vor­wie­gend aus dem eige­nen Ensem­ble, ein unent­deck­ter Publikumserfolg.

Eine jener Ent­de­ckun­gen ist gewiss auch die aktu­ell auf den Spiel­plan gesetz­te »Fairy Queen«, Hen­ry Pur­cells Büh­nen­werk aus den Anfangs­ta­gen der Gat­tung Oper. Nur rund 100 Jah­re nach Wil­liam Shake­speares Tod – wer immer er war – hat­te sich der Kom­po­nist mit sei­nem mut­maß­li­cher Libret­tis­ten Tho­mas Bet­ter­ton eines der inzwi­schen meist­ge­spiel­ten Stü­cke der Thea­ter­ge­schich­te ange­nom­men – »A Mid­sum­mer Nights Dream«, seit August Wil­helm von Schle­gels Über­set­zung im deut­schen Sprach­raum als »Ein Som­mer­nachts­traum« bekannt.

Es ist, wie man sich vor­stel­len kann, nicht ganz ein­fach, eine soge­nann­te Semi-Oper aus dem 17. Jahr­hun­dert auf eine zeit­ge­nös­si­sche Büh­ne zu stel­len, die For­men jener Tage waren anders als die heu­ti­gen Seh­ge­wohn­hei­ten, weit­aus sta­ti­scher und dekla­ma­to­ri­scher ging es sei­ner­zeit zu – Num­mer an Num­mer, Bal­lett­mu­si­ken. Der Schwei­zer Regis­seur Tom Ryser nimmt sich die Frei­heit und ver­knüpft das in wei­te­ren Tei­len sehr frei mit der Vor­la­ge umge­hen­de Libret­to eng mit dem Shake­spear­schen Bühnentext.

Hier­aus ergibt sich eine jener pikan­ten Dop­pe­lun­gen, die in den bes­ten und gelun­gens­ten Fäl­len eine moder­ne Opern­in­sze­nie­rung so aus­zeich­nen kann – die Über­nah­me des rein spie­le­ri­schen Effekts durch die Musik und die Unter­stüt­zung der musi­ka­li­schen Inten­ti­on durch das Spiel. Das tut beson­ders einem musi­ka­li­schen Werk, des­sen Bedeu­tungs­ebe­nen qua sei­ner Tra­di­ti­on weit von den psy­cho­lo­gisch ver­schach­tel­ten Groß­opern des 19. und 20. Jahr­hun­dert ent­fernt ist, außer­or­dent­lich gut.

Und so erkennt man als von vie­len Insze­nie­run­genm gepräg­ter und durch aus­gie­bi­ge Schul­lek­tü­re infor­mier­ter Opern­bür­ger sei­nen ima­gi­nier­ten Shake­speare wie­der, das Per­so­nal, die Hand­lung und die Wand­lung der Lie­ben­den durch die all­ge­gen­wär­ti­ge Natur im ver­zau­ber­ten Wald des Elfen­rei­ches. Stück wie Oper haben einen Hang zum Deko­ra­ti­ven und Opu­len­ten, es ist alles drin und dran, was zum Thea­ter (auch im wei­te­ren Sin­ne) gehört, der Saft der Büh­nen­kunst trieft sozu­sa­gen vom Tel­ler­rand. Fol­ge­rich­tig sieht man hier auch Flug­ge­schirr und Lich­ter­zau­ber, hört gros­se, kra­chen­de Tut­ti aus dem Gra­ben und zir­pen­de Lau­ten­klän­ge auf der Büh­ne, ergötzt sich am der­ben Spiel und tod­trau­ri­gen Arien.

So aller­lei Din­ge sind zu sehen, bei­na­he möch­te man das aus dem Kino geläu­fi­ge Wort »Schau­wert« in den Mund neh­men – dort bezeich­net es opti­sche Ein­drü­cke, die nicht zur Erzäh­lung bei­tra­gen. Dem ist hier nicht so, es hat alles sei­nen Platz und sei­ne Bedeu­tung. Jean Lou­is Paul Ger­vais monu­men­ta­les Gen­re­ge­mäl­de »Folie des Tita­nia« – eines jener Wer­ke vol­ler prä­raf­fae­li­ti­schem Pathos, das die »Bel­le Epo­que« aus­zeich­net – ist ein beein­dru­cken­der Büh­nen­pro­spekt (Aus­stat­tung: Ste­fan Rieck­hoff, man möge aber auch die Meis­ter­leis­tung der Pro­spekt­ma­ler nicht ver­nach­läs­si­gen), der das Shake­spear­sche Vor­spiel in eine ande­re Welt schiebt: Ein Muse­um, in dem das Hand­wer­ker­per­so­nal des Dra­mas, zusam­men­ge­schrumpft auf die Haupt­per­so­nen Squenz (Stef­fen Kubach) und Zet­tel (Andre­as Sig­rist), als grau­be­an­zug­te Muse­ums­wär­ter sei­nen Dienst tut. Hier schon, zum Ouver­tü­ren­spiel, tut sich eine Kunst­welt auf, hin­ter deren ver­spie­gel­ten Türen sich die »ande­re Welt«, das Drau­ßen befin­det, jene Welt, die der neue Erfah­rungs­raum der den ver­wirrt lie­ben­den Paa­ren sich erst noch erschlie­ßen wird.

Die sind nun in die Zeit des Kom­po­nis­ten deko­riert, perückt und mehl­be­stäubt die Väter­ge­nera­ti­on, leicht stür­mend und drän­gend die jun­gen Frau­en und Män­ner, weiß und noch unbe­schol­ten, Theo­re­ti­ker, des­sen, was sie erwar­tet. Die Feen­welt, in die sie gera­ten wer­den, ist düs­ter und geheim­nis­voll, vol­ler Irr­lich­ter und merk­wür­di­ger Wesen, die sie nie zu Gesicht bekom­men wer­den – offen­bar inspi­riert von den Phan­ta­sie­wel­ten eines Tim Bur­ton. Tita­nia und ihre vie­len gro­ßen und klei­nen Gesel­lin­nen sind in vik­to­ria­nisch-zer­lump­te Steam­punk-Klei­der gehüllt, eine wehr­haf­te Schar klei­ner und gro­ßer Geister.

Die zei­gen sich all­zeit bereit, ihre Köni­gin zu ver­tei­di­gen, Grund­po­si­tio­nen aus dem asia­ti­schen Kampf­sport schei­nen sie jeden­falls alle zu beherr­schen. An die­ser Stel­le zeigt sich dann neben­bei auch, wie nah der Regis­seur Ryser trotz der Moder­ni­sie­run­gen an der ursprüng­li­chen Auf­füh­rungs­pra­xis der Ver­mi­schung von Spiel, Gesang und Tanz ist – zum Elfen­ge­fol­ge gehö­ren drei Tän­ze­rin­nen (Lara Eva Hahn­el, Ange­la Kecin­ski und die enorm prä­sen­te Szu-Wei Wu), die mehr beherr­schen als nur die Grund­po­si­tio­nen aus Kara­te und Jiu-Jitsu, ihre von Lil­li­an Still­well ver­ant­wor­te­ten Cho­reo­gra­phien neh­men die­se und ande­re Ele­men­te auf ele­gan­tes­te Wei­se auf.

Auf wun­der­sa­me Wei­se natür­lich erscheint einem die Spar­ten­ver­mi­schung, kei­ne auf­ge­pfropf­ten Ideen, son­dern fol­ge­rich­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung einer Tra­di­ti­on ohne blö­de Effekt­ha­sche­rei. Die drei jun­gen Damen dür­fen denn auch nach der Pau­se eröff­nen, still lächelnd ste­hen sie vor dem Vor­hang und las­sen sich lang­sam in den Rhyth­mus des fol­gen­den musi­ka­li­schen Zwi­schen­spiels fallen.

Ernst gemeint und durch­ge­führt ist auch die Dop­pe­lung von Spiel und Gesang. Ver­wirrt, wie man nun ein­mal ist, wenn man die Lie­be und ihre Din­ge nicht mehr ver­steht, allein­ge­las­sen im Wald steht die jun­ge, hell gewan­de­te Her­mia (Eva Patri­cia Klo­sow­ski) im Licht, um sie her­um das dunk­le Nichts des Büh­nen­rau­mes. Und hin­ter ihr singt, einem Schat­ten gleich, dun­kel glit­zernd, die Sopra­nis­tin Evmor­fia Meta­xa­ki. Sie ist eine Art Star, hier im klei­nen Ensem­ble in Lübeck, ord­net sich aber, wie alle Betei­lig­ten der Auf­füh­rung und der Ensem­ble­ar­beit unter. Ihre Arie heißt »O let me weep«, eigent­lich hat sie mit dem Stück nicht all­zu viel zu tun, sie wur­de nach den ers­ten Auf­füh­run­gen ergänzt, ist aber so eine Art Hit die­ser Oper.

»O let me weep, for ever weep,
My Eyes no more shall wel­co­me Sleep;
I’ll hide me from the sight of Day,
And sigh, and sigh my Soul away.
He’s gone, he’s gone, his loss deplore;
And I shall never see him more.«

An die­ser Stel­le wird erneut deut­lich, wie sehr die Gat­tun­gen Schau­spiel und Gesang ein­an­der ergän­zen kön­nen, das stum­me Spiel und der sich vom Irdi­schen lösen­de Gesang erwei­tern die Bedeu­tungs- und Inter­pre­ta­ti­ons­ebe­ne der Büh­nen­hand­lung. Die­ser Kunst­griff zeigt sich noch eini­ge Male im Stück, mal mehr, mal weni­ger ein­ge­bun­den in die Spiel­hand­lung und durch­aus nicht immer im höchs­ten Maße dra­ma­tisch – mit »Pinch him, pinch him for his Cri­mes« wird der arme Zet­tel zum höchs­ten Ver­gnü­gen der Elfen­schar gepie­sackt und die Teno­ra­ri­en (Dani­el Jenz) sind Auf­trit­te eines New-Roman­tic-Pop­stars aus den 80ern. Die gespiel­te Text­fas­sung des Schau­spiels beruht im Übri­gen auf der, im Gegen­satz zu Schle­gels roman­ti­sie­ren­dem Klas­si­ker, um eini­ges saf­ti­ge­ren Über­set­zung von Erich Fried. Das tut, bei all dem Elfen­zau­ber, dem Gan­zen über­aus gut.

Musi­ka­lisch steht alles zum Bes­ten, der Musi­ka­li­sche Lei­ter Andre­as Wolf lei­tet das Orches­ter dezent an und um die Klip­pen der alten Musik her­um. Lau­te und The­or­be sit­zen im Gra­ben und dür­fen spä­ter im Stück auf die Büh­ne, eine rei­zen­de Sze­ne, auch hier gilt das Mit­ein­an­der des Ensem­bles. Und auch die rol­len­spe­zi­fisch auf­ge­dreh­te Puck-Figur – Char­lot­te Ire­ne Thomp­son, die die Ram­pen­sau geben darf, und das zum höchs­ten Ver­gnü­gen aller – darf sin­gen, einen jener über­lie­fer­ten Shake­speare-Songs von Tho­mas Weel­kes, der zwar nicht im Libret­to steht, aber eben ein­fach hier­her paßt.

Wie­der ein­mal, um zum Aus­gangs­punkt zurück­zu­keh­ren, darf man sich die Fra­ge stel­len, was denn, bit­te­schön, jene Her­ren in der gro­ßen Stadt rei­ten mag, wenn sie die Abschaf­fung des sub­ven­tio­nier­ten Spiel­be­triebs for­dern. In der eben­so sub­ven­tio­nier­ten »Pro­vinz« blüht es, und das nicht zu knapp, wie man an die­sem Bei­spiel sehen mag. Woan­ders hat man es bereits ver­stan­den, in Ros­tock etwa, wo der abge­setz­te Inten­dant Sewan Lat­chi­ni­an, der sich gegen Kür­zun­gen an sei­nem Hau­se auf­ge­lehnt hat­te, nach mas­si­ven Pro­tes­ten der steu­er­zah­len­den Bür­ger die­ser Tage erneut ins Amt beru­fen wurde.

Copyright: Olaf Malzahn
It’s always Rock ’n Roll (Bild: Olaf Malzahn)

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