Polen. Wurst. Erinnerung.

Das Verschwinden der Nähe im Schauspielhaus: Johannes Wenzel inszeniert »Hosianna!« von Przemek Zybowski

 

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Der Pole ist faul. Der Pole klaut deutsche Autos und säuft wie ein Loch, vor­wiegend Vod­ka mit Gras darin. Der Pole hat den Deutschen Schle­sien weggenom­men und Bres­lau, die Haupt­stadt des deutschen Tis­chler­handw­erks. Und er trägt schreck­lich unmod­erne Ober­lip­pen­bärte wie dieser “Lech Wal­las­sa”. Außer­dem ist er katholisch, und das nicht zu knapp. Er mag seinen Papst, der schon tot ist; den deutschen Papst mag er weniger. Der Pole mag die Deutschen nur, wenn sie Geld ins Land brin­gen und wenn er deutsche Häuser restau­ri­eren darf. Und in einem Polen­städtchen, da wohnte einst ein Mäd­chen.

Wenn der Pole feiert, dann mit  dem besagten Wod­ka, von dem trinkt er dann viel, und dann sowieso in schauder­haft postkom­mu­nis­tis­chen Gemein­dezen­tren, mit Resopaltischen und kaltem Neon­licht. Das Pap­st­bild hängt an der Wand und die Mut­ter Maria ist immer in irgen­dein­er Ecke.

Das mit dem Neon­licht haben die Licht­tech­niker des Deutschen Schaus­piel­haus­es in ihrer Kan­tine ganz hüb­sch hin­bekom­men, der Rest der Ausstat­tung stimmt auch. Auf den Tis­chen ste­hen Bier­pullen deutsch­er (“Beck’s”) und pol­nis­ch­er Herkun­ft (“Żywiec”), hineingesteckt sind Fäh­nchen mit der Auf­schrift “Willkom­men zum Deutsch-Pol­nis­chen Kul­tur­fest”. Irgend­wann ist da auch ein Typ namens Adom (Jan­ning Kah­n­ert), und er trägt tat­säch­lich einen dieser schreck­lichen Ober­lip­pen­bärte und eine Kun­stled­er­ak­ten­tasche, deswe­gen ist er wohl auch zweifels­frei ein Pole.

An den lan­gen Tis­chen, auf denen neben den Bier­flaschen kleine Würstchen und saure Gurken angerichtet sind, sitzen sie, die Deutschen und schauen leicht betreten in Reih und Glied ger­adeaus, wo so was wie die Bühne zu ver­muten sein kön­nte, da ste­ht ein Klavier und ein Stuhl mit einem Akko­rdeon darauf. Feiern kann er ja, der Pole.

Der nun fängt ein­fach an zu reden. Der Ober­lip­pen­bart­träger mit der schlecht sitzen­den Jeans und der Kun­stled­er­ak­ten­tasche sitzt hin­ten am Licht­pult und spricht ein­fach so drau­f­los. Diese hem­mungslosen Drau­flosred­ner gibt es ja schon mal, und dann schaut man so ein biss­chen hin und ein biss­chen wieder weg. Gren­zver­let­zung ist das, und obwohl ja jed­er weiß, daß irgend­wann eine “Auf­führung” begin­nt, schauen alle etwas betreten daher und auch schnell wieder ger­adeaus. Wird schon gle­ich los­ge­hen mit dem The­ater. Doch der Red­ner hört nicht auf, er wird lauter und, schlim­mer noch, er set­zt sich mit­ten zwis­chen die Deutschen und spricht sie sog­ar an. Etwas ver­legen antwortet eine junge Frau, der Bär­tige neben ihr tut amüsiert. Alles schaut hin und weg.

Solche The­ater­en­twürfe sind nicht neu. Der linke brasil­ian­is­che The­ater­ma­ch­er Augus­to Boal prägte in den Sechzigern den Begriff des “Unsicht­baren The­aters”, Spiel­si­t­u­a­tio­nen, die sich aus der All­t­agsszener­ie entwick­eln und die in den poli­tis­cheren Zeit­en, 20 Jahre nach dem Kriegsende vor allem soziale Impulse set­zen soll­ten. Das ist heute nicht mehr so, aber die Methodik ist die gle­iche, Aufmerk­samkeit zu erre­gen durch die Ver­let­zung des kul­turbe­d­ingten Nahraums, Deut­lich­machung durch Kon­fronta­tion mit der unge­wohn­ten Nähe des Frem­den. Heute heißt das Wort der neuen Berlin­er Kurzbart­träger dafür “Fremd­scham”. Doch auch diese Insze­nierung ist poli­tisch.

Je länger Adom redet, desto mehr wird der Schaus­piel­hauskeller zu einem Labor der Kon­tak­tauf­nahme. Die Geschichte ist ein wenig krude, Erin­nerung an eine Land­ju­gend, heiße Som­mer auf den Feldern, Phan­tasien junger Spunde im stren­gen Katholizis­mus. Doch bei all den Belan­glosigkeit­en bübis­ch­er Stre­iche dräut es immer wieder durch den Text, eine dif­fuse Erin­nerung, eine Bedro­hung und ein dauern­der Recht­fer­ti­gungs­drang steck­en in dieser knapp anderthalb­stündi­gen Ansprache. Immer wieder reka­pit­uliert der Klis­cheep­ole seine Ankündi­gung der Erlö­sung, “wartet nur, bis mein Tato kommt”, Tato, das ist das pol­nis­che Wort für Vater.

Irgend­wann wird seine Phan­tasie gewalt­tätiger, die Vision grotesker, das Erin­nerungsmuster zu ein­er laten­ten Bedro­hung. Aus ungarischen Touris­ten wer­den led­er­man­tel­be­hängte Teu­to­nenkrieger mit Maschi­nengewehren, die unter ihrer gestapoar­ti­gen Verklei­dung (sic!) gestreifte Leinen­schlafanzüge tra­gen, aus den Knaben­phan­tasien zu rus­sis­chen Ern­te­fliegerin­nen wer­den eigen­tüm­liche blonde Walküren.

Der Text sucht zweifel­los im deutsch-pol­nis­chen Erin­nerungsarchiv, im Bild­ma­te­r­i­al von Ver­fol­gung, Pogromen und nationalen Trau­ma­ta. Die Ansprache Adoms ist in diesem Kon­text dann nicht etwa ein Plä­doy­er ein­er ver­wirrten Seele vor seinem Pub­likum, son­dern scheint der Ver­such, sich vor ein­er undefinierten Macht freizus­prechen.

Unter Umstän­den ist dieser Zugang aber in Zweifel zu ziehen, ob der starken Kaschierung durch das psy­chol­o­gisierende Dauergeschwätz dieser Büh­nen­fig­ur. Denn hin­ter der Sprache, der Vielzahl der Worte, schim­mert die His­to­rie nur ganz leicht durch. Tat­säch­lich funk­tion­iert genau aus diesem Grund die Annäherung an das per­sön­liche Schick­sal der Fig­ur nicht. Aber, wenn das beab­sichtigt sein sollte – und so ganz klar wird das nicht – dann ist der Abend in der Tat ein deutsch-pol­nis­ch­er Kul­tur­aus­tausch.

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