Warum nur sollte man die geschätzte 794te Aufnahme von Bachs Klavierkonzert E‑Dur BWV 1053 kaufen? Gibt es nicht Gould und Brendel und Gulda, gibt es nicht weitere hundert Originalklangeinspielungen auf Cembalo, Clavecin und allem, was es jemals mit einer Klaviatur gab? Der Grund für das Album “Bach & Sons” des Hamburger Pianisten Sebastian Knauer, dem Zürcher Kammerorchester und Roger Norrington ist auch nicht die exzellente Tontechnik, das geht heute viel besser, der Klang ist insgesamt etwas muffig und wenig transparent. Nicht einmal “berühmt” ist der Solist.
Aber es gibt ein paar andere Gründe, diese Platte zu mögen. Da ist zum einen die hübsche Zusammenstellung. Aufnahmen der Bachsöhne gibt es, über Aufnahmen der Werke des Bachvaters muß man natürlich nicht reden. Den Übervater, den Testamentsersteller der Klavierliteratur (was für ein Verdikt Hans von Bülow, ganz Kind des 19. Jahrhunderts mit seinem Allumfassenheitsstreben – Wagner! sic! – da einstmals prägte) mit seinen unter der Last seiner Ruhms wohl vielfach ächzenden Söhnen zu konfrontieren, ist gewiß eine schöne und auch tragende Repertoireidee.
Hört man das nun tausendfach eingespielte BWV 1053 und den zweitgeborenen Carl Philipp Emanuel mit seinem in derselben, der “hellen” Tonart E‑Dur gesetzten Konzert Wq.14 einmal für und gegeneinander, wird einem deutlich, daß der Sohn den elegantesten Weg aller Söhne aus dem “klassischen” Dogma des Vaters gewählt hat.
Viel ungestümer, auf seine Weise formal sehr lebendig und so wenig nachahmend wie möglich, natürlich auch á la mode, aber trotzdem einfallsreich in seiner Satz- und Melodieform ist das Werk. Der Mittelsatz des hier eingespielten Werks hat schöne Melodie, die schnellen Sätze mitreissenden Schwung. Eine Musik aus einer Randzeit, nicht umsonst hatte er seinen großen Erfolg in und nach seiner Zeit, vor der großen Revolution, die er nicht mehr erlebte, inmitten der Aufklärung.
Der viel jüngere Johann Christian Bach tut sich da seltsamerweise viel schwerer, sich freizumachen. Auch das zeigt diese Platte mit seinem Klavierkonzert op. 7 Es-Dur, obwohl später geboren, bleibt er verschlossener und trotz der zeitlichen Nähe zum großen Salzburger kleinmeisterlich. Die musikalische Erbfolge zwischen Vater und Söhnen ist interessant.
Auf einer Konzertprobe mit der Plattenbesetzung und Teilen dieses Programms, der wir beiwohnen konnten, wird noch eine andere Qualität deutlich. Die Kombination zwischen dem eigentlich unauffälligen Solisten Knauer und dem Orchester ist als durchaus glückhaft zu bezeichnen. Knauer ist kein Brillanzartist, ihm geht jegliche Attitude der großen Pianostars ab. Was sein Spiel kennzeichnet, ist eine erstaunliche und dem Notentext ungemein dienende Zurücknahme. Nicht, daß ihm die manchmal notwendige “Pranke” fehlte, aber der große Auftritt, das tirilierende, selbstverliebte Auftrumpfen geht ihm ab.
Er ist ein Diener, manchmal ist genau das richtig, wenn einem der Text zu vertraut erscheint.
Dazu kommt ein hervorragend disponiertes und geradezu perfektionsbesessenes Orchester, dessen Konzertmeister Willi Zimmermann auch nach der eigentlichen Probe noch seine zweiten Violinen beiseite nimmt, um eine bestimmte Passage zur Perfektion zu treiben. Beides geht gut zusammen, das Miteinander von Solist und Orchester zu erleben ist freudenbeladen, macht allen Beteiligten sicht- und hörbar höchstes Vergnügen. Im Pop spräche man vielleicht von “Flow”, da wo das schlichte “Harmonie” unter Umständen nicht ausreichend ist.
Der “Principal Conductor” des im “historischen” Stil rund um den Flügel plazierten Orchesters, Roger Norrington hat bei dieser Probe nur noch motivierenden Einfluß, er flottiert durch den Raum, hält mal da, mal dort inne, und lauscht dem Klang seiner Musiker, gibt Tips. Kein effekthaschendes Taktstockgewedel ist zu sehen, die Arbeit ist anscheinend bereits gemacht. Der Raum durch den er flaniert, der Mozartsaal des Logenhauses an der Hamburger Moorweide, ist nicht besonders groß, und somit für einen der frühen Förderer des Originalklangs wie Roger Norrington ein idealer Ort für die bachtypische kleine Besetzung: “The Size this Music written for”.
Der gesamten Einspielung ist, trotz seiner technisch-klanglichen Einschränkungen, der Wille zur geschlossenen Ensembleleistung anzuhören. Und das ist unter Umständen, trotz “moderner” Instrumente, ein historischer näherer Zugang zum Werk, als die meisten Solostars je von sich hören lassen. Eine kleine Platte, aber gewiss keine schlechte.
Bach & Sons
Sebastian Knauer — Klavier
Zürcher Kammerorchester
Sir Roger Norrington
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