Sommerserie: Was macht die Redaktion in der Ferienzeit?

2. Folge: Kolumnist und Theologe Hans-Jürgen Benedict hört Orgelmusik

(Bild: Wikipedia/Concord)

Ja, es ist Som­mer­zeit. Und es ist tat­säch­lich warm und es sind Ferien. Die Thea­ter schla­fen – natür­lich berei­ten sie Gro­ßes vor, ein paar Fes­ti­vals düm­peln vor sich hin und auch unsere Redak­tion macht hie und da Ferien.

Was wir so trei­ben? Natür­lich schauen wir wei­ter in der Welt der Kul­tur herum und kön­nen  die eine oder andere Geschichte erzäh­len, schrei­ben viel­leicht über lie­gen geblie­bene The­men oder lesen ein­fach mal die Büch­er, die wir schon immer mal lesen woll­ten. So stel­len wir in los­er Folge vor, was wir zur­zeit ger­ade machen. Heute unser Kolum­nist Hans-Jür­gen Bene­dict, der beim Ham­burg­er Orgel­som­mer war

Mit Hein­rich Heine würde ich sagen: Der Protes­tantismus ist eine gute Orgel­re­li­gion — das ist meine pos­i­tive Fas­sung seines Aper­cus: “Gäbe es in der protes­tantis­chen Kirche keine Orgel, so wäre sie gar keine Reli­gion.” Allein über 60 Konz­erte an den Orgeln der Haup­tkirchen und  des Marien­doms gibt es im Ham­burg­er Orgel­som­mer 2013.

Vor 25 Jahren habe ich den dama­li­gen Organ­is­ten von St. Michaelis, Gün­ter Jena, in einem Artikel des Deutschen All­ge­meinen Son­ntags­blatts gefragt, ob er nicht mehr Wider­spruch in das von ihm annoncierte Orgelfes­ti­val ein­bauen könne. Jena hat­te auf dem Prospekt das berühmte Tiziangemälde abge­bildet, das einen Organ­is­ten an seinem Instru­ment mit ein­er nack­ten liegen­den Venus zeigt. Und hat­te gefragt: “Musik und Frei­heit  — sind sie nicht Kinder eines Geistes?”

Ja, hat­te ich gesagt, das sind sie, Musik ist aber immer auch Vorschein von Ver­söh­nung und insofern Bestre­itung der schlecht­en Wirk­lichkeit. Sie dient nicht primär der Regen­er­a­tion bess­er gestell­ter Schicht­en ein­schließlich der Ham­burg­er Pfef­fer­säcke. Denn damals set­zte mit der Schaf­fung des Schleswig Hol­stein-Musik­fes­ti­vals ger­ade die neue Musik­be­we­gung der som­mer­lichen Musik­feste ein, die die klas­sis­che Musik zu einem fes­ten Bestandteil ein­er touris­tis­chen Event-Kul­tur machen sollte. Jena schrieb: Wenn Musik erklingt “fall­en die Sor­gen und Zwänge des Täglichen ab wie ver­brauchte Klei­der.”

Und lud dann noch zu meinem Ärg­er zu einem teuren Cem­ba­lo-Buf­fet ins Hotel Atlantic ein. Da rief ich  ihm emphatisch zu: “Im Namen von Orpheus, David und der heili­gen Cäcilie. Spie­len Sie die Orgel so schön und brausend Sie kön­nen, lassen Sie die Flügel der Begeis­terung rauschen, aber ver­scher­beln  Sie ihre Kun­st nicht  für ein Lin­sen­gericht an die, die mit ihrem Kul­turbe­trieb die Ver­schan­delung unser­er Welt übertö­nen wolle. Bauen Sie mehr Wider­spruch gegen das Kuli­nar­isch-Affir­ma­tive  in Ihr Pro­gramm ein.”

Ich lese meinen Text heute mit leis­er Selb­stironie. Wie aufgeregt-selb­st­gerecht ich argu­men­tierte. Das war ja nicht falsch, was ich sagte über “die schlip­stra­gen­den Macht­grup­pen”, die Musik nur als “regener­ierende Kraft für die Selb­st­durch­set­zung im All­t­ag von Pro­duk­tion und Kon­sum­tion wollen.”

Und der Wun­sch, dass die Zuhör­er mit jen­er “heili­gen Unruhe” aus dem Konz­ert gehen, “dass die Welt so wird, wie die Musik es ver­spricht”, war auch ver­ständlich. Aber hat es der aus­führende Musik­er in der Hand, wie das Pub­likum seine Musik „benutzt“?!  Er braucht sein Pub­likum, wie immer dessen poli­tis­che Ein­stel­lun­gen und Hal­tun­gen sein mögen.

Und damit es schöne Musikpro­gramme und ‑instru­mente gibt, braucht es auch finanziell potente und freigiebige Spon­soren, wie ger­ade das Pro­jekt “Eine Orgel für Bach” gezeigt hat. Eines ist die Poli­tik, die Wirtschaft, ein anderes die Kul­tur, die Musik. Ich hat­te schlicht den Ben­jamin-Satz vergessen, es ist kein Kunst­werk, das sich nicht auch der Bar­barei ver­dankt. Und auch die Ein­sicht der Sys­temthe­o­rie, dass eben die ver­schiede­nen  Bere­iche der Gesellschaft nebeneinan­der existieren und ihre jew­eilige Autonomie zum Funk­tion­ieren des Ganzen beiträgt.

Dass große Kunst­werke einen spren­gen­den Gehalt haben, dass sie den fest­ge­fügten Imma­nenz­zusam­men­hang der Welt durch­schla­gen wollen, bleibt trotz­dem wahr. Und die Struk­tur eines Konz­erts oder Fes­ti­vals ist nicht ganz unschuldig daran, ob der spren­gende Gehalt hör­bar wer­den kann oder gle­ich im affir­ma­tiv­en Kul­tur­genuss ver­loren geht.

Wird Wider­ständi­ges einge­baut, kommt Neues und  Ver­stören­des zur Auf­führung ? In ein­er kul­turell reichen, vielfälti­gen und lib­eralen Gesellschaft wie der unseren, in der viele Anbi­eter um die Gun­st des Pub­likums sich bemühen, ist die Gefahr groß, dass Erprobtes und Gefäl­liges dominiert. In einem Orgelfes­ti­val, das sich ohne­hin an eine eng umgren­ze Schicht von Inter­essen­ten wen­det, beste­ht diese Gefahr weniger.

Im Som­mer, die Sterne sehen (Bild: Wikipedia/Concord)

Die Vielfalt und Inter­na­tion­al­ität des Ham­burg­er Orgel­som­mers 2013 ist beein­druck­end. Wo gibt es das noch in unserem Land?

Die Stadt Ham­burg wird dadurch sich­er nicht verän­dert, eine Erwartung, die ich vor 25 Jahren offen­sichtlich noch hegte. Dass Orgel­musik eine spren­gende, Men­schen verän­dernde Kraft hat, haben wir nicht in der Hand. Aber wir wis­sen: sie kann trösten, aufer­bauen, stärken, schließlich sog­ar zu dem Zusam­men­bruch eines poli­tis­chen Sys­tems beitra­gen.

So wie in den 70er Jahren in der DDR, als “die Schul­be­hörde in N. die Direk­toren anwies, zu ver­hin­dern, dass Fach-und Ober­schüler die Mittwoch-Abend-Orgelkonz­erte besuchen. Lehrer fin­gen Schüler vor dem Kirchen­por­tal ab und sagten den Eltern: entwederoder. Eltern sagten ihren Kindern: entwederoder. Bald reicht­en die Sitz­plätze im Schiff und auf den Emporen nicht mehr aus.(Meldung, die in kein­er Zeitung stand).” Rein­er Kun­ze hat es in Die wun­der­baren Jahre (1976) beschrieben:

“Hier müssen sie nicht sagen, was sie nicht denken. Hier umfängt sie das Nich­talltägliche, und sie müssen mit keinem Kom­pro­miß dafür zahlen; nicht ein­mal mit dem Able­gen ihrer Jeans. Hier ist der Ruhep­unkt der Woche. Sie sind sich einig im Hier­sein. Hier herrscht die Orgel. Alle Orgeln.”

Und dann beschreibt Kun­ze einige Orgeln, “die namen­losen, von denen jede ‘unsere Orgel’ heißt”, die berühmten, die Sil­ber­mannsche im Dom zu Freiberg, die Mühlhausen­er Orgel Johann Sebas­t­ian Bachs, die Güstrow­er Orgel  über Bar­lachs ‘Schweben­dem’, die Orgel zu Weimar, unter deren Empore der Sarg Johann Got­tfried Herders ste­ht, die Orgel zu St. Peter und St. Paul in Gör­litz, die über und über mit Son­nen bedeck­te, beschreibt sie mit Zitat­en bekan­nter Musik­er und Schrift­steller und bricht dann in den Appell aus:

“Alle Orgeln müssten mit einem Mal zu spie­len anfan­gen, ein­set­zen mit vollem Werk, alle Orgeln, die im Osten, Süden, Nor­den und West­en … sie alle müßten plöt­zlich zu tönen begin­nen, und die Lügen, von denen die Luft schon gesät­tigt, daß der um Ehrlichkeit Bemühte kaum noch atmen kann, hin­wegfe­gen, unter wessen Dach her­vor auch immer, hin­weg­dröh­nen all den Ter­ror im Geiste … Wenig­stens ein einziges Mal, wenig­stens für den Mittwochabend.”

13 Jahre später, in den Leipziger Mon­tags­ge­beten in der Niko­laikirche, wurde diese Hoff­nung, diese Vision Wirk­lichkeit.

Heute  kön­nen wir froh sein, dass unsere Orgel­land­schaft so reich ist und dass es jet­zt eine wieder­hergestellte Orgel für Bach gibt. Es ist ein Anlaß zum Dank, dass wir die Schön­heit­en der Orgel­musik so vielfältig hören und  genießen kön­nen. Und sich­er kann sie dazu helfen, Men­schen in ihrem Glauben zu bestärken und in ihren Küm­mernissen zu trösten. So trägt die Orgel­musik auf ihre Weise dazu bei, dass das Leben gelingt.

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