Ja, es ist Sommerzeit. Und es ist tatsächlich warm, und es sind Ferien. Die Theater schlafen – natürlich bereiten sie Großes vor, ein paar Festivals dümpeln vor sich hin, und auch unsere Redaktion macht hie und da Ferien.
Was wir so treiben? Natürlich schauen wir weiter in der Welt der Kultur herum und können die eine oder andere Geschichte erzählen, schreiben vielleicht über liegen gebliebene Themen oder lesen einfach mal die Bücher, die wir schon immer mal lesen wollten. So stellen wir in loser Folge vor, was wir zurzeit gerade machen. Unsere Theaterkritikerin Natalie Fingerhut war in Jena und hat sich Bulgakows »Meister und Margarita« als Sommerspektakel auf dem Vorplatz des Theaterhauses angeschaut.
Knapp 500 Seiten Vorlage, eine überbordende, magisch-verschlungene Geschichte voller Nebenstränge, voll böser Satire und schwarzer Komik: Michail Bulgakows Kultroman “Der Meister und Margarita” bietet eigentlich Stoff für mehrere Theaterabende. In Jena schreckt das keinen. 60 Statisten, vier Musiker, zehn Schauspieler und zwei Regisseure (Moritz Schönecker und Johanna Wehner), dazu ein offensichtlich kongeniales Team aus Kostümbildnerin (Veronika Bleffert), Bühnenbildner (Benjamin Schönecker) und den Videokünstlern von “impulskontrolle”: Dieser wahnsinnige Haufen nimmt sich des Stoffes an – und hat ganz offensichtlich nicht nur einen guten Griff damit getan, sondern auch noch einen Heidenspaß daran.
Vom 11. Juli bis 25. August gönnt sich Jena einen Sommer voll Theater, Konzert und Film auf dem Theatervorplatz. Die Eröffnung gestaltet das Theaterhaus selbst mit einem großen Sommerspektakel, bevor das Ensemble in die Spielzeitpause geht. Und die haben sie nach diesem Kraftakt sicher nötig. Nicht, dass der Abend nach Anstrengung aussieht; doch allein der Gedanke, eine Fassung aus Bulgakows Werk zu schaffen und diese in fünf Wochen mit Parallelproben (da zwei Regisseure!) auf die Bühne zu stemmen, verlangt Einiges an Respekt ab.
Aber beginnen wir von vorn. Eine Bühne über die gesamte Breite des Theaterhauses. Hier hat Voland, der Teufel höchstpersönlich, genügend Platz, sein Unwesen zu treiben, wenn er möchte, gar an mehreren Orten gleichzeitig, live und auf der Leinwand. Iwan Nikolajewitsch Ponyrew (Dichter) und Michail Alexandrowitsch Berlioz (Vorsitzender einer Literaturvereinigung) diskutieren über die (Nicht-)Existenz Gottes, als ein Ausländer auftritt, ein androgyner Fremder namens Voland. Dem scheint der atheistische Gedanke der beiden nicht recht zu passen – bedeutet die Leugnung Gottes konsequenterweise auch die Leugnung des Teufels.
Die starke Einstiegsszene des Romans ist auch die der Theaterfassung geblieben, die bereits in den ersten Minuten (fast) allen am Stück Beteiligten die Möglichkeit bietet, in einer der diversen Rollen die Bühne mit Leben, Komik und Chaos zu füllen. Voland straft den ungläubigen Berlioz mit einer strikten Todesprognose durch eine Straßenbahn, die denn auch einige Minuten später auf die Bühne rollt. Eine grandiose von Kopf bis Fuß in diversen russischen Stilrichtungen gewandete Statisterie hat sich die 2D-Straßenbahn über die Schultern gehängt und enthauptet stampfend und unerbittlich den stürzenden Berlioz. Slapstick ist das von feinster Art und Güte, wenn der Gummikopf über die Bühne fliegt und Volands dicker Kater Behemoth (grandios komisch: Yves Wüthrich) damit Fußball spielt. Und die teuflisch gute Band rund um Natalie Hünig – sonst auch als Volands teuflischer Gehilfe Asasello unterwegs – spielt eine hinreißende Version von “Put Your Head On My Shoulder”.
Überhaupt ist diese Teufels-Combo eine ganz besondere. Ella Gaiser als Voland spielt ihren geschmeidig-eleganten, hoch-kultivierten androgynen Teufelskerl so kühl und gleichzeitig höllenheiß despotisch, dass man fast Mitleid hat mit den Figuren, die er im Laufe des Abends in den Wahnsinn treibt. Gemeinsam mit ihrem teuflischen Gespann treibt sie den Abend voran, und ihre Gehilfen Korowjew (Mathias Znidarec), der Kater Behemoth und Asasello tun ihr Übriges, dass das Publikum dem Moment entgegenfiebert, in dem die Vier wieder mal ordentlich Schaden anrichten. Und wenn “Asasello” Natalie Hünig mit den Musikern “Gib mir den Vodka, Anuschka” in herzzerreißendem russischen Akzent intoniert, darf das Chaos auf der Bühne überhand nehmen, und das ist so reizend, so schräg und komisch, dass die Romanvorlage spielend leicht zum grandiosen Spektakel wird.
Überraschend, dass das Regie-Duo tatsächlich sämtliche Erzählstränge des Romans leichtfüßig miteinander verbindet. Auch die Geschichte um Pontius Pilatus während der letzten Tage Jesu Christi findet ihren Platz im gewollten Chaos der Satire über eine in ihrer Bürokratie verhafteten Gesellschaft. Und dennoch: Hier wird keiner erlöst. Denn keine größere Sünde als die Feigheit gibt es, und das Volk ist feige, käuflich und korrumpierbar. Während der teuflische Voland in Mediationshaltung als Schattenbild zu sehen ist, wird ein Widersacher nach dem anderen aus dem Weg geräumt – und keiner hat es anders verdient.
Man könnte Seiten schreiben über diesen prallen Abend voll verliebter Details. Vom verrückten Meister (Benjamin Mährlein) in der Irrenanstalt, dubiosen Ärzten, die sicher mit dem Teufel im Bunde sind; über die schöne Margarita, die sich in ihrer Liebe zu ihrem Meister so wenig beirren lässt, dass sie in schwarzem Latex die Königin einer Walpurgisnacht mimt – nur um ihn wiederzusehen; oder von dem Varieté-Büro, in das der Wahnsinn natürlich auch Einzug gehalten hat (grandios in diversen Rollen: Sebastian Thiers, Oliver Konietzny und Tina Keserovic).
Doch genau da beginnt das Problem: Der Abend zerfällt am Ende in seine Stränge, er verliert die Stringenz und Konsequenz der ersten beiden Stunden. Doch tut ihm das irgendwie keinen Abbruch. Weder merkt man dem Abend an, dass er aus zwei Regiehandschriften besteht noch nimmt man übel, dass man der Geschichte am Ende eben doch nicht mehr folgt. Zu groß das Chaos, zu vielschichtig die Vorlage. Und zu spielfreudig das Ensemble, zu schön die Gleichzeitigkeit der auf der Bühne sich entwickelnden Handlungen. Und wenn man ehrlich ist, hätte Bulgakow wahrscheinlich auch nichts anderes gewollt: einmal an der Zensur vorbei ordentlich die Bühne rocken mit viel Bums, Komik, treffsicherer Boshaftigkeit, Fantasie und schneidender Intelligenz. Das ist in Jena gelungen.
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