superleggero

Holger Noltze über schwere, schwierige und ganz leichte Kultur: »Die Leichtigkeitslüge«

Extremer Leicht­bau

Ach, wann war das noch, als es anf­ing mit all den unbe­lasteten Din­gen? Es mag vielle­icht in den späten 80ern gewe­sen sein, als uns Men­schen in der Fernse­hwer­bung auffie­len, die bevorzugt weiße Klei­dung tru­gen und Schoko­lade woll­ten, die keine war. Oder Kaf­fee tranken, der sich auch zum Genuß nach dem Sport eignete. Und nicht zu vergessen, die Frauen mit ulki­gen Aller­welt­sna­men, die nächt­ens an den Kühlschrank schlichen und Süßwaren zu sich nah­men, die vor allem eines zu sein hat­te: leicht. Dafür standen sie sog­ar auf.

Wie das so ist mit Kon­sumtrends, sie wer­den solange pen­etri­ert, bis sie sich fest­set­zen und in alle Schicht­en der Wahrnehmung von Welt durch­sick­ern. Das Pri­mat des Leicht­en, des Unbe­lasteten und des Unangestrengten ist wohl solch ein Sick­ertrend, der inzwis­chen zur All­ge­mein­hal­tung unser­er Gesellschaft gehört. Nicht etwa in der Arbeist­welt, wo der urkap­i­tal­is­tis­che Leis­tungs­gedanke ein­er gewaltige Hausse hat – Eli­te­u­ni­ver­sitäten, Exzel­len­zini­tia­tiv­en und Konkur­ren­z­druck prä­gen die gesellschaftlichen Struk­turen der restau­ra­tiv­en Epoche des begin­nen­den 21. Jahrhun­derts. Ganz offen­bar ist die leichte Kon­sum­ier­barkeit in der Welt außer­halb des mon­etären Über­leben­skampf hil­fre­ich bei der Vertei­di­gung der anzus­treben­den Pfründe. Oder anders: Wenn ich mich so durch­beißen muß, belastet mich alles andere. Und möglicher­weise schwingt auch die Angst mit, wertvolle Ressourcen, die dem Fortkom­men dienen kön­nten, zu ver­schwen­den.

So sehen wir denn in der Leichtigkeits­mas­chine Nr. 1, dem Fernse­hen, all das, was eingängig ist. Abfrage­spielchen sug­gerieren Wis­sen, Tal­en­twet­tbe­werbe, deren ober­ste Maxime das “du kannst es schaf­fen, wenn du hart arbeitest” ist, gaukeln Kün­stlerkar­ri­eren vor, und was nicht drei, zehn oder hun­dert Tenöre zum Besten geben, ist nicht gefragt, jeden­falls nicht in dieser medi­alen Gesellschaft. Das trägt weit, unlängst kon­nte man beobacht­en, mit welchen Mar­ket­ing­maß­nah­men das Bode-Muse­um in Berlin glaubt, Renais­sance-Por­traits “volk­snah” an den Mann brin­gen zu kön­nen. Auch hier herrscht Angst vor, der bloße Anblick von Kun­st sei ohne das ran­schmeis­serische Getröte (“Muse, Nymphe, It-Girl”) nicht zu ertra­gen, zu schw­er, zu unnah­bar.

Dieses Dik­tum herrscht vor, da sieht man Plakate für Orch­ester, die ausse­hen wie Min­er­al­wasser­wer­bung – es ist Som­mer – und bei all den jun­gen Tal­en­ten, die ausse­hen sollen wie aus ein­er Beau­ty-Broschüre der Fir­ma mit der blauen Creme­dose, kommt einem auf gar keinen Fall der Gedanke, es könne sich um “ern­sthafte” Kün­stler han­deln. Es ruft sehr laut “Schwellenäng­ste abbauen” und “young … sexy … cul­ture”.

Nun ist vor einem dreivier­tel Jahr in der ehren­werten und rühri­gen Gesellschafts­bib­lio­thek der edi­tion Kör­ber-Stiftung ein Buch erschienen, daß all das beobachtet hat und am Beispiel der soge­nan­nten “E‑Musik” analysiert. Es ist keine Klage aus der Rei­he der Pisaan­pran­ger­er – als solch­es wurde es hie und da durch das medi­ale Dorf gehet­zt und der Autor Hol­ger Noltze entsprechend präsen­tiert. Dabei ist der nun aus­gerech­net vom Fach, ein ges­tanden­er Medi­en­profi, der unter anderem für ver­schiedene Kul­turredak­tio­nen des West­deutschen Rund­funks arbeit­et. Sein Buch heißt “Die Leichtigkeit­slüge”. Das kommt uns nun bekan­nt vor.

In der Tat beschäftigt sich Noltze sehr inten­siv mit den Sche­in­fra­gen der Kul­turszene. Es geht um Ver­mark­tung und Ver­mit­tlung, um Wirtschaftlichkeit und um Ver­lustäng­ste, materielle und kul­turim­ma­nente. Über allem ste­ht die Idee, daß eine jede Beschäf­ti­gung mit kom­plex­en Inhal­ten eine inten­sive Auseinan­der­set­zung mit densel­ben ver­langt und eben nicht durch bloßes “Her­an­führen” rezip­iert wer­den kann. Da Hol­ger Noltze schreiben kann, ist das schön zu lesen und so manch­es Mal ist das Wieder­erken­nen der ana­lytis­chen Aus­gangssi­t­u­a­tion ein durch und durch erfreulich­er Moment, der bei genauer Betra­ch­tung zu zus­tim­men­dem Nick­en zwingt. Gele­gentlich wird das bösar­tig, wie die fol­gende Textprobe doku­men­tiert. Es geht um eine Gala zur “schön­sten Oper aller Zeit­en”:

“Dafür, möchte man aber gle­ich zu Beginn rufen, als es um “Ver­führung­sopern” geht, ist Car­men doch nicht gestor­ben, daß hier immer noch das alte Stück vom kom­pe­ten­ten, liebenswert ver­spul­ten Mann und der schö­nen, unin­formierten, aber gelehri­gen Blon­dine wieder und wieder nachge­spielt wird, die artig Bit­tebitte macht, damit der Onkel am Ende endlich seine Geige her­vorholt. “Gänse­haut jeden­falls schon mal zum Beginn”, strahlt sie, als Ilde­bran­do d’Ar­can­ge­lo den Don Gio­van­ni gibt und sich alle freuen, was für ein stram­mer Kerl der doch war beziehungsweise ist. (…)”

Es ist nicht fre­undlich, offen­hemdi­ge Vio­lin­vir­tu­osen und ehe­ma­lige Bra­vo-Girls bloßzustellen, aber die Bloßstel­lung ist method­isch sauber. An vie­len solchen Beispie­len wird deut­lich mit welch­er Sys­tem­atik und auch Verzwei­flung offen­sichtliche und ver­meintliche “Hochkul­tur” in einen absatzfähi­gen Markt zu schieben. Dem beigegeben ist eine Kul­tur der Bewahrung von Werten, eine kon­ser­va­torische Leis­tung beson­der­er Prove­nienz. Noltzes Buch fokussiert den Klas­sik-Markt, läßt sich aber auch auf beliebige andere Bere­iche über­tra­gen. Die Geil­heit nach der Even­tisierung, die Sex­i­ness des Autors, wahlweise auch Schaus­piel­ers oder jeden anderen Kün­stlers, all das find­et im Kul­turbe­trieb großflächig statt. Das hat vor vie­len Jahren schon ein­mal der Autor Joachim Lottmann in der Zeit großar­tig per­si­fliert, als er die dama­lige Jun­gau­torin Alexa Hen­nig von Lange im Nabokov-Stil für die Wochen­zeitung DIE ZEIT “inter­viewte”.

Hol­ger Noltze hat ein wichtiges Buch geschrieben, daß vor allem eine Essenz haben kann: Es ist stets und immer wichtig, sich jed­wed­er Kun­st zu öff­nen, ganz gle­ich wie kom­plex sie daherkommt. Oder um es mit Wal­ter Giller in sein­er 1987(!) eingestell­ten Sendung “Lock­er vom Hock­er” zu sagen: “Es bleibt schwierig.”

Ama­zon Part­ner-Link: Die Leichtigkeit­slüge: Über Musik, Medi­en und Kom­plex­ität

1 Kommentar

  1. Lieber Matthias,
    vie­len Dank für den Beitrag zu Noltze: ich freue mich, daß er offen­sichtlich mit sein­er Leichtigkeit­slüge eine bre­it­ere Diskus­sion angestoßen hat: war wohl auch was im Fernse­hen mit dem Chefver­mit­tler der Elbphil­har­monie und was im let­zten “Orch­ester” (Zeitschrift der DOV).
    Ja, es wird Zeit zu zeigen, daß es auch in diesem Bere­ich eine Pre­mi­umqual­ität gibt, von der Pop­ulis­ten und Fast­food-Kul­turelle keine Ahnung haben und daß die Men­schen dur­chaus auch gute Kost ver­tra­gen!!
    Viele Grüße
    Thomas

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*