Zuerst eine Idee. Intuitive Farbauswahl. Informelle Schritte folgen. Dann die Konstruktion, ein Versuch der Formgebung. Leinen mit Acryl grundiert, mit Öl betupft, auch schlierenartig verteilt die Künstlerin die Farbe darüber. Leinwand anheben, drehen, wieder hinlegen. Da sind sie, die Farbverläufe, die Tanja Hehmann haben will. „Bis es mir richtig erscheint!“
So arbeitet sich die Hamburger Malerin an ihr Werk heran – schrittweise, mit Bedacht. Hehmann experimentiert, malt Schicht um Form, zieht Linien, freihand, bisweilen mit Fäden vorgelegt, ändert auch, durchaus. So folgt sie spontanen Eingebungen, verknüpft Ebenen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammenzugehören scheinen. Ein kraftvoller Ausdruck auf ebener Fläche. Dadurch ergeben sich Spannungen auf tiefem Bildgrund – und Ruhe und Dynamik finden gleichermaßen Platz auf der Leinwand.
Im mit anderen kreativen Köpfen geteilten Atelier am Bullerdeich im ehemaligen Kraftwerk Bille in einer intensiven Arbeitsatmosphäre, geprägt von industriellem Charme, entstehen manchmal in wenigen Tagen, manchmal in Monaten ganze Bildserien. Einiges muss sich entwickeln, wieder betrachtet werden, mal aus einer anderen Perspektive. Dieser Ort ist ein Refugium, in dem Tanja Hehmann sich wohl fühlt, ihre Ruhe zum Arbeiten hat, Eindrücke auf sich wirken lassen kann. Wenn ein Termin zu sehr im Nacken sitzt, kann sie nicht so ruhig malen, sagt sie. Deshalb ist Zeit ein wichtiger Faktor: Mit Umsicht entsteht die Tiefe in den Bildern, sowohl gedanklich als auch perspektivisch. Verstärkt auch mittels Farbintensität, wenn beispielsweise ein tiefes Blauschwarz auf ein Königsblau trifft, beide großflächig angelegt, ineinander verwoben. Auf diesem Grund sind Dreiecksflächen in nuanciertem Grün-Gelb angelegt, die auf sie zulaufende, leicht gedrehte Quader in Türkis umrahmen. So bildet sich die auf eine offene Ebene projizierte Darstellung eines räumlichen Körpers. Der Titel: „Involution“.
Tanja Hehmann hat diese Arbeit und weitere im Rahmen des Hamburger Architektursommers 2015 Anfang Mai in ihrer Schau namens „Passagen und Enklaven“ im alteingesessenen Westwerk gezeigt. Eine Galerie, die sie kennt und schätzt. Die teils informellen, teils konstruierten Bildflächen verbinden sich somit zu Ansichten, die eine Grundlage für Architektur bilden. Gebäudeformen im offenen Raum, technische Entwicklung mit funktionellem Charakter. So wie ein Baumeister plant. Konsequenterweise hat Hehmann diese Formen deshalb in der Vorbereitung zur Ausstellung gestalterisch weiter entwickelt oder auch mehrmals geändert. Im Galerieraum findet daher die endgültige Bildauswahl statt. Auch wenn sie gerne vorab den Grundriss einteilt und in Gedanken den Raum bestückt, die Künstlern weiß: Vor Ort ist es einfacher festzulegen, welches Werk an welcher Wand hängen soll und somit eine bessere Wirkung ausübt. Die Westwerk-Schau ist offen gehängt, mit fein abgestimmter Ausleuchtung, genug Platz für Überlegungen.
Mit Schubkraft für die Vorstellung wirken auch die anderen Werktitel: „Essenz und Existenz“, „Margines“, „Wahrmacher“, „Schaumgeborenes“ oder „Leichte Schwere“ — so gelangen Sender und Empfänger auf eine Fantasie-Ebene. Der Empfänger darf selbstverständlich noch weiter gehen im eigenen Sehen, seine eigenen Gedanken entwickeln. „Man muss dem Betrachter Raum und Zeit lassen“, sagt die Malerin und so hat man tatsächlich die Ruhe vor dem Bild, wird nicht gehetzt. Man wandert noch einmal zurück, lässt wirken, sieht noch mehr und entdeckt neu. So überträgt sich die helle Leichtigkeit einiger Bilder ebenso wie die dunkle Schwere – beides ausgewogen verteilt in der Galerie. So bilden Raum und Werk eine Einheit, gut konzipiert mit unterschiedlichen Bildformaten, nichts überfrachtet den Blick.
Das, was Tanja Hehmann auf die meist selbstaufgezogenen Leinwände bringt, bietet geistreiche Verbindungen. So werden Brücken gelegt und Rückzugsinseln geschaffen. Eben Passagen und Enklaven. Zeit zum Innehalten. Zum Nachdenken über Dinge und Dimensionen, Alltag und Zukunft, kleine und große Universen.
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