Und ewig klimpern die Klaviere

Fanny Ardant kann allein mit einem Wimpernschlag eine große Leinwand ausfüllen. Dagegen ist der Rest ihres neuen Films »Die schönen Tage« einigermaßen banal

Bankge­heim­nis: Die Liai­son zwis­chen Car­o­line und Julien bleibt in ein­er Kle­in­stadt nicht lange ver­bor­gen (Pho­to: © Wild Bunch Ger­many)

Nach dem wieder­holten Quick­ie im Per­son­al­raum stellt Car­o­line (Fan­ny Ardant) eine lange Liste mit Regeln auf. Unter anderem: keine pein­lichen Begeg­nun­gen auf dem Flur, keine anzüglichen Bemerkun­gen vor Drit­ten, und vor allem, ganz wichtig: Sex nur mit aus­geschal­tetem Licht. Julien (Lau­rent Lafitte) fasst sich deut­lich kürz­er: nie wieder Kek­skrümel in seinem Bett. Die hat Car­o­line näm­lich reich­lich hin­ter­lassen, nach einem Heißhunger­flash, aus­gelöst vom Joint nach der let­zten Num­mer. Haschisch macht hun­grig, und auch ero­tisch ist die aparte Blon­dine neuerd­ings uner­sät­tlich.

So weit, so putzig, so franzö­sisch. Allerd­ings hat die Affäre eine exo­tis­che Note. Car­o­line, pen­sion­ierte Zah­närztin, hat bere­its die 60 über­schrit­ten. Julien, Com­put­erkurs-Dozent am Senioren-Freizeitzen­trum »Die schö­nen Tage« (Regie: Mar­i­on Vernoux), geht ger­ade ein­mal auf die 40 zu. Eine frühe und eine späte Midlife-Cri­sis, die hier gemein­sam Funken schla­gen. Inklu­sive Auto-Knutscherei, Hin­terz­im­mer-Gevögel und geheime Dates.

Ein Tes­tange­bot für ein neues Leben. Genau so unverbindlich wie das Tes­tange­bot für die »Schö­nen Tage«, das die erwach­se­nen Töchter der Mut­ter geschenkt haben. Damit sie zwis­chen Lachyo­ga, Töpfern und Web­site-Basteln einen neuen Sinn in ihrem Leben ent­deck­en möge. Es kommt zu ein­er klas­sis­chen Ménage à trois, der Gegen­part zum jun­gen Lover ist Ehe­mann Philippe (Patrick Ches­nais), in sein­er zerknit­terten Liebenswürdigkeit eigentlich ein Traum von einem lieben­den Gat­ten.

Pikant, ja – doch die Wucht eines echt­en Skan­dals hat die Kom­bi »ältere Lady, junger Toy­boy« in Wirk­lichkeit schon lange nicht mehr. Vor­bei die Zeit­en von »Sun­set Boule­vard«, in denen die alternde Diva mit dem jun­gen Verehrer als tragis­che Fig­ur dem Wahnsinn ver­fall­en musste. Von Madon­na und Jen­nifer Lopez bis Tina Turn­er – in der Film- und Musikin­dus­trie ist der jün­gere Kerl mit Los­er-Charme als Acces­soire der altern­den Erfol­gs­frau mit­tler­weile fast so sehr Main­stream wie das umgekehrte Mod­ell.

Und natür­lich ist der Plot maßgeschnei­derte Cou­ture für Fan­ny Ardant, bekan­nt für ihr antibürg­er­lich­es Liebesleben, leg­endäre Truf­faut-Muse, Mut­ter von drei Töchtern aus drei ver­schiede­nen Beziehun­gen. Diese Frau – im Leben wie im Film- ist mehr Wucht­brumme als welkes Müt­ter­lein. Davon sitzen zuhauf im Töpfer­kurs.

Sich­er, es gehören Mut und Sou­veränität dazu, Teile seines Mittsechziger-Kör­pers nackt vor der Kam­era zu zeigen. Und dann auch wieder nicht — wenn dieser Kör­p­er so aussieht, wie er aussieht, in Jung­mäd­chenkom­bis aus Jeans und Karob­luse oder Bleis­tiftrock und Hip­pie-Pul­li. Es ist ja ganz leicht zu ver­ste­hen, was Julien an Car­o­line find­et. Viel mutiger als die Nack­t­szenen ist, wie Fan­ny Ardant ihr Gesicht dem Close-up-Blick der Kam­era preis­gibt.

Diese Frau kann mit einem Wim­pern­schlag ihrer drama­tisch mit Kajal umran­de­ten Augen müh­e­los eine Lein­wand füllen. Und den­noch die Lebensspuren in ein­er Dimen­sion zeigen, wie sie der Badez­im­mer­spiegel am Mor­gen nicht bietet. Im übri­gen ist auch Julien kein klas­sis­ch­er Lein­wand-Beau. Son­dern ein Frauen­held mit einem leicht­en Hang zu Bäuch­lein und Dop­pelkinn. Mehr Waschbär als Waschbrett.

Dass eine gemein­same Zukun­ft keine echte Option ist, ver­ste­ht sich fast von selb­st – und so geht der Film recht solide und ohne allzu orig­inelle Wen­dun­gen auf sein erwart­bares Ende zu. Unterm Strich also eine gefäl­lige Midlife-Cri­sis-Geschichte, unter­malt von notorisch melan­cholis­chem Klaviergek­limper, mit schö­nen, manch­mal wohltuend sper­ri­gen Bildern. Schau­platz ist nicht etwa die liebliche Provence, son­dern der leicht angeschmud­delte Nor­dosten Frankre­ichs, sin­niger­weise die Stadt Dunkerque, Sym­bol für die Schlacht­en des let­zten Weltkrieges.

Da ros­ten Raf­fine­r­ien am Strand, da schla­gen Aut­ofähren gegen Kaimauern, und ihre nach­den­klichen Spaziergänge macht Car­o­line auf der zube­tonierten Strand­prom­e­nade, wo sie – sym­bol­isch, sym­bol­isch! – jun­gen Men­schen beim Sprung ins kalte Wass­er zusieht.

Natür­lich im Herb­st, ein­er Jahreszeit, in der man ger­ade noch bar­fuß geht, auch wenn man sich dabei schon in eine mol­lige Strick­jacke hüllt. Vor allem eines ist in dieser Geschichte aber wirk­lich schön einge­fan­gen: wie die Gen­er­a­tion der heute 60jährigen sich abstram­pelt, noch auf dem Qui­v­ive zu sein, modisch, sportlich, tech­nisch, und dann doch nicht Schritt hal­ten kann mit der ras­an­ten Umschlaggeschwindigkeit der Welt.

Weil man vielle­icht in der Lage ist, eine wack­lige Inter­net-Verbindung zu repari­eren – aber nie ver­ste­hen wird, warum der junge Kerl nach dem Sex zum Lap­top greift, um noch mal eben schnell eine Kurz­nachricht auf Twit­ter abzuset­zen. Und wie Frauen in Car­o­lines Alter auf ein­mal in ganz ähn­liche Krisen stürzen wie ihre Män­ner.

Weil auch sie mehrheitlich den Über­gang find­en müssen von einem aktiv­en Beruf­sleben in die alltägliche Beschäf­ti­gungs­ther­a­pie. Und dabei oft keine Lust haben auf das Lebens­mod­ell »Enkel plus soziales Engage­ment.« Alles in allem: ein net­ter Film für einen reg­ner­ischen Herb­st­nach­mit­tag. Aber doch eher, wenn man abends noch etwas Span­nen­deres vorhat.

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