Ja, der Hüftschwung von Mick Jagger. Und natürlich die tief vor dem Gemächt hängende Gitarre. Brennende Gitarren. Sex Machine. Die Geschichte der Popmusik ist voller brüllender Superlative, das Großprecherische ist vor allem seinen männlichen Heroen so zu eigen wie kaum einem anderen Genre – und wie viele wichtige, richtungsweisende und vor allem einzigartig epochale Alben hat uns die Musikindustrie schon beschert?
All das Gekreische und Gedröhne von Public Relations und Überschätzung steht so oft vor der Musik, dass einem das eigentlich schon oft abhandenkommt, bei allem gierigen Schnappen nach der Authentizität, die dann immer so behauptet wird. Manchmal, aber nur sehr selten kommt dann eine winzige Überraschung daher, und man meint, wieder einmal etwas zu hören. Und diese Alben sind selten richtungsweisend und epochemachend.
Sven Bünger hat so eine Platte gemacht. Sie ist knappe 34 Minuten lang, so wie früher eine LP und es sind 10 Songs darauf – fünf für jede Seite? Er ist Produzent, hat also einer dieser merkwürdigen Berufsbezeichnungen in der Musikbranche, von der alle meinen, zu wissen, was da geschieht, aber niemand so genau weiß, was so einer eigentlich macht. Auf jeden Fall beschäftigt er sich schon lange mit Musikern und hatte auch mal eine Band, Soulounge hieß die. Alles nicht so spektakulär. Und er macht kleine Konzerte.
Und jetzt eine Platte. Mit einer Stimme, irgendwo zwischen Tom Waits Verlorenheit und dem alerten Liedersängersound, und einer kleinen Band, Schlagzeug, Gitarre, Bass. Die Texte sind wenig ungestüm, zurückgelehnt, selbstkritisch, Großtadtstereotypen: Leere Strassen, regennasser Asphalt, Männereinsamkeit.
Das ist allerdings nicht die oftmals weinerlich vorgetragene Zwangspoesie der vielen jungen deutschen Songwriter, die gerade ein wenig populär sind. Es riecht eben so ein bisschen nach kaltem Zigarettenrauch und leeren Flaschen mit unbestimmten Alkoholika, und das in Zeiten, wo vor dem, was einstmals Clubs waren, die Raucher in der Kälte stehen müssen und die Jungs Bier mit Geschmack trinken. Wie ungewohnt …
Überhaupt ist die ganze Chose ein Anachronismus, vom Gestus wie vom musikalischen Impetus. Da findet sich dann auch mal eine fein ziselierte Basslinie im Intro (Uwe Frenzel, der schon Texas Lightning die Basis gab), hier ein paar verspielte Slide-Harmonien oder da ein kleines Banjo-Picking (Ulrich Rode und Steffen Häfelinger bedienen so ziemlich alles, was Saiten hat, trommeln tut dann Lars Plogschties) irgendwo im Stück.
All das ist so altmodisch liebevoll, wie man sich es immer wieder wünschte, wenn da sonst, bei Anderen, nicht immer nur Behauptungen stünden.
Hier ist nichts behauptet, sondern einfach gemacht. Der Bünger singt und seine “Freunde”, die allesamt hervorragende Instrumentalisten sind, spielen dazu und mit. Warum ist eigentlich egal, wahrscheinlich weil sie einfach jede Menge verspieltes Vergnügen am Musikmachen haben. Es klingt dann auch gut.
Natürlich ist das im Prinzip, wie jeder “Mood”, den eine Platte erzeugt, eine kleine Illusion, aber diese schöne Illusion hier haut so richtig schön hin. Und dann singt der Mann wieder von seinen Erfahrungen, die einen eigentlich nicht interessieren müssten, weil wir sie im Genre schon oft gehört haben, und wir hören doch hin.
Weil solche Zeilen wie “Ist das Glück oder Schicksal, wenn ich angekommen bin” hier eigenartigerweise anders klingen. Oder auch die Vorstellung vom getriebenen Nachtschwärmer so richtig schön rüberkommt: “Wenn der Mond mich ruft, folge ich die ganze Nacht dem hellen Schein.”
Und weil es um ein erwachsenes Scheitern und kein blödes Jungmännergejammer geht: “Es gibt noch mehr als nur zwei Seiten, es geht weiter, Stück für Stück. Welchen Weg wir auch beschreiten, für das Glück …”
Solche Platten sind meistens einsam. Geben wir ihnen doch ein wenig Gesellschaft.
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