Es gibt da diese Szene, in der Toland Polk mit seiner Freundin Ginger schlafen möchte, ein Kondom aus der Tasche holt und feststellt, dass es alt und eingetrocknet ist. »Selbst eine Herde Elefanten hätte es nicht aufrollen können.« Getrocknet und zusammengeklebt – das ist das Stuck Rubber. Zum Geschlechtsverkehr kommt es nicht. Stattdessen gesteht Toland seiner Freundin, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Er macht damit einen ersten Schritt in Richtung Coming-Out, hin zu Wahrheit und Veränderung.
Wenn Cruse das alte Gummi zum Titel des gesamten Comics erhebt, wird daraus ein Symbol. Natürlich ist mit »Stuck Rubber Baby« die Hauptfigur Toland Polk gemeint – der wiederum das Alter Ego des Autors selbst ist. Aber dieses Eingetrocknete, Unbewegliche, jeglichen Schritt zur Liebe Verhindernde steht auch als Zeichen für den jungen Weißen, der den Kampf der Bürgerrechtsbewegung mehr passiv, als aktiv erlebt, der das Risiko scheut, denn es ist ja nicht sein Kampf. Er ist lieber Zaungucker, Teil einer Gesellschaft, die feststeckt und unbeweglich geworden ist. Veränderer, das sind die anderen.
Und so verbringt Toland Polk in diesem Buch ein unglückliches, nachdenkliches Leben zwischen Selbstverleumdung, Angst und Zweifeln. Was er ist, will er nicht sein. Was er sein sollte, könnte er nachlesen. Und zwar im Dixie Patriot. In dieser rechtsradikalen Zeitung steht, was einen guten Amerikaner in den 1960ern angeblich ausmacht. Er ist nämlich weder schwul noch schwarz. Toland duckt sich unter dieser Disziplinierung weg, taucht ab, ist zu ängstlich, dagegen aufzubegehren.
Er ist nicht das heldenhafte Individuum, das sich gegen ein ungerechtes System wehrt. Er ist das ängstliche Individuum, das versucht, sich mit einem ungerechten System zu arrangieren. Und trotzdem auf die große Veränderung hofft. In der Darstellung dieses Zwiespalts ist »Stuck Rubber Baby« zeitlos und universell. Ein subtiler und kraftvoller Apell, nicht einzutrocknen, sondern nach Liebe und Gerechtigkeit zu streben.
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