Veränderer, das sind die anderen

HHF-Gastautor Christopher Bünte über Howard Cruse´ meisterhafte Graphic Novel »Stuck Rubber Baby«

Es gibt da diese Szene, in der Toland Polk mit sein­er Fre­undin Gin­ger schlafen möchte, ein Kon­dom aus der Tasche holt und fest­stellt, dass es alt und eingetrock­net ist. »Selb­st eine Herde Ele­fan­ten hätte es nicht aufrol­len kön­nen.« Getrock­net und zusam­mengek­lebt – das ist das Stuck Rub­ber. Zum Geschlechtsverkehr kommt es nicht. Stattdessen geste­ht Toland sein­er Fre­undin, dass er sich zu Män­nern hinge­zo­gen fühlt. Er macht damit einen ersten Schritt in Rich­tung Com­ing-Out, hin zu Wahrheit und Verän­derung.

Wenn Cruse das alte Gum­mi zum Titel des gesamten Comics erhebt, wird daraus ein Sym­bol. Natür­lich ist mit »Stuck Rub­ber Baby« die Haupt­fig­ur Toland Polk gemeint – der wiederum das Alter Ego des Autors selb­st ist. Aber dieses Eingetrock­nete, Unbe­wegliche, jeglichen Schritt zur Liebe Ver­hin­dernde ste­ht auch als Zeichen für den jun­gen Weißen, der den Kampf der Bürg­er­rechts­be­we­gung mehr pas­siv, als aktiv erlebt, der das Risiko scheut, denn es ist ja nicht sein Kampf. Er ist lieber Zaun­guck­er, Teil ein­er Gesellschaft, die fest­steckt und unbe­weglich gewor­den ist. Verän­der­er, das sind die anderen.

Und so ver­bringt Toland Polk in diesem Buch ein unglück­lich­es, nach­den­klich­es Leben zwis­chen Selb­stver­leum­dung, Angst und Zweifeln. Was er ist, will er nicht sein. Was er sein sollte, kön­nte er nach­le­sen. Und zwar im Dix­ie Patri­ot. In dieser recht­sradikalen Zeitung ste­ht, was einen guten Amerikan­er in den 1960ern ange­blich aus­macht. Er ist näm­lich wed­er schwul noch schwarz. Toland duckt sich unter dieser Diszi­plin­ierung weg, taucht ab, ist zu ängstlich, dage­gen aufzubegehren.

Er ist nicht das helden­hafte Indi­vidu­um, das sich gegen ein ungerecht­es Sys­tem wehrt. Er ist das ängstliche Indi­vidu­um, das ver­sucht, sich mit einem ungerecht­en Sys­tem zu arrang­ieren. Und trotz­dem auf die große Verän­derung hofft. In der Darstel­lung dieses Zwies­palts ist »Stuck Rub­ber Baby« zeit­los und uni­versell. Ein sub­til­er und kraftvoller Apell, nicht einzutrock­nen, son­dern nach Liebe und Gerechtigkeit zu streben.

Howard Cruse: Stuck Rub­ber Baby
über­set­zt von Andreas C. Knigge,
Cross Cult, Hard­cov­er, schwarzweiß, 240 Seit­en
[Ama­zon Part­ner­link]

© cross cult

 

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