Viktoria!

Ken­nen sie den Dop­pelz­ei­ge­fin­ger? Ver­su­chen sie es mal. Die Unter­ar­me par­al­lel, die Hän­de leicht gegen­ein­an­der ver­setzt, das Gegen­über fixie­ren und die Zei­ge­fin­ger aus­stre­cken. Am bes­ten den Kopf noch leicht schräg legen und gewin­nend lächeln. Kommt Ihnen das bekannt vor? Schal­ten Sie den Fern­se­her ein und schau­en sie sich – nur zur Recher­ché – die Pha­lanx der »Stars« an, die dort die Sen­der bevöl­kern, nach eini­gen Minu­ten wer­den sie die Ges­te mit Sicher­heit wiederfinden.

Bernd Gra­wert ali­as John Osbor­nes Archie Rice hat das gut stu­diert, die Cho­reo­gra­phie des Enter­tain­ment beherrscht locker und sou­ve­rän. Ob Dop­pelz­ei­ge­fin­ger, ob Mikro­phon­hand­ling mit ein­fa­chem Fin­ger oder den rhyth­mi­sie­ren­den Sprach­stil der Per­ma­nenz, den Unter­hal­ter so vir­tu­os beherr­schen. Er und sei­ne Mit­spie­ler lavie­ren durch ein Laby­rinth, gebil­det durch maro­de und manns­ho­he Leucht­buch­sta­ben, die auf dem Büh­nen­bo­den lie­gen. Das ist ein schlich­tes Sym­bol für die ver­gan­ge­ne Vau­de­vil­le­herr­lich­keit in der Osbor­nes »Enter­tai­ner« sich bewegt. Das Stück ist von 1957, in sei­ner Zeit als Para­bel auf das unter­ge­hen­de Bri­ti­sche Empire gedeu­tet und ziem­lich nah am Brecht­schen Lehr­t­hea­ter gehal­ten. Direk­tes Anspie­len des Publi­kums, fron­ta­le Erkennt­nis der Figu­ren, alles dabei und drin. Das hat in Ein­zel­fi­gu­ren mitt­ler­wei­le eine gewis­se Pene­tranz, ein har­ter Strich an der einen oder ande­ren Stel­le hät­te zum Bei­spiel Fran­zis­ka Hart­manns Jean ziem­lich gut getan. Erklä­run­gen zu längst Erkann­tem und Gese­he­nen sind läs­tig und über­flüs­sig. Denn genau an die­ser Stel­le kommt näm­lich die Stär­ke die­ser Insze­nie­rung ans Licht – ein fei­nes Ensem­ble alter und jun­ger Tha­lia-Recken erspielt da den schon etwas stau­bi­gen Text, der dadurch kei­ner Ver­frem­dung mehr bedarf. Die Essenz ent­steht dabei im Spiel, nicht in der aus­ge­spro­che­nen Deu­tung. Das ist wunderbar.

Chris­toph Bant­zer ist seit 25 Jah­ren am Tha­lia, ihm genü­gen ein paar Sät­ze und zwei klei­ne Sze­nen, um ihn an die­sem Abend nicht zu ver­ges­sen, auch Bernd Gra­wert nimmt sich sein Publi­kum und ist zudem ein wun­der­ba­rer Musi­ker, der tat­säch­li­che Enter­tai­ner-Fähig­kei­ten an den Tag legt. Daß Vic­to­ria Trautt­manns­dorff aber so sel­ten auf der Tha­lia-Büh­ne zu sehen ist, das ist wirk­lich ein Defi­zit. Was die­se Schau­spie­le­rin an Far­ben zei­gen kann, ist sehens- und bewun­derns­wert. Phoe­be, die trost­lo­sen Frau an der Sei­te des dau­er­haft elo­quen­ten, bra­maba­sie­ren­den Archie Rice, hat durch sie vie­le Facet­ten zwi­schen Resi­gna­ti­on und Hoff­nung, eine schö­ne und direk­te Prä­senz, die das Werk mehr als überragt.

Da die Regis­seu­rin Chris­tia­ne Poh­le das Werk jetzt auf die Büh­ne stellt, mag die Fra­ge erlaubt sein, war­um man – neben der Mög­lich­keit, gute Schau­spie­ler aus ihren Figu­ren her­aus bril­lie­ren zu las­sen – das heu­te über­haupt noch insze­nie­ren muß. Die Geschich­te vom Nie­der­gang einer Unter­hal­ter­dy­nas­tie kann ja in Zei­ten, wo ein Mikro­phon unter scha­len Ges­ten vor­zu­hal­ten als Orden soge­nann­ter bil­dungs­fer­ner Schich­ten gilt, ein gewis­ses Inter­es­se wecken. Auch die Ver­frem­dungs­ef­fek­te zwi­schen Büh­nen­wirk­lich­keit und Zuschau­er­si­ta­ti­on sind in die­sem Zusam­men­hang schö­ne para­bo­li­sche Nähe­run­gen, aber so rich­tig inter­es­sant ist das alles nicht mehr und wäre es nicht so gut gelun­gen, ein wenig über­flüs­sig. Aber das ist schö­nes Schau­spie­ler­thea­ter. Das reicht. Viktoria!

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