Vom Blatt

Klaus Schumacher vertraut auf die Vorlage von »Geächtet« bei der deutschsprachigen Erstaufführung am Deutschen Schauspielhaus.

Ayad Akhtar
Noch sind alle bester Laune. Carlo Ljubek, Ute Hannig, Samuel Weiss, Isabelle Redfern © Thomas Aurin

Das The­ma ist Sprengstoff. Migra­tion, Reli­gion und Ter­ror­is­mus wer­den in „Geächtet“ im lib­eralen Wohl­stands­bürg­er­tum New Yorks ver­han­delt. Allerd­ings nicht diskur­siv, son­dern auf per­sön­lich­er Ebene. „Das The­ma Islam trig­gert die Furcht in den Men­schen“, sagt Autor Ayad Akhtar im SZ-Inter­view. Und genau mit dieser Angst spielt er in ein­er explo­siv­en Vier-Per­so­n­en-Kon­stel­la­tion. Das Orig­i­nal „Dis­graced“, 2013 am Broad­way uraufge­führt, wurde mit dem Pulitzer Preis für Dra­ma aus­geze­ich­net. Und ja, es ist ein sehr sauber und strin­gent gear­beit­etes Stück mit ein­er klaren Dra­maturgie bis zum bit­teren Ende. Es mag aber vor allem am derzeit für Deutsch­land brisan­ten The­ma liegen, dass es zeit­gle­ich in Ham­burg, München und Berlin auf den Spielplä­nen ste­ht.

Die Bühne ist rück­wär­tig durch einen kupfer­far­be­nen Per­len­vorhang begren­zt, auf den immer zu Szenen­be­ginn der zeitliche Ver­lauf des Stück­es pro­jiziert wird. Inner­halb von einem hal­ben Jahr ab dem Spät­som­mer 2011 geht es hier ras­ant bergab – was man dem schick­en Design­er­so­fa, auf dem man sich in gut sitzen­den Klam­ot­ten lüm­melt, zu Beginn noch nicht ansieht (Bühne: Jo Schramm, Kostüm: Karen Simon). Mehr Kulisse brauchen die Schaus­piel­er nicht. Ayad Akhtar schreibt „Geächtet“ in der klas­sis­chen angel­säch­sis­chen Tra­di­tion des Well-made Play und hält die Ein­heit des Ortes ein. Immer wieder prallen die Fig­uren hier in unter­schiedlichen Kon­stel­la­tio­nen aufeinan­der, bis am Ende nur ein­er übrig bleibt.

Amir (Car­lo Ljubek) ist ganz oben angekom­men in der amerikanis­chen Gesellschaft. Er ist Apo­s­tat, hat dem mus­lim­is­chen Glauben abgeschworen. Zu viele schlechte Erin­nerun­gen aus sein­er Erziehung sind daran geknüpft. „Weiße Frauen haben keine Selb­stach­tung“ – das ist nur ein­er der Sätze, die seine Mut­ter ihm einget­richtert hat, wie er sein­er Ehe­frau Emi­ly (Ute Han­nig) erzählt. Die wiederum set­zt sich als Kün­st­lerin nun aus­gerech­net inten­siv mit dem Islam auseinan­der, ist fasziniert von Weisheit und Reich­tum der islamis­chen Kul­tur. Amir ver­sucht verge­blich, sie zu überzeu­gen, dass man diese Werte von der – in seinen Augen rück­ständi­gen – Reli­gion nicht tren­nen könne.

Er ist ein junger, hochdotiert­er Anwalt in ein­er renom­mierten New York­er Kan­zlei, und er wäre nie so weit gekom­men, hätte er seinen Namen nicht von Abdul­lah in Kapoor geän­dert, davon ist er überzeugt. Der Senior der Kan­zlei schenkt ihm eine Bud­dha-Stat­ue, und das ist ihm nur recht, er will mit sein­er Herkun­ft Pak­istan und der mus­lim­is­chen Reli­gion nicht in Verbindung gebracht wer­den. Dass eine solche Fas­sade schnell bröck­elt, wird spätestens klar, als er sich von Emi­ly überre­den lässt, auf Wun­sch seines Nef­fen Abe (Jonas Hien) einen wegen Ter­rorver­dachts inhaftierten Imam juris­tisch zu berat­en. Der Fall wird ihn beru­flich das Genick kosten.

In der Tra­di­tion der Erfol­gsstücke ein­er Yas­mi­na Reza blät­tert der dünne Lack der lib­eralen Zivil­i­sa­tion bei den Fig­uren Stück für Stück bis in die offene Kon­fronta­tion. Doch liegt Akhtars Fokus auf ein­er beängsti­gen­den Aus­sage: Inte­gra­tion, ganz gle­ich auf welchem Niveau sie gelebt wird, ist ein frag­iles Kon­strukt. Alte kul­turelle Prä­gun­gen brechen sich auch nach Gen­er­a­tio­nen noch Bahn. Daran mag es liegen, dass Akhtar in „Geächtet“ eine Mis­chung aus Boule­vard­komödie und Tragik vor­legt, die den Schaus­piel­ern teil­weise zu schaf­fen macht.

Ayad Akhtar
Lib­er­al und auf höch­stem Niveau. Noch.
Car­lo Ljubek, Ute Han­nig, Samuel Weiss, Isabelle Red­fern
© Thomas Aurin

Das Stück eskaliert bei einem gemein­samen Aben­dessen mit Amirs Kol­le­gin Jory (Isabelle Red­fern), ein­er Afro-Amerikaner­in, und deren Mann Isaac (Samuel Weiss), einem jüdis­chen Amerikan­er. Let­zter­er hat Emilys Kun­st als Kura­tor zum kün­st­lerischen Durch­bruch ver­holfen. Und natür­lich hat­ten sie eine Affäre, die let­ztlich das Ende von Amirs und Emilys Ehe bedeuten wird. Katalysator für die Eskala­tion des Abends ist allerd­ings eine Menge Alko­hol, sehr früh kom­men The­men wie eth­nis­ches Pro­fil­ing und Ver­schleierungsver­bot auf den Couchtisch. Vor den vier unter­schiedlichen biographis­chen Hin­ter­grün­den der Fig­uren läuft das Gespräch so schnell aus dem Rud­er wie ein ent­gleis­ter Zug.

Klaus Schu­mach­er lässt die Fig­uren in sein­er Insze­nierung ziel­stre­big in Rich­tung Unter­gang straucheln. Er ver­traut der Vor­lage und seinem Ensem­ble, lässt die vier Biografien aufeinan­der prallen und scheint die Kon­stel­la­tion zu beobacht­en wie in einem Exper­i­ment. Manch­mal hätte man sich gewün­scht, dass eine Pointe klar­er geset­zt oder ein Seit­en­hieb deut­lich­er aus­ge­spielt wor­den wäre. Aber let­ztlich tut seine sezierende Sichtweise dem Stück gut.

Ayad Akhtar
Am Ende: Emi­ly und Amir. (Ute Han­nig, Car­lo Ljubek) © Thomas Aurin

„Geächtet“ ist ein stark­er Stoff, der mit den Äng­sten spielt, die heute in viel­er­lei Rich­tun­gen brodeln. Dass er die Dra­maturgien an deutschsprachi­gen The­atern so überzeugt, liegt vor allem daran, dass er uns die gehobene Gesellschaft eines ehe­ma­li­gen Ein­wan­derungs­lan­des als Spiegel vorhält. In den USA leben seit mehreren Gen­er­a­tio­nen unter­schiedlich­ste Kul­turen neben- und miteinan­der. In Deutsch­land, wo man sich erst seit der aktuellen poli­tis­chen Sit­u­a­tion mit der Rolle als Ein­wan­derungs­land auseinan­der­set­zt, blickt man mit diesem Stück auf mögliche Kon­stel­la­tio­nen der Zukun­ft. Kul­turelle Iden­tität ist ein frag­iles Kon­strukt, das über Gen­er­a­tio­nen hin­weg entste­ht. Inte­gra­tion ist daher viel mehr als eine Auf­gabe. Sie ist eine Hal­tung, die auch nach Jahrzehn­ten sorgfältig geübter Rollen von einem Moment auf den anderen zeigt, wie porös sie ist.

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