Ein französischer Comic-Zeichner trifft bei einer Veranstaltung einen Mann, der jahrelang im französischen Außenministerium tätig war. Man kommt ins Gespräch, man beschließt, gemeinsam einen Comic zu machen. Das zweibändige Ergebnis, “Quai d’Orsay”, hat sich in Frankreich über 250’000 Mal verkauft. Vor einigen Monaten ist es im Reprodukt Verlag mit dem deutschen Untertitel: “Hinter den Kulissen der Macht” erschienen.
(Autobiographischer) Comic as usual? Keineswegs. “Quai d’Orsay” ist ein kleines Comic-Wunder.
Ich gebe zu, ich war darauf eingestellt, mich zu langweilen. Nichts gegen das Hinterzimmer-Melodram der Politik an sich, das viele Sachbücher füllt, aber Frankreich? Bitte. Maximal wird es da doch ein wenig unappetitlich, siehe der Skandal um Dominique Strauss-Kahn. Das übergroße Albenformat von „Quai d’Orsay“ verspricht keine leichte Lektüre. 200 Seiten voller Anzugsmänner, die sich aufspielen. Wie interessant kann das schon sein?
Interessant, unterhaltsam, komisch, berührend – man kommt mit den Adjektiven gar nicht hinterher, wenn man diesen Comic beschreiben will. Wesentlichen Anteil daran hat der Zeichner Christophe Blain, dessen bisherige Themenfelder Cowboys (“Gus”) und Piraten (“Isaak der Pirat”) als die perfekte Vorstudien für den Blick in die Korridore der Macht erscheinen können. Mit Abel Lanzac hat er einen Partner, Autor und “Inside-Man” gefunden, der sich so viele Jahre über den Politikbetrieb geärgert zu haben scheint, dass er seine Beobachtungen und Zuspitzungen als perfektes Destillat präsentieren kann: Kein Bild, kein Erzählschlenker zu viel.
Die Geschichte ist simpel: Arthur Vlaminck, ein Akademiker mit Promotionsvorhaben, erhält eine Stelle im Außenministerium als Redenschreiber. Sein Chef und erster Vorgesetzter, ein (in Blains Bildern) Taifun von einem Mann, ist Alexandre Taillard de Vorms. Die Zeit: Um 1983, kurz vor Einmarsch der Amerikaner im Irak. Vlamincks Aufgabe in diesem Kabinett: “Ich vertraue Ihnen das Allerheiligste an. Die Sprache.”
Kaum wird Vlaminck die Sprache anvertraut, wird sie ihm gleich wieder weggenommen. Sein neuer Chef fordert den Einbau von Zitaten aus den Schriften von Philosophen wie Heraklit oder Demokrit, deren Bücher er mit Stabilo-Leuchtstiften markiert hat (“Stabiloisieren” nennt er diese Lesetechnik mit einigem Stolz), die Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen haben ihre eigenen Anliegen, für die Vlaminck sich einsetzen soll, und sämtliche Hintergrundinfos, die er von dem freundlichen, melancholischen Stabschef Maupas erhält, machen ihm klar, dass er hier die Sprachgewalt nicht verantwortet, sondern maximal als Diktat entgegennehmen wird.
“Du wirst der Schreiber des Pharao”, quittiert Vlamincks Freundin Marina gleich zu Beginn seinen neuen Job. “Wusstest du, dass die Schreiber Sklaven waren?”
Blains Strich setzt von Beginn weg die Akzente. WAMM (französisch: VLON) macht die Tür, wenn Taillard de Vorms einen Raum betritt. KLACK macht der Telefonhörer, der mit Schwung in die Gabel geworfen wird. Dieser Politiker ist gewaltig, die pure Bewegung, gestikuliert, läuft auf und ab, hält die überlange Nase forsch in die Zukunft gerichtet. Ist er im Raum, scheinen alle Anwesenden zu schrumpfen. Verlässt er ihn, blähen sich die Zurückgebliebenen auf – Mini-Taillards – auch Vlaminck, der vor seiner Freundin gerne mal den Macker markiert.
In seinen Versuchen, seinem Vorgesetzten nachzueifern, scheitert er nicht zuletzt an den Schuhen. Woran erkennt man Diplomaten? fragt dieser Comic. “Die haben alle Treter wie geleckt.” Vlaminck dagegen kann an seinen Schuhen polieren, wie er will, sie glänzen nie. “Man darf eben nicht die erstbesten kaufen”, klärt ihm herablassend ein Außenamts-Mitarbeiter im Flugzeug auf.
In “Quai d’Orsay” heißt Irak nicht Irak, Taillard de Vorms gleicht Dominque de Villepin, (dem Außenminister Frankreichs um die Zeit der Handlung) weniger, als dass er ihn “beschwört” (Blain im Interview mit Olivier Delcroix), und Arthur hat nur geringe Ähnlichkeiten mit Villepins legendärem Redenschreiber Bruno le Maire – lauter Personen und (Diplomatie-) Themen, die Abel Lanzac (der Name ist ein Pseudonym) offensichtlich gut kennt. Hier geht es weder um eine Schlüsselgeschichte noch um skandalöse Enthüllungen, sondern um den ganz normalen Alltag in einem Betrieb, der unter Hochdruck arbeitet. Man muss sich für Diplomatie interessieren, um diesen Comic zu mögen – man muss nur solche Betriebe kennen.
Taillard de Vorms, intelligent und eitel, getrieben und egoman, könnte auch in der Chefetage eines Unternehmens oder Großkonzerns sitzen, oder in der Intendanz einer Kulturinstitution. Er ist die Maßlosigkeit, deren Effektivität davon abhängt, inwieweit sie sich kontrollieren lässt, der Minotaurus, der die Menschen um sich herum unentwegt herausfordert – und in dieser Herausforderung inspiriert – kurzum, ein Monster, das in seiner Ungeheuerlichkeit anziehend wirkt (die gefährlichste Art).
Und Vlaminck, getextet von Lanzac, mit Bilderleben versehen von Blain, ist der ihm verfallene Chronist. Zum Schluss sitzt er weinend vor dem Fernseher. Der Politiker hat seine Sätze mit soviel Überzeugung vorgetragen, dass in der UNO applaudiert wurde …
(Ist am Ende doch alles nur großes Theater, das mit der Politik.)
Christophe Blain/Abel Lanzac: Quai d’Orsay –
Hinter den Kulissen der Macht
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock,
Handlettering von Olav Korth
Dieser Artikel erscheint zeitgleich auch auf CULTurMAG. Wir danken unseren Kollegen für die Kooperation.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar