Wenn ich Dizzy höre, muss ich grinsen

Der Jazz-Trompeter Nils Wülker wandert zwischen Genregrenzen. Ein Gespräch.

Nils Wülker
Miles ahead: Nils Wülker (Bild: Stefan Albrecht/HHF)

Nils Wül­ker ist einer der erfolg­reichs­ten Jazz-Trom­pe­ter der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on, sei­ne Plat­ten wur­den mit einer Fül­le von Prei­sen aus­ge­zeich­net. Auf sei­nem 2015 erschie­ne­nen Album »Up« (ama­zon Part­ner­link) arbei­tet er mit ver­schie­de­nen Künst­lern aus dem Pop-Busi­ness zusam­men, dar­un­ter so unter­schied­li­che Musi­ker wie der deut­sche Soul­sän­ger Max Mutz­ke oder der in Hol­ly­wood erfolg­rei­che schot­ti­sche Film­kom­po­nist Craig Arm­strong (»The Gre­at Gats­by«). Das Album ist für den ECHO Jazz 2016 nomi­niert, der am 26. Mai auf Kamp­na­gel ver­lie­hen wird, live hören kann man ihn einen Tag davor im Ham­bur­ger Mojo-Club. Wir tra­fen Nils Wül­ker in Ham­burg und spra­chen mit ihm über Gen­re­gren­zen und den neu­en und alten Jazz.

HHF: Du hast lan­ge in Ham­burg gelebt – wie war dein letz­tes Kon­zert hier in der Stadt? Was für ein Publi­kum kommt in einen Club wie das neue Mojo, um dei­ne Musik zu hören? Ein rei­nes Jazz-Publikum?

Nils Wül­ker: Es ist eigent­lich eine ziem­lich bunt gemisch­te Trup­pe von Leu­ten. Sol­che, die viel Jazz hören und da viel­leicht für sich ande­re Din­ge in der Musik ent­de­cken. Und ande­re, die sagen, ich war noch nie auf einem Jazz­kon­zert, ich wuss­te nicht, ob das Jazz ist oder kein Jazz, oder ich wuss­te nicht, dass das über­haupt Jazz ist. Am liebs­ten ist mir eigent­lich immer, wenn sich die Leu­te unvor­ein­ge­nom­men Musik anhören.

HHF: Es gibt sehr vie­le unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen über Musik­gen­res, immer mehr Sub­gen­res wer­den von Plat­ten­in­dus­trie und Musik­jour­na­lis­ten defi­niert. Du hast ein­mal Jazz als den »wah­ren Cross­over« bezeich­net. Was ist denn »Jazz«? Was bedeu­tet der Begriff heu­te, wo wir so eine Fül­le von Stil­de­fi­ni­tio­nen haben?

Nils Wül­ker: Es gibt natür­lich sehr unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen, was Jazz ist, und mei­ne ist die einer gewis­sen Hal­tung des Musi­zie­rens. Für mich ist Jazz kei­ne abge­schlos­se­ne Kunst­form, die man jetzt schon irgend­wie ins Muse­um stel­len kann. Das kann man unter Umstän­den mit Strö­mun­gen des Jazz, man kann bei­spiels­wei­se sagen: BeBop, das ist der Sound der 40er und 50er. Mei­ne Wahr­neh­mung von Jazz ist eigent­lich – und dar­auf spielt das Cross­over-Zitat an –, dass es immer eine Musik war, die links und rechts geguckt hat und immer wie ein Schwamm alle mög­li­chen ande­ren Strö­mun­gen auf­ge­so­gen hat.

Ob das jetzt Cool Jazz oder Miles (Davis) war, der sich har­mo­nisch von Debus­sy hat inspi­rie­ren las­sen, ob das dann wie in den 50ern kuba­nisch war oder in den 60ern Bos­sa Nova und Third Stream, oder danach Jazz­Rock, oder Hen­drix. Die­ses Über-den-eige­nen-Tel­ler­rand-Gucken ist für mich ganz ele­men­ta­rer Bestand­teil des­sen, was Jazz ist. Des­we­gen tue ich mich sel­ber schwer mit einer Hal­tung, die Jazz stär­ker abgrenzt. Aber das ist auch mei­ne Sicht der Din­ge, da gibt es kein Rich­tig und kein Falsch. Wyn­ton Mar­sa­lis wird das sicher anders emp­fin­den. Aber für mich ist das in der Geschich­te des Jazz ver­an­kert, das Links- und Rechts-Gucken ist Bestand­teil der Musik.

HHF: Ein bekann­ter Ham­bur­ger Jazz­mu­si­ker hat mir in einem Gespräch mal gesagt, Jazz­mu­si­ker sei­en wegen ihrer Uni­ver­sa­li­tät auch in ande­ren Musik­for­men sehr beliebt – »die kön­nen alles«. Ist das ein Widerspruch?

Nils Wül­ker: Das stimmt, aber das fin­de ich, ist gar kein Wider­spruch. Für mich ist das mehr ein kom­po­si­to­ri­scher Blick­win­kel. Das, was er wohl meint, ist: Was bring ich als Instru­me­na­ta­list mit? Es gibt wahn­sin­nig tol­le Rock-/Pop-Musi­ker, die viel spie­len kön­nen. Jemand kann berüh­ren­de Musik machen und nicht beson­ders gut Gitar­re spie­len, so wie man­che Singer/​Songwriter, aber im Jazz kommt man, wenn man sein Instru­ment nicht beherrscht, schnell an die Gren­zen der Aus­drucks­mög­lich­kei­ten. Und des­we­gen ist es tat­säch­lich so, dass Jazz­mu­si­ker gut an ihrem Instru­ment sind. Sie spie­len ja auch eine Musik­rich­tung, die die Basis von vie­lem Ande­ren ist. Jazz hat sowohl Rock und Pop sowie Soul beein­flusst, und ich glau­be, des­we­gen bringt man da viel mit.

Einen guten Song zu schrei­ben, hat man trotz­dem nicht auto­ma­tisch drauf, auch wenn man ein guter Jazz­kom­po­nist ist. Die Fähig­keit, in Reduk­ti­on viel zu sagen – kom­po­si­to­risch und vom Über­bau her –, kann man als Jazz­mu­si­ker nicht auto­ma­tisch mit­be­die­nen. Das ist eine Qua­li­tät für sich, sowohl in der Kom­po­si­ti­on als auch als Inter­pret. Nur weil jemand ein wahn­sin­nig guter und sehr vir­tuo­ser Jazz­sän­ger ist, der alles mit sei­ner Stim­me anfan­gen kann, heißt das noch nicht, dass er bei­spiels­wei­se die »Hurt«-Version von Jon­ny Cash sin­gen kann und man davon Gän­se­haut bekommt. Und genau­so kann es vor­kom­men, dass jemand, der die Fähig­keit hat, abs­trak­te Sachen zu kom­po­nie­ren, nicht zwin­gend eine ein­fa­che, aber tief­grün­di­ge Melo­die schrei­ben kann. Das sind dann doch noch sehr ver­schie­de­ne Dinge.

HHF: Vie­le haben den Jazz schon als tot bezeich­net. Er war nie ganz weg, oder doch? In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat sich vor allem die Pop­mu­sik immer wie­der ein­mal geöff­net, einer der ers­ten war mög­li­cher­wei­se Sting, der mit dem Key­boar­der Ken­ny Kirk­land und dem Saxo­pho­nis­ten Bran­ford Mar­sa­lis sei­ne Solo-Kar­rie­re gestar­tet hat. Wenn ich mich recht erin­ne­re, war das Publi­kum beson­ders bei den Live-Auf­trit­ten Mit­te der 80er-Jah­re regel­recht scho­ckiert, wenn Ken­ny Kirk­land zu sei­nen halb­stün­di­gen Soli ange­setzt hat.

Nils Wül­ker: Echt? Es gibt ja das Live­al­bum »Bring on the Night«, das ist eine tota­le Stern­stun­de, sein Solo.

HHF: Viel­leicht waren die vie­len Poli­ce-Fans damals noch etwas über­for­dert mit die­ser aus­grei­fen­den Form. Wie hat sich der Weg des Jazz ent­wi­ckelt, ist der Jazz rei­cher gewor­den durch die­se Koope­ra­tio­nen oder kocht da jeder wie­der sei­ne eige­ne Sup­pe? Wie stark sind die Abgren­zun­gen zwi­schen den »Fusion«-Verfechtern und den Ver­tre­tern einer »rei­nen« Lehre?

Nils Wül­ker: Ich wür­de da gar nicht zwei Rich­tun­gen aus­ma­chen wol­len, son­dern sagen, dass die Viel­falt mit jedem Jahr zusätz­li­cher Geschich­te ein­fach wächst. Eben weil die­se Musik­rich­tung kon­ti­nu­ier­lich links und rechts schaut, nimmt auch die Anzahl der Ein­flüs­se zu, das führt zu mehr Viel­falt. Für mich ist das kei­ne Dis­kre­panz, dass unter dem Ober­be­griff »Jazz« so vie­le unter­schied­li­che Sachen segeln. So wie man jede Men­ge Epo­chen unter »Klas­sik« sam­melt, ist es ähn­lich mit dem Jazz – es ist inzwi­schen ein Über­be­griff für sehr, sehr unter­schied­li­che Musik. Das Pro­blem in der Kom­mu­ni­ka­ti­on von »Jazz« ist, dass Leu­te eine dif­fu­se Vor­stel­lung davon haben, was Jazz eigent­lich ist und den­ken, das sei eine homo­ge­ne Sache. Da gibt es doch die unter­schied­lichs­ten Asso­zia­tio­nen, ob die­se Sache dann Dixie­land ist, oder ande­re den­ken, es sei Free-Jazz, und wie­der ande­ren den­ken, es sei BeBop – ohne es viel­leicht sel­ber so benen­nen zu kön­nen. Die meis­ten Leu­te sind sich nicht bewusst, dass es die­se gro­ße Viel­falt gibt. Das ist dann vor allem eine Her­aus­for­de­rung in der Kom­mu­ni­ka­ti­on über den Jazz.

HHF: Betrach­tet man die erfolg­rei­chen Pro­jek­te der letz­ten Jah­re, so sind das eher Stil­for­men, die sich »wei­cher« prä­sen­tie­ren und der Pop­mu­sik geöff­net haben. Der leich­te­re Ton herrscht vor, man den­ke an Gre­go­ry Por­ter oder die Skan­di­na­vi­er aus der ACT-Schie­ne – wir wol­len da auch dei­nen sehr geschmei­di­gen Sound nicht ganz aus­neh­men. Es gab ande­re Zei­ten, die zupa­cken­de­re Sti­le pfleg­ten, der schon ange­spro­che­ne Bebop oder der bro­deln­de und wil­de Free- Jazz der 60er und 70er. War­um sind die smoot­hen Sounds gera­de heu­te so populär?

Nils Wül­ker: Das ist gar kein jazz­spe­zi­fi­schen Ding, son­dern ich glau­be, dass es Hör­ge­wohn­hei­ten sind. Ich setz mich ja auch nicht am Reiß­brett hin, son­dern ich habe auch eine sehr intui­ti­ven Zugang zum Musik-Machen. Mei­ne Emp­fin­dung war immer schon so, dass ich sehr melo­disch moti­viert war. Im Pop/​Rock ist es wahr­schein­lich auch ähn­lich. In Zei­ten von »Bit­ches Brew« (Miles Davis, Anm. d. Red.) klang auch ande­re Musik anders. Es gab ja auch son­nig-ver­spiel­te Sachen wie etwa Super­tramp zu der Zeit, lau­ter klei­ne Oden. Arvo Pärt klingt halt auch anders als Pierre Bou­lez. Ich glau­be, wahr­schein­lich ist es eine ganz­heit­li­che Wahr­neh­mung der Zeit, es gibt ja die­sen Mode­be­griff wie »Suche nach Ent­schleu­ni­gung«. Das ist eine Geschich­te, die man auch ganz musi­ka­lisch sehen kann. Im Pop geht das ja auch eher über »Sound«, Klang­ver­frem­dun­gen, Elek­tro­ni­sches, »Kan­te« pas­siert dann nicht über rohe Ener­gie, punk­mäs­sig, son­dern auf einer ande­ren Ebene.

HHF: Dann gibt es eine Zeit­wahr­neh­mung, die so etwas braucht, zurück­ge­nom­men aus der all­täg­li­chen Belas­tung her­aus­zu­kom­men? Ist das eine Art Weltflucht?

Nils Wül­ker: Ein Inter­pre­ta­ti­ons­ver­such: Ich erin­ne­re mich gera­de an ein Gespräch mit Peter Vetes­se (»Jet­h­ro Tull«), mit dem ich für das Album »Up« zusam­men­ge­ar­bei­tet, der mein­te: »Bei uns war’s so ein­fach – alles was wir gemacht haben, war neu«. Es war damals immer alles geschichts­los, und es war sehr leicht, aufzubrechen.

HHF: Und das ist heu­te ange­sichts der Viel­falt der Ein­drü­cke anders?

Nils Wül­ker: Es ist schon schwie­ri­ger. Das heisst nicht, dass nicht voll­stän­dig indi­vi­du­el­le und neue Din­ge pas­sie­ren kön­nen, aber es ist eine ande­re Zusam­men­set­zung. Es hat nicht mehr die offen­sicht­li­che Auf­bruchs­kraft, wie der Mensch, der als ers­ter sei­ne Gitar­re ver­zerrt oder der ers­te Syn­the­si­zer ein­ge­stöp­selt wird – so wie bei Jet­h­ro Tull, wo Peter damals auf ein­mal die Syn­thies rein­ge­bracht hat. Oder Hip­Hop, als der kam, das war etwas, das ganz neu war, oder wahr­schein­lich auch Tech­no. Ich hab mal ein Inter­view gele­sen über das Per­cus­sion-Instru­ment »Hang«, das ist so ein biss­chen klang­scha­len­mäs­sig, aber sehr tonal. Der, der das Instrun­ment spiel­te, mein­te, das Reiz­volls­te für ihn sei, dass das Instru­ment kei­ne Geschich­te hat – also das es kei­ne Vor­bil­der gibt und nichts, wor­an man gemes­sen wird. Ich glau­be, dass es zwi­schen den 60ern und 80ern einen Kom­plettauf­bruch gab, der heu­te wesent­lich schwe­rer fal­len wür­de, so dass man sich heu­te mehr sei­ne exter­nen Ein­flüs­se sucht.

HHF: War­ten wir auf einen neu­en Auf­bruch in der Musik?

Nils Wül­ker: Peter mein­te: »Ich benei­de euch nicht dar­um, wie es ist.« Ich emp­fin­de das nicht als Ein­schrän­kung. Natür­lich ist es ganz erf­tri­schend, wenn irgend­was kommt, was man sich jetzt nicht vor­stel­len kann. Aber das, was ver­meint­lich heu­te im Jazz »Avant­gar­de« genannt wird, ist ja auch kei­ne »Avant­gar­de« im Wort­sin­ne, wenn man sich über­legt dass Hard­Bop auch nur 10 Jah­re vor kom­plett frei­er Impro­vi­sa­ti­on statt­ge­fun­den hat. Das ist aber auch schon wie­der 50 Jah­re her, dann ist für mich frei zu spie­len auch nicht unbe­dingt avantgardistisch.

HHF: Es gibt Band­pro­jek­te im Jazz, die die Tra­di­tio­nen wie­der auf­neh­men, sie spie­len Stan­dards, also das »Gre­at Ame­ri­can Song­book« und bre­chen gleich­zei­tig mit den Tra­di­tio­nen. Ein Bei­spiel wäre das Flech­sen­har-Trio aus Ber­lin, das so viel­leicht aus der Tra­di­ti­ons­fal­le aus­bre­chen möch­te, die ande­re soge­nann­te »Retro«-Konzepte even­tu­ell haben …

Nils Wül­ker: Ja, die ken­ne ich auch. Ich emp­fin­de das gar nicht so sehr als Fal­le, wenn man authen­tisch sei­ne eige­ne Strö­mung dar­in fin­det. Das ist viel­leicht auch ein gutes Bei­spiel, so wie die halt zwei Din­ge ver­bin­den, das Ame­ri­can Song­book und die 40er Jah­re mit was Frei­em. Das sind auch zwei Din­ge, die es schon gab, und die fin­den ihre eige­ne Ver­bin­dung. Man ist auf eine Art sehr frei dar­in, sich sei­ne Ein­flüs­se zu suchen – nicht so wie frü­her, wenn es hieß, du musst es frei spie­len, oder du durf­test nicht frei spielen.

HHF: Könn­te man sagen, das Dog­ma­ti­sche ist weg?

Nils Wül­ker: Genau, das ist kom­plett weg. Man kann auch musi­ka­lisch nicht mehr scho­cken. Auf text­li­cher Ebe­ne geht das sicher noch, aber musi­ka­lisch, rein mit klang­li­cher Här­te, ist alles aus­ge­reizt. Man wird jetzt auch nicht wil­der wer­den als Peter Brötz­mann. Es wur­de schon sehr viel bedient, und jetzt ist es ein frei­es Feld, auf dem man sich undog­ma­tisch bewe­gen kann.

HHF: Auf dem aktu­el­len Album spielst du mit Musi­kern, die teil­wei­se aus dem Pop-Gen­re kom­men, man­che davon sind rela­tiv pro­mi­nent, wie Xavier Naidoo oder die mehr­fa­che Gram­my-Gewin­ne­rin Jill Scott – hat­ten die Lust auf Jazz?

Nils Wül­ker: Das hat schon ein wenig Neu­gier­de von deren Sei­te erfor­dert, weil das nicht deren Feld ist. Das waren alles Leu­te, die ger­ne etwas aus­pro­bie­ren woll­ten. Und mit allen war es sehr ein­fach. Mit Max Mutz­ke zum Bei­spiel war das auch so. Er war der ein­zi­ge, den ich vor­her schon kann­te, wir haben schon ein­mal zusam­men gespielt. Wir sind musi­ka­lisch sehr seelenverwandt.

HHF: Wie waren die Aus­wahl­kri­te­ri­en für dich, war­um mit genau die­sen Leuten?

Nils Wül­ker: Ich hab ja jah­re­lang die Din­ge etwas eigen­bröt­le­risch betrie­ben, und hat­te bei dem Album mal Lust, für mich den Pro­zess zu öff­nen. Und dann war es ein­fach wirk­lich so, dass ich Leu­te, die ich als Sän­ger schät­ze, gesucht habe, und dann ein­fach ins Blaue gefragt habe: »Hast du Lust, das mal aus­zu­pro­bie­ren«?« Und dann woll­te ich auch gar nicht im Vor­feld die Situa­ti­on über­hö­hen, ich woll­te für mich ergeb­nis­of­fen in jede Begeg­nung gehen, und sehen, wo es hin geht. Es ist ja nur Musik, und das Schlimms­te, was pas­sie­ren kann, ist, das man sich am Ende eines Tage in die Augen schaut und sagt »War nix.«

HHF: Was hat dich an Naidoo gereizt? Die Verspieltheit?

Nils Wül­ker: Die Stim­me. Das Klangfarbliche.

HHF: Naidoo ist ja auch ein Sän­ger, der tech­ni­sche Vir­tuo­si­tät und Modu­la­ti­on sehr in den Vor­der­grund stel­len kann, was ja durch­aus etwas Artis­ti­sches hat. Wie wich­tig ist die Tech­nik für dich? Wie wich­tig ist das Instrument?

Nils Wül­ker: Das Instru­ment an sich ist nicht so ent­schei­dend. Klar, es muss funk­tio­nie­ren, es muss zu mir pas­sen, aber gene­rell ist es so, dass das Instru­ment bei einem Blech­blä­ser eine etwas gerin­ge­re Rol­le spielt. Jedes Instru­ment besteht aus einem Klang-Gene­ra­tor und einem Reso­na­tor. Die Gene­ra­tor­funk­ti­on über­nimmt bei den meis­ten Instru­men­ten ein Bau­teil des Instru­ments, und bei Blech­blä­sern sind’s halt die Lip­pen. Das Instru­ment ist nur Reso­na­tor, das heißt, es ist ohne­hin mehr im Men­schen ver­an­kert. Sound, so wür­de ich sagen, steht für mich an ers­ter Stel­le. Das war das Ers­te was mich fas­zi­niert hat, als ich das ers­te Mal Miles Davis gehört habe. Ich war kom­plett unbe­leckt, was Jazz betraf, da hat mir jemand die »Kind of Blue« vor­ge­spielt. Die Inten­si­tät, die in einem Ton lie­gen kann, das war es.

HHF: Wenn man Miles Davis live erlebt hat, hat man immer gese­hen, wie er sei­nen Sound auch räum­lich und kör­per­lich gesucht hat. Das Abwen­den vom Publi­kum, die gebück­te Hal­tung, um einen Ton an einer spe­zi­fi­schen Stel­le zu fin­den – wie ent­schei­dend ist die Kör­per­lich­keit des Spiels für dich?

Nils Wül­ker: Der Motor ist die Atmung, des­we­gen kommt viel aus dem Bauch, Zwerch­fell­at­mung, Brust­raum, aber letzt­end­lich ist es der gan­ze Kör­per, der mit­schwingt, reso­niert. Trom­pe­te zu spie­len, ist auch dadurch, dass man so viel atmet, ein sehr kör­per­li­ches Gefühl. Aber trotz­dem, im Ide­al­fall, wenn alles läuft, fühlt sich das Instru­ment wie eine Erwei­te­rung des Kör­pers an. Das ist dann nicht mehr so, als bedie­ne ich ein Gerät, son­dern ist es dann so, dass man ver­gißt, was man in der Hand hat. Für das Jazz­ar­ti­ge, das Impro­vi­sie­ren, das Reagie­ren, braucht man auch die­ses Unmit­tel­ba­re. Die Trom­pe­te ist dann manch­mal ein etwas undank­ba­res Instru­ment, man muss viel für es tun. Man bekommt auch immer wie­der vom Instru­ment vor­ge­führt, wo die Unzu­läng­lich­kei­ten sind – dann »bedient« man das Instru­ment wie­der mehr, aber im Ide­al­fall ist es so, dass man auf der Büh­ne steht und das das nur noch ein kör­per­li­cher Akt ist.

HHF: Die Trom­pe­te war auch immer ein Show­in­stru­ment, man den­ke an die gros­sen Namen wie Har­ry James, Satch­mo, Miles Davis, auch der Kol­le­ge Brön­ner stellt das Enter­tain­ment sehr in den Vor­der­grund. Du stehst für einen zurück­ge­nom­me­nen Stil, wie erklärt sich das?

Nils Wülker
Nils Wül­ker spielt mit sei­ner Band am 25. Mai im Ham­bur­ger Mojo-Club und am 13. Juli in Tim­men­dor­fer Strand im Rah­men des Schles­wig-Hol­stein Musik Fes­ti­vals. (Bild: Ste­fan Albrecht/​HHF)

Nils Wül­ker: Das ist eine Typfra­ge. Miles war als Per­son sehr exal­tiert, musi­ka­lisch war das ja eher nicht so.

HHF: Und Diz­zy Gillespie?

Nils Wül­ker: Anders. Diz­zy war auch so ein Aus­bund an Lebens­freu­de. Für mich ist das zum Bei­spiel immer so: Wenn ich Diz­zy höre, muss ich grin­sen. Das klingt nach tota­ler Freu­de. Es gibt Momen­te, wo ich sehr vir­tu­os spie­le und sehr ener­ge­tisch, das ist aber vor allem von der Musik vorgegeben.

Sol­che Momen­te gibt es live, vor einer Woche hab ich mit EST Sym­pho­ny und Iiro Ran­ta­la gespielt, da gibt es Situa­tio­nen, wo man auch mal rich­tig »abdrückt«. Das ist für mich kon­text­ab­hän­gig, es muss sich aus der Musik her­aus erge­ben. Das Strah­len­de an der Trom­pe­te, das war für mich als Kind eindrucksvoll.

Was das Instru­ment für mich aus­macht, ist, dass man klang­lich eine extrem gro­ße Band­brei­te hat. Du kannst halt die­ses strah­len­de Heroi­sche und auch das Vir­tuo­se machen, das Los­rot­zen, aber man kann auch sehr zer­brech­lich, deli­kat und weich klin­gen. Das ist das, was für mich Trom­pe­te ausmacht.

HHF: Vor­bil­der – wenn du aus drei gro­ßen Trom­pe­tern aus­wäh­len dürf­test: Diz­zy Gil­le­spie, Miles Davis oder Chet Baker?

Nils Wül­ker: Chet wird eher häu­fi­ger bei mir asso­zi­iert, da ist ja auch nix ver­kehrt dran. Ich hab ihn nie viel gehört, ich hab mit Abstand am meis­ten Miles gehört, nicht so viel die alten Meis­ter. Was mich so rich­tig ange­spro­chen hat, ging am ehes­ten bei Diz­zy und Miles los. Ich hab dann viel Fred­die Hub­bard und Woo­dy Shaw und die Typen gehört, ein­fach wahn­sinng viel geübt und Soli raus­ge­hört. Ich dach­te auch immer, ich will so Fred­die-Hub­bard-mäßig »abdrü­cken«, und auch noch wäh­rend des Stu­di­ums sehr viel die Rich­tung probiert.

Aber ich habe gemerkt, wenn ich nicht dar­über nach­den­ke, was ich spie­len möch­te, son­dern die Din­ge pas­sie­ren las­se, dann kommt eben nicht Fred­die dabei rum, son­dern das Lyri­sche. Und wenn es vir­tu­os wird, live in der Zusam­men­ar­beit mit der Band und über gro­ße Bögen hin­weg, dann kommt es vor, dass es ener­ge­tisch wird.

HHF: Inwie­weit lässt du dich von ande­ren Berei­chen der Kul­tur beein­flus­sen? Eines der Stü­cke auf der Plat­te heisst »Kel­vin­g­ro­ve«, ein berühm­tes Muse­um in Glas­gow, dein Part­ner bei die­sem Song war der erfolg­rei­che Film­kom­po­nist Craig Arm­strong, der den Sound­track für Baz Luhr­manns Romeo und Julia kom­po­niert hat. Das letz­te Album des bel­gi­schen Musi­kers Ozark Hen­ry, mit dem du auch zusam­men gear­bei­tet hast, heisst »Para­mount«, auch so eine Film­asso­zia­ti­on. In Inter­views mit dir taucht der Begriff »Kopf­ki­no« auf, also eine Form der bild­li­chen Ima­gi­na­ti­on. Man könn­te mei­nen, dass es eine beson­de­re Affi­ni­tät zu die­sem The­ma bei dir gibt?

Nils Wül­ker: Ja. Ich mag Fil­me sehr, ich bin sel­ber jemand, der sehr asso­zia­tiv reagiert, auch als Hörer. Mir ist Atmo­sphä­re sehr wich­tig und ich glau­be, das gene­riert die Musik, die für vie­le Leu­te bild­lich ist. Es ist nicht so, dass ich mir das vor­neh­me, son­dern das ent­steht durch die Art, wie ich ticke, und dass ich aus Stim­mun­gen her­aus Musik mache. Dadurch wirkt es bildlich .

Was man viel mit Film asso­zi­iert, ist so etwas wie »Stim­mungs­dra­ma­tur­gie«. Das ist etwas, was ich an Musik sehr schät­ze, sowohl als Musi­zie­ren­der, als auch als Hörer. Das muss ich mir aber nicht vor­neh­men, es ist ein­fach mei­ne Art des Musik­ma­chens. Es ist tat­säch­lich so, dass ich das sehr schön fin­de, wenn Leu­te asso­zia­tiv auf Musik reagie­ren. So sehr ich auch »Songs« lie­be, ist es eine hohe Qua­li­tät von instru­men­ta­ler Musik, dass sie so viel Inter­pre­ta­ti­ons- und Asso­zia­ti­ons­raum lässt, weil man nicht über die text­li­che Ebe­ne eine Rich­tung vorgibt.

HHF: Wie wich­tig sind denn Tex­te für dich? Du hast dich ein­mal als »Singer/​Songwriter« bezeichnet.

Nils Wül­ker: Für mich ist das Musikschrei­ben ver­wo­ben mit dem Musikspie­len. So wie ein Singer/​Songwriter für sich die Stü­cke schreibt, habe auch ich das Gefühl, dass die Art, wie ich spie­le, die Art, wie ich schrei­be, beein­flusst, und anders­her­um. Wohin­ge­gen sich vie­le Jazz­mu­si­ker in ers­ter Linie als Inter­pret gese­hen haben, was nicht heißt, dass sie nicht schrei­ben konn­ten. Aber es ist die Basis, um dar­auf als Spie­ler glän­zen zu kön­nen, für mich hat bei­des den glei­chen Stel­len­wert und ist eng mit­ein­an­der ver­wo­ben. Inso­fern füh­le ich mich der Denk­wei­se eines Sin­ger/­Song­wri­ter-Kon­zepts nah. Musik­schrei­ben ist für mich ein direk­ter, intui­ti­ver Pro­zeß, beim Tex­ten bin ich dar­auf ange­wie­sen, das mit jeman­dem zusam­men zu machen.

HHF: Eines der Stü­cke auf dem Album, dass du zusam­men mit Ozark Hen­ry spielst, heisst »Kaf­ka on the Shore«, nach einem Roman von Haru­ki Mura­ka­mi. Da klingt schon eine gewich­ti­ge Asso­zia­ti­ons­ket­te an, von Des­car­tes wird da gespro­chen und von Spi­no­za. Wie sind da die Antei­le ver­teilt zwi­schen Ozark Hen­ry und dir bei so einer Komposition?

Nils Wül­ker: Das war text­lich sei­ne Idee. Es heißt: Nur weil du dich mit einem Stoff befasst hast, macht dich das nicht zum Phi­lo­so­phen, rich­tet sich also ein biss­chen humo­rig gegen »Dünn­brett­boh­rer«. Mit dem Gedan­ken kann ich was anfan­gen. Es war so, dass wir an dem Text zusam­men saßen, und er kam dann am nächs­ten Tag zurück und sag­te, ich hat­te ges­tern den tota­len Fluß, was hälst du davon? Ich konn­te mich damit anfreun­den. Und dann ist es für mich auch gut, es ist Teil des ergeb­nis­of­fe­nen Rein­fin­dens. Wenn man was zusam­men macht, muss Raum für zwei Indi­vi­du­en bleiben.

HHF: »Play that Flue­gel­horn« heißt es dann wei­ter in die­sem Song – in die­sem Sin­ne: Wir dan­ken für das Gespräch!

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