Wer bin ich und wie viele?

Fabian Hinrichs neuer Soloabend »Ich. Welt. Wir. Es zischeln 1000 Fragen« am Schauspielhaus Hamburg

Foto: Kerstin Schomburg
Sind wir nicht alle ein bißchen Yoga? (Foto: DSH/Kerstin Schom­burg)

Vor einem Prospekt mit Plan­eten, Strudeln und ein­er Art göt­tlichem Auge sitzt Hin­richs in langer Unter­wäsche auf dem Boden und malt oder notiert auf sel­bigem. Er hat sich Ver­stärkung geholt, einen jun­gen Kerl mit Sitar, dem man einen Bart angek­lebt und ein propheten­haft anmu­ten­des Gewand ange­zo­gen hat. Während das Pub­likum seine Plätze ein­nimmt, ruft es in unverkennbar­er Hin­rich-Manier vom Band “Hal­lo? Kommt rein! Hal­lo!!! Kommt rein!”.

Man merkt gle­ich, hier geht es um die Suche nach Tran­szen­denz, diesen ver­dammten und viel zitierten Sinn des Lebens.  Spätestens, wenn alle sitzen und Hin­richs auf­ste­ht, einen riesen­haften Tur­ban auf­set­zt und man erken­nt, dass es sich bei der lan­gen Unter­wäsche vielle­icht doch eher um eine Art Yogage­wand han­delt. Mys­tis­ch­er Nebel steigt auf, und sein erster Satz ist “Ich habe eine Seele, ja.” Der Nebel kriecht hin­unter in die ersten Rei­hen, und Hin­richs bekommt seinen ersten Lach­er bei “Ich ste­he hier um 20.38 Uhr auf der Bühne des Thalia The­aters (!). Ich bin auf mich gestoßen. Aber ich habe mich doch gar nicht gesucht.”

Der Abend lebt von den Brüchen, die Hin­richs entwed­er selb­st set­zt oder die Musik. In diesem Fall “Con­nect­ed” von STEREO MCs; passt textlich per­fekt und lässt die Kinder der 90er-Jahre schmun­zeln. Hin­richs nutzt die Zeit, Blüten aus ein­er Klangschale am vorderen Büh­nen­rand ins Pub­likum zu wer­fen.  Auf Bruch fol­gt Bruch. Helles Licht im Saal, auch im Zuschauer­raum. “Guten Abend. Ich bin Karin Beier. Ich habe einen Spruch von Rumi mit­ge­bracht.” Das alles klingt ein biss­chen ver­rückt. Und das ist es auch.

Fest ste­ht, die bei­den Mach­er des Abends Fabi­an Hin­richs und Jür­gen Lehmann haben ihre Hausauf­gaben gemacht. Sie haben sich durch eine Menge Lit­er­atur zum The­ma gele­sen. An den Büh­nen­rän­dern vor den Logen dür­fen die gedanklichen Pat­en als Papp­fig­uren ste­hen – von Hilde­gard von Bin­gen über Mor­ris­sey, den ehe­ma­li­gen Lead­sänger der 80er-Jahre-Band “The Smiths”, bis hin zu Gustaf Gründ­gens als Mephis­to. Den spricht er später in sein­er ganz per­sön­lichen Schaus­piel­haus-Loge auch an, nicht ohne auf seine viel disku­tierte Verbindung zum Regime des Drit­ten Reich­es hinzuweisen.

“Das strenge Herz, es füllt sich mild und weich”, wird Faust zitiert und dann: “DAS waren noch Texte! DAS waren noch Stücke! DAS war noch The­ater!”. Diese Form von Selb­stironie ist es, die Hin­richs so rasend sym­pa­thisch macht. Ein­er, der bei sämtlichen Dichtern und Denkern klaut, das Ganze geschickt verquirlt, vor einem Prospekt mit Gottes- auge deklamiert und Fax­en macht – und sich gern mal selb­st demon­tiert: Das ist so schräg, dass man es irgend­wie mögen muss.

Ger­ade weil man bei der Dichte an Infor­ma­tion manch­mal nur zum Teil ver­ste­ht und sich kopf­schüt­tel­nd fragt, aus welchem Werk er diesen Gedanken gefis­cht haben mag, trifft das einen Nerv unser­er Zeit: näm­lich den, sich aus sämtlichen Kul­turen das zu pick­en, das uns bei unser­er ganz per­sön­lichen Sinnsuche behil­flich ist.

“Innen­raum. Innen ist Raum. Das, was uns ver­lassen hat. Das Geheim­nis hin­ter den Din­gen.” spricht Hin­richs mit mys­tis­chem Hall durchs Mikro­fon. “Es gibt eine totale Innen­rau­mentleerung.” Und dann ste­ht er auf der Büh­nen­mitte, reckt die Arme in das tran­szen­dente Licht von oben und schre­it sehn­suchtsvoll “Komm!” und “Ich schaue ins Licht dein­er Gnade”.

Doch den Gefall­en tut man ihm nicht, das Licht geht aus, Hin­richs hüllt sich in ein Boden­tuch und stellt resig­niert fest: “Ich hätte auch gerne jeman­den, der in mir ein Zelt auf­schlägt und in mir wohnt und mich nicht alleine lässt.” Aber woher kommt er, der Sinn? Aus der Philoso­phie? Der Dich­tung? Dem Glauben?  Wohl nicht über die Ratio, denn Hin­richs kapit­uliert. “Wir haben uns tot gedacht.” Ab jet­zt wird geglaubt.

“Ich bin ich. Ich – du. Ich bin nicht du. Ich bin ich, und das ist böse. Und jet­zt alle!” Das Pub­likum sitzt kon­stern­iert, und kein­er macht mit. Hin­richs tut ein biss­chen belei­digt: “Ihr habt nicht mit­gemacht! Wir sind keine Gemeinde. Wir haben keine Kirche mehr. Das weiß ich, weil ihr nicht mit­gemacht habt.” Aus dem Rang brüllt ein­er “Doch! Ich!”, aber das passt nicht ins Konzept. Denn Hin­richs will einen Chor grün­den. Nicht irgen­deinen, son­dern einen “Chor der Pan­the­is­ten”. Orgelk­länge. “Lasst uns heute Abend einen unsicht­baren Orden von Aris­tokrat­en grün­den!” Gelächter, Kopf­schüt­teln, totales Absur­dis­tan. Hin­richs muss selb­st ein biss­chen lachen. “Wüste, Kloster, Trance, LSD, die Gärten des Epikur, ist doch egal, es ist alles bess­er als das da.”

Am Ende bleibt der Sitar­spiel­er am vorderen Büh­nen­rand. Er wird den Propheten Hin­richs im haut­en­gen Kör­per­anzug bei sein­er Predigt begleit­en. “Erhebt euch! Jet­zt seid EINMAL eine Gemeinde.” Die Rezensentin lacht. Und schreibt. “Stehst Du jet­zt bitte auf!” ruft Hin­richs ein biss­chen unwillig. Na gut. Dann wer­den wir eben eine Gemeinde heute Abend. Alle grin­sen. Einige schüt­teln den Kopf. Der Abend ist zu Ende. Die Leute aus der ersten Rei­he wer­fen die Blu­men aus der Klangschale zurück auf die Bühne. Wie macht der das bloß? Man möchte es zu gerne wis­sen. Beim Barte des Propheten!

 

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