Wir sind noch auf Erden, nicht im Himmel

Così fan tutte in Lübeck. So machen es nicht alle.

Randgänger (Bild: Oliver Fantitsch)

Das Stück ist blanker Hum­bug. Loren­zo da Pontes von Wolf­gang Amadeus Mozart ver­tonte Dram­ma gio­cosa “Così fan tutte” wider­set­zt sich jeglich­er Logik, selb­st mit der Anwe­sen­heit des soge­nan­nten Zeit­geschmacks ändert sich daran nichts. Zwei Paare der guten Gesellschaft, ein Zer­e­monien­meis­ter, eine Wette über die Treue der bei­den Damen und ein ziem­lich däm­lich­es Verklei­dungsspiel mit dem vorherse­hbaren Hap­py End­ing; nach Ver­wirrung, Herzeleid und Auflö­sung ver­langt es bei Auf­führun­gen dieses Werkes immer nach der Sinnsuche.

Lange hat man sich auf die Musik konzen­tri­ert und den Text “nach der ital­ienis­chen Buf­fo­manier” als wahrhaftig mit­laufen lassen, mod­ernere Inter­pre­ta­tio­nen suchen freilich nach den “Brüchen” des Stoffes und neigen zur Umdeu­tung. Dabei wird ger­ade in der Absur­dität der Hand­lung eine entschei­dende Facette dieses Textes deut­lich, die kom­plette Kün­stlichkeit des Auf­baus und der dra­matur­gis­chen Struk­tur. Solche Gedanken­spiele und The­o­reme waren in ein­er Zeit, die dem Ver­stand huldigte, eine beliebte Form des aus­ge­hen­den 18. Jahrhun­derts, man find­et sie beim Fran­zosen Mari­vaux eben­so wie beim Ital­iener da Ponte. Zugle­ich aber spin­nt dieser Opern­text den Gedanken jedoch noch weit­er, ent­fer­nt sich von seinem the­o­retis­chen Über­bau und der Kat­e­gorie “Exper­i­ment” – er ver­weist unnachgiebig und deut­lich auf die Pose, auf die Kon­ven­tion, auf die Außer­weltlichkeit sein­er Erzäh­lung. Nichts ist ihm fern­er als die Verk­lärung eines roman­tis­chen Gefühls, noch die der moralis­chen Über­höhung, die zum “Hap­py End­ing” führen soll, die ihm allzu oft angedichtet wurde.

San­dra Leupolds Lübeck­er Insze­nierung hat sich für eine behut­same Dekon­struk­tion der Spiel­pa­ra­me­ter entsch­ieden. Nicht die Her­ausstel­lung des the­atralis­chen Moments ste­ht zunächst im Vorder­grund, die Syn­thetik des Werkes ent­fal­tet sich erst allmäh­lich und im Detail. Die Bühne ist ein leer­er Raum, bis hin zur Brand­mauer, rechts wie links von Schwein­wer­fer­bat­te­rien gesäumt, die immer wieder ein­mal helles Licht in die Szene wer­fen. Im englis­chen Sprachraum wird der Begriff “Enlight­en­ment” für die Epoche der Aufk­lärung ver­wandt. Erst spät wird klar, dass es sich bei diesem schwarzen Büh­nenkas­ten um eine Kon­struk­tion han­delt, die ver­meintliche Brand­mauer ist ein großer, bemal­ter Rück­en­prospekt, ein gekon­ntes Trompe-l’œil der am Lübeck­er Haus ohne­hin über­durch­schnit­tlichen Büh­nen­maler (Bühne: Ste­fan Hein­richs). Das Per­son­al ist his­torisch gewan­det, die Her­ren in weißer Uni­form – denn man vergesse nicht, dass Mozart Öster­re­ich­er war – die Damen in der Parure, der “kleinen” Hofk­lei­dung des Rokoko, mit dem seitlich aus­gestell­ten Reifrock. Selt­sam unför­mig wirken damit die eigentlich jugendlichen Geschwis­ter Fiordili­gi und Dora­bel­la, gehar­nischt in Korsett und Überge­wand, beina­he matro­nen­haft. Im weit­eren Ver­lauf des Abends wird sich zeigen, warum das so sein muss.

So gar nicht matro­nen­haft ist der musikalis­che Ansatz. Schon in der Ouvertüre zeich­net sich ab, mit welchen Effek­ten Mozart han­delt, der Diri­gent Felix Krieger lässt sich darauf ein. Wo “presto” drauf­ste­ht, näm­lich in der Par­ti­tur, wird auch “presto” genom­men, und so gar nicht ver­schlud­ert kommt das Lübeck­er Orch­ester daher. Sauber und nuan­cen­re­ich, mit schö­nen Bläsern und präzisen Stre­ich­ern, nichts wird ver­haspelt oder unter den Tisch gekehrt, so biegsam fed­ernd hat man diesen Klangkör­p­er trotz all sein­er Erfolge länger nicht gehört.

Das Tem­po kehrt sich auf Bühne bemerkenswert um. Teil­weise, müsste man sagen, denn all das, was geschieht, find­et auch in der gebote­nen Dynamik statt. Jedoch jenes, was nicht geschieht, die Auf- und Abtritte sind kom­plett aus der wahrgenomme­nen Zeit gefall­en. In größt­möglich­er Ver­langsamung find­en sie statt, immer am Rand der Bühne, das bet­rifft auch und vor allem den Chor, dessen Erscheinen mitunter ganze Szenen dauert, bis seine Mit­glieder an ihren genau fest­geschriebe­nen Posi­tio­nen sind.

Einen star­ren Block, mehrrei­hig, bilden sie im hin­teren recht­en Büh­nen­raum, jed­er Sänger tritt, sobald er sich aus sein­er schle­ichen­den Rand­po­si­tion gelöst hat, in selt­samer Ver­hal­tung an seinen Platz, es ist die Geste des pein­lich zu spät gekomme­nen, trip­pel­nd, frontal, kon­trol­lierend. Kaum hat sich die For­ma­tion gebildet, entwe­ichen die ersten wieder, auf die selbe Weise, erneut frontal, vor­sichtig rück­wärts gehend, um sich wieder dem schle­ichen­den Rundgang am Rande der Bühne anzuschließen. Und so erscheint der Spiel­raum auf der zen­tralen, in dem sich die Paare und ihr Anleit­er tum­meln, als eine Art ver­boten­er Raum, den zu betreten es beson­der­er Rit­uale bedarf. Das bet­rifft nicht nur den Chor, son­dern auch die auftre­tenden Solis­ten, auch sie fall­en mitunter förm­lich hinein in den Ort, an dem sie agieren.

Der Nucle­us der Insze­nierung bildet sich demzu­folge und ger­adezu beze­ich­nen­der­weise am deut­lich­sten in ihrer geplanten Abwe­sen­heit ab: Das Ende der Pause wurde ein­geläutet, das Pub­likum murmelt sich zu seinen Plätzen, das Orch­ester stimmt seine Instru­mente, die Aufmerk­samkeit ist beim Pro­grammheft oder beim Gespräch mit den Nach­barn, auch das Saal­licht ist noch eingeschal­tet. Doch das Stück hat bere­its begonnen. Wieder am äußer­sten Rand der Bühne erscheint es, das Fig­uren­quar­tett dieses Ver­suchauf­baus, erneut schle­ichend, rotierend und sich langsam und sich vor­sichtig voran tas­tend. Wed­er Bühne noch Zuschauer sind bere­it für die Fort­set­zung des Spiels, der Raum dafür darf anscheinend noch nicht betreten wer­den.

So deut­lich wie hier wird die Tren­nung zwis­chen Innen- und Außen­welt nie an diesem Abend, es sind nicht nur räum­liche, son­dern auch zeitliche Tren­nun­gen, die die syn­thetis­che Kon­struk­tion der Hand­lung in den Vorder­grund stellen – außen das ver­langsamte Jet­zt, innen das schnelle Spiel. Verkehrte man dieses Kon­strukt, gliche man die Langsamkeit der Rand­ständi­gen an die Realzeit an, welche über­men­schliche Geschwindigkeit müsste dann das Wech­sel­spiel der Paare erre­ichen? Kaum vorstell­bar.

Obwohl in da Pontes Libret­to die Män­ner für die Impulse ste­hen und die Hand­lung bes­tim­men wollen, ste­hen die Frauen im Mit­telpunkt. Der starke Johan Hyun­bong Choi (Gugliel­mo), der schön sin­gende Daniel Jenz (Fer­ran­do) und der elo­quent auf­spie­lende Stef­fen Kul­bach (Don Alfon­so) machen ihre Sache natür­lich exzel­lent. Aber es hat das Lübeck­er Haus, wie so oft schon, Glück mit seinen außergewöhn­lich starken, jun­gen Sän­gerin­nen. Denn mit dem südafrikanis­chen Gast Eri­ca Eloff als Fiordili­gi, der in all dem angelegten Char­gen­spiel rühren­den Andrea Stadel als Despina und dem immer wieder aufs Neue über­raschen­den Lübeck­er Eigengewächs Wio­let­ta Hebrows­ka (Dora­bel­la) muss sich dieser Abend vor nichts und nie­man­dem fürcht­en. Das liegt nicht so sehr an der Ver­gle­ich­barkeit mit etwaigen ikonis­chen Konkur­rentin­nen in der Musikgeschichte, son­dern vor allem an der Herange­hensweise von Insze­nierung und musikalis­ch­er Leitung, die bei­de auf das Aller­schön­ste her­aus­fordert.

Denn, hört man ein­mal hinein in eine der Leg­en­de­nauf­nahme dieser Oper, wird einem klar, wie mod­ern diese jun­gen Sän­gerin­nen agieren. Am näch­sten in Tem­poschärfe und Attitüde kommt dem Lübeck­er Diri­gat von Felix Krieger vielle­icht Giuseppe Can­tel­lis Liveauf­nahme aus dem Jahre 1956. Da tum­meln sich die Super­stars jen­er Zeit, vielle­icht sog­ar ein­er ganzen Epoche der Operngeschichte: Elis­a­beth Schwarzkopf und Nan Mer­ri­man. Bei­de, vor allem aber die deutsche Asso­lu­ta der Nachkriegszeit, rück­en dem Mate­r­i­al mit jen­er Abso­lutheit zu Leibe, die sich auf den ersten Blick anbi­etet, in vol­lkommen­er Bere­itschaft zu Vir­tu­osität und direk­ter Phrasierung. “Come scoglio”, die Arie zum stand­haften Beken­nt­nis der Fiordili­gi ist da ein gutes Beispiel. Più Alle­gro, noch schneller  heisst es da im Schlussteil, und das wird von Elis­a­beth Schwarzkopf voll aus­gekostet, ein wahres Furioso der Unnachgiebigkeit bere­it­et, der reine “Text”, das “E una bar­bara sper­an­za non vi ren­da audaci ancor! ” (etwa: “Es soll nicht eine bar­barische Hoff­nung euch wieder ver­we­gen machen!”) direkt in die Welt geschmettert.

Bei aller Ehrfurcht vor solchen Jahrhun­dert­stim­men der Musikgeschichte – um wie vieles fein­er ist der musikalisch-inter­pre­ta­torische Ansatz in der heuti­gen Zeit? Einge­denk des Wis­sens um die fehlende Gültigkeit des Moments, die Pose und Fragilität der Posi­tion der Fig­ur hat sich dieser Furor vol­lkom­men über­holt. Kein heftiges Acceleran­do ist mehr notwendig, keine Behaup­tung mehr sich­er. So gehen denn sowohl Eri­ca Eloff als auch Wio­let­ta Hebrows­ka in dieser Insze­nierung weitaus behut­samer an die mozartschen Vor­gaben her­an, lassen dadurch Raum für den imma­nen­ten Zweifel, an der Sit­u­a­tion, am Stück und auch an der Musik. Wenn denn der Zweifel am Geset­zten eine Errun­gen­schaft der Mod­erne ist, so ist er hier auf Äußer­ste verkör­pert. Es ist ein Stück der Aufk­lärung.

So gebärdet sich denn auch das Spiel der Sän­gerin­nen in Lübeck. Die ein­gangs so rüs­tung­shafte Verklei­dung, die einen arglosen Betra­chter in die Irre führen kön­nte ob ihrer His­tor­iz­ität, schwindet im Laufe des Abends immer mehr. Natür­lich ist es die zuerst dem alber­nen Ränke­spiel der Män­ner fol­gende Fig­ur der Dora­bel­la, die sich zuerst die höfis­che Fas­sung ver­liert, die Schuhe schwinden, Ein­steck­ärmel fall­en zu Boden, ein Schoßjäckchen ver­schwindet. Ein Bild der fortschre­i­t­en­den Auflö­sung, der sich auch die ver­meintlich stand­hafte Fiordili­gi nicht entziehen kann. Bis zum Ende, denn hier kann sich nie­mand in der Innen­welt der Bühne, jen­er the­atralen Blase, an deren Rand sich alle ent­lang hangeln, entziehen. Hier wird die Dekon­struk­tion vol­lkom­men, die Form, so wird gezeigt, ist vol­lends ver­loren, außer sein­er Wäsche trägt kein­er mehr etwas am Leib.

Der Schluss ist da, die Men­schen beina­he nackt. In diesem starken, wen­ngle­ich nicht über­raschen­den, Topos liegt eine Form der Kon­se­quenz, die in die Irre führen kann, sie sug­geriert die Wahrhaftigkeit der Szene, die Läuterung, den einge­forderten Bruch. Hier kappt Leupold nun auch das Finale bis hin zu einem ver­siegen­den Decrescen­do, das Licht fährt herunter, fol­gerichtig zwar inner­halb des kun­stvollen Gebildes ihrer Insze­nierung. Trotz­dem ist das, vielle­icht als einziges an diesem Abend, wirk­lich schade, ste­ht doch in Mozarts tri­um­phieren­den Tut­ti-Abschluss noch so viel mehr des Zweifels an der ganzen Sache geschrieben als uns dieser Fade-Out vor­spiegelt. Im bekan­nten Brahmss­chen Volk­slied heißt es: “Und a bis­se­le Falschheit is auch wohl dabei!” Das ist für­wahr unter­trieben.

1 Kommentar

  1. Die anspruchsvolle Besprechung spiegelt den außergewöhn­lichen Anspruch der Lübeck­er Cosi fan tutte — Auf­führung. So kann The­ater geistig pro­duk­tiv wer­den — eine Ehrung für das Lübeck­er Haus! Dank an bei­de: das LÜbeck­er Opernereig­nis und den Rezensen­ten.

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