Eigentlich sollte es ja schon langsam Frühling werden, doch mitten im März meldete sich der Winter noch einmal gewaltig zurück und ließ weiße Flocken vom norddeutschen Himmel herunterrieseln. Einem kleinen Städtchen wie Stade steht diese weiße Pracht aber sehr gut zu Gesicht, sie und lässt die pittoreske Altstadt zu einem kleinen Wintertraum werden. “Warum sollte ich nun auf die Idee kommen an einem Samstagabend nach Stade zu fahren, da ist doch nichts los”, wird sich der verwöhnte Hamburger fragen.
Ja, in Stade werden die Bürgersteige schon um 18 Uhr hochgeklappt aber dann, wenn es langsam dunkel wird, entfaltet sich erst der wahre Charme dieses kleinen Städtchens. In den verwinkelten Gassen verstecken sich in alten Gemäuern wunderschöne Spielorte für Konzerte und sie sind alle nur einen kurzen Fußweg voneinander entfernt. Der eher gestresste Großstädter, der sich gerade noch durch Menschenmassen am Hamburger Hauptbahnhof gekämpft hat, steigt nach 45 Minuten Fahrt durch die verschneite Landschaft aus dem Zug und befindet sich mitten in diesem weißen Idyll. Und wenn es noch nicht auf der Fahrt geschehen ist, so schaltet er spätestens da schon einen Gang runter.
Und all das – na ja, bis auf die Sache mit dem Schnee – scheinen auch die Damen und Herren vom Tapete-Label zu wissen und zu ihrem Vorteil zu nutzen, denn sie riefen bereits zum zweiten Mal zum Hanse Song Festival in Stade. Dabei trugen sie auch dieses Mal wieder ein kleines, aber feines LineUp mit einer Mischung aus nationalen und internationalen, bereits bekannten und noch nicht so bekannten Bands und Solokünstlern zusammen. Und dabei bedienten sie sich nicht nur aus dem eigenen “Tapete-Repertoire”.
Die unaufgeregte Stimmung an einem Samstagabend in einer Kleinstadt strahlte sich auch auf die Musiker aus. Das Berliner Duo Jack Beauregard durfte in der St. Wilhadi Kirche aufspielen und wirkte dabei gut gelaunt wie zwei frech-verschmitzte Schuljungs. Mit Aussagen wie “Ihr seid ein schönes Publikum, Stade, schöner als in Berlin”, konnten sie ihr Publikum schnell um den Finger wickeln. Anders als auf den Studioaufnahmen, bei denen sie gerne elektronische Beats unterlegen, spielten sie die Songs in ruhigeren Versionen, passend zum Ambiente.
Doch lockerten Pär Lammers und Daniel Schaub die allzu andächtige Stimmung, schließlich saß man ja als Zuschauer auch auf Kirchenbänken, in den Liedpausen immer wieder durch ihre Kommentare auf, was einen selbst die kleinen Text- und Ton-Unsicherheiten vergessen ließ. Doch zum Ende des kurzweiligen Sets verließ die Hälfte des Publikums auf einmal das Schiff. Denn auf der Bühne des Königmarckssaals sollte schon bald Kristofer Aström loslegen.
Dem Schweden schien es auch nicht geheuer zu sein, warum ihm nun ausgerechnet in Stade so viele Menschen zuhören wollen. In dem mit opulenten Kronleuchtern behangenen Saal wirkte der immer etwas schüchterne, zierliche Singer/Songwriter Aström optisch ein wenig verloren, aber akustisch beeindruckend. Und er bewies, dass er nun mal am besten ist, wenn er seine Lieder in dieser reduzierten Form, mit nur ein oder zwei Gitarren untermalt vortragen kann. Als wunderbare Unterstützung erweist sich sein musikalischer Kompagnon Flamman, der ihn bei einigen Stücken begleitete. Aber, auch bei ihm strömten auf einmal zahlreiche Menschen aus dem Saal, weil es sie weiter zu Tim Neuhaus oder Pohlmann zieht. Eine eigentlich unschöne, aber wohl unvermeidliche Nebenwirkung bei dieser Art von Festival, bei dem sich die Programmpunkte überschneiden.
Es müsste aber theoretisch jeder Zeit gefunden haben, um einmal bei Kolkhorst vorbeizuschauen. Sein auf drei Stunden angelegtes Set war ursprünglich im historischen alten Holzkran vorgesehen. Doch aufgrund der kühlen Temperaturen und der schlechten Isolierung des historischen Gebäudes musste er kurzfristig in die kleine Weinbar gegenüber umziehen. “Schöne Mütze, schöne Brille, kommt rein!” wurde man freundlich von ihm begrüßt.
In der engen kuscheligen Bar mit ca. 15 anderen Besuchern konnte man ihm jedoch nur auf eine Bierlänge zuhören, bevor man sich wieder durch die glatten, verschneiten Straßen zur Seminarturnhalle aufmachen musste, um noch gute Plätze für “Die Höchste Eisenbahn” sicher zu haben. “Wir hatten nie gedacht, dass eine Turnhalle ein Ort der Freude sein kann!“ lautete Francesco Wilkings passender Kommentar zum Spielort.
Der Raum füllte sich zusehends und die Band musste gegen eine murmelnde Menge anspielen, was sie auch tapfer taten. Unter den aufmerksamen Zuhörern dürften sie den einen oder anderen neuen Fan hinzugewonnen haben. “Komm doch mit, in die Stadt … wenn du jetzt noch magst”, singt Moritz Krämer in “Raus aufs Land”. Das mag man eigentlich noch nicht, aber um die letzte Eisenbahn in die große Hansestadt zu erwischen, musste man sich bereits kurz nach Ende dieses Konzerts schon auf den Weg machen.
Auf dem Weg zum Stader Bahnhof konnte man noch die durchdringende Stimme von Cäthe durch die Kirchenmauern der Wilhadi-Kirche hören, doch es bleibt keine Zeit mehr, um dort noch einmal reinzuschauen. Die letzten Eindrücke und Töne dieses Konzertabends hallten noch nach, bis einen spätestens am Harburger Bahnhof wieder das typische wuselige S‑Bahn Flair eines Samstagabend in der Großstadt wieder einfing.
Im nächsten Jahr blühen bestimmt schon die Blumen.
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