Wie wird man erwachsen? Und wann ist ein Mann ein Mann? Bildungsbürgersohn Ben (Samuel Schneider) hat so seine eigene To-Do-Liste im Kopf. Die feste Zahnspange muss weg, ein Mädchen muss her, und Papa kann dabei nicht mehr mitreden. Schließlich hat der selbstverliebte Theatermacher Heinrich (Ulrich Tukur) sich auch in den vergangenen 17 Jahren reichlich wenig um seinen Sohn gekümmert. Stattdessen hat er mittlerweile eine Zweitfamilie gegründet und umgibt sich nebenbei auch noch gerne mit jungen Schauspiel-Groupies.
Ausgerechnet auf einer Theater-Tour durch Marokko sollen sich Vater und Sohn nun wieder näher kommen, ein einigermaßen aussichtsloses Unterfangen. Ben kann mit Papas “Klassikerscheiße” nämlich genau so wenig anfangen wie Heinrich mit Bens Abenteuerlust, die ihn schon bald dem klimatisierten Luxus einer orientalischen Fünf-Sterne-Herberge überdrüssig werden lässt. Und dann ist da auch noch Mama (Marie-Lou Sellem), angesehene Orchestermusikerin, die sich täglich am per Handy nach den Insulinwerten des diabeteskranken Sohnes erkundigt.
Kein Wunder, dass Teenager Ben irgendwann auch diese permanente Funk-Nabelschnur kappt und sich aufmacht ins Herz der Finsternis, auf die Suche nach Wüste und Wahrhaftigkeit. Ganz wie die Beat-Poeten der Fünfziger Jahre, deren Romane Theatermann Heinrich lieber gepflegt am Hotelpool liest, statt ihren Spuren zu folgen (“Ach, Marokko, das ist auch nicht mehr das, was es mal war.”).
Das mit der Zahnspange und mit dem Mädchen kommt unterwegs schon ganz von selbst: Für Sex im Schuppen ihrer Großmutter sorgt die junge Prostituierte Karima (Hafsia Herzi), für drahtlose Zähne ein Dorfbarbier irgendwo in den marokkanischen Bergen. Nur das mit der großen Freiheit ist schwierig in einer Welt, in der Handymasten noch im entlegensten Gebirgstal stehen und selbst die Wüste zu einem Sandkasten für Funsportler geworden ist.
In einer seltsam ambivalenten Szene sieht man Ben jubelnd auf Leih-Skiern einen Hügel hinunter surfen – Verleih-Equipment, auf dem Weg in die Wüste an jeder Ecke zu bekommen wie Berberteppiche und Kamelritte. Die Zivilisation steht eben überall im Weg, unberührte Flecken gibt es nicht mal mehr in der nordafrikanischen Provinz. Und alle waren schon mal da, von Paul Bowles bis Bernardo Bertolucci, dessen Filmteam hier vor 23 Jahren den “Himmel über der Wüste” drehte.
Das ist alles schnittig konstruiert, fraglos gut gespielt, und in Bilder verpackt, die allesamt nicht so aussehen, als stammten sie aus dem Fundus des marokkanischen Tourismusbüros. Sondern ihre Sinnlichkeit gerade aus dem Kontrast von Hinterhof-Tristesse und Wüstenromantik beziehen. Leider bietet die Vater-Sohn-Geschichte dann aber trotzdem ungefähr so viele Überraschungen wie der Kantinenplan eines Versicherungskonzerns.
Denn so, wie sich die Charaktere im Verlauf der ersten Filmhälfte entfalten – der lebenssatte Vater hier, der lebenshungrige Sohn dort – ist das weder originell noch zeitgemäß.
Dabei fängt eigentlich alles ganz vielversprechend an: Ben ist von Haus aus nämlich eigentlich nicht der jugendliche Rebell, sondern Mitglied einer blasierten Nobelinternats-Clique. Selbst der Internatsleiter Dr. Breuer (in einer Gastrolle: Josef Bierbichler) wundert sich über Bens postpubertäres Phlegma: “Menschen, die sich für nichts interessieren, sind langweilig! Erleb doch mal was!”
Und Heinrich ist im Gegenzug kein dominanter und kalter Über-Vater, sondern eher der typische Berufsjugendliche aus dem Kulturbetrieb, mit dem man durchaus auch mal was kiffen könnte (“Ist aber nicht so meine Droge”). Das wäre doch eigentlich der Stoff, aus dem Vater-Sohn-Konflikte im Jahr 2013 sind: Generation 50 Plus, geprägt von den Ausläufern der 68er-Generation, immer auf der Suche nach Neuem und auf der Flucht vor zu viel Verantwortung, versus Generation Kuschel auf der Suche nach Liebe und Sicherheit. Tatsächlich singt Ben am ersten Abend lieber ein Schlaflied für seine käufliche Disco-Bekanntschaft Karima, statt ihr an die Wäsche zu gehen. Das ist immerhin mal was anderes.
Aber bald schon wird die Rollenverteilung ermüdend konventionell: ein Duell zwischen dem Kunst-Elfenbeinturm und dem wahren Leben, das selbstverständlich Eins zu Null für das wahre Leben endet. Und an zu vielen Stellen legt Ben dabei für einen 17jährigen eine unglaubwürdige Weltgewandtheit an den Tag, die man ihm einfach nicht abnimmt. Etwa, wenn der Vater ihm auf der Wüstenpiste – Achtung, Symbolik! — das Steuer des Jeeps überlässt und Ben einfach drauf losfährt, als hätte er nie etwas anderes getan. Statt wenigstens ein Mal spektakulär den Motor abzuwürgen.
Das letzte Drittel des Films – vom allzu süßlichen Ende abgesehen – versöhnt dann doch ein wenig. Denn als Vater und Sohn in der Zielgeraden des Roadmovies vereint sind, wird es abenteuerlich und intensiv. Nicht nur, weil die Geschichte unvermeidlich auf eine lebensgefährliche Situation nebst gegenseitiger Rettung zusteuert – warum sonst hätte Ben sonst vorher in fast jeder Szene mit seinem Insulin-Pen herumgefummelt? – sondern weil auf einmal das Innenleben der beiden so bloß liegt.
Das haben Tukur und Schneider nämlich wirklich drauf, dieses unsentimentale, leicht kraftmeierische Herumgemänner zwischen Vater und Sohn. Die zarten Momente, in denen sich die beiden dann doch noch einmal annähern, bevor Ben die Kindheit endgültig hinter sich lässt. Die Augenblicke von Ehrlichkeit und Eingeständnis, väterlicher Hundeblick und kindliche Verletzlichkeit. Allerdings: Eigentlich hat Caroline Link es auch drauf, intensive, originelle Geschichten von Anfang bis Ende zu erzählen. Und das hat sie schon mal besser gemacht.
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