Zur Erinnerung

Kein Kommentar.

KantWasIstAufklärung
Ver­stan­den? (Bild: Wiki­me­dia Commons)

AUFKLÄRUNG ist der Aus­gang des Men­schen aus sei­ner selbst­ver­schul­de­ten Unmün­dig­keit. Unmün­dig­keit ist das Unver­mö­gen, sich sei­nes Ver­stan­des ohne Lei­tung eines ande­ren zu bedie­nen. Selbst­ver­schul­det ist die­se Unmün­dig­keit, wenn die Ursa­che der­sel­ben nicht am Man­gel des Ver­stan­des, son­dern der Ent­schlie­ßung und des Mutes liegt, sich sei­ner ohne Lei­tung eines andern zu bedie­nen. Sape­re aude! Habe Mut, dich dei­nes eige­nen­Ver­stan­des zu bedie­nen! ist also der Wahl­spruch der Aufklärung.

Faul­heit und Feig­heit sind die Ursa­chen, war­um ein so gro­ßer Teil der Men­schen, nach­dem sie die Natur längst von frem­der Lei­tung frei­ge­spro­chen [A482] (natu­ra­li­ter maio­ren­nes), den­noch ger­ne zeit­le­bens unmün­dig blei­ben; und war­um es ande­ren so leicht wird, sich zu deren Vor­mün­dern auf­zu­wer­fen. Es ist so bequem, unmün­dig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Ver­stand hat, einen Seel­sor­ger, der für mich Gewis­sen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beur­teilt usw., so brau­che ich mich ja nicht selbst zu bemü­hen. Ich habe nicht nötig zu den­ken, wenn ich nur bezah­len kann; ande­re wer­den das ver­drieß­li­che Geschäft schon für mich über­neh­men. Daß der bei wei­tem größ­te Teil der Men­schen (dar­un­ter das gan­ze schö­ne Geschlecht) den Schritt zur Mün­dig­keit, außer dem daß er beschwer­lich ist, auch für sehr gefähr­lich hal­te, dafür sor­gen schon jene Vor­mün­der, die die Ober­auf­sicht über sie gütigst auf sich genom­men haben. Nach­dem sie ihr Haus­vieh zuerst dumm gemacht haben und sorg­fäl­tig ver­hü­te­ten, daß die­se ruhi­gen Geschöp­fe ja kei­nen Schritt außer dem Gän­gel­wa­gen, dar­in sie sie ein­sper­re­ten, wagen durf­ten, so zei­gen sie ihnen nach­her die Gefahr, die ihnen dro­het, wenn sie es ver­su­chen, allein zu gehen. Nun ist die­se Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie wür­den durch eini­ge­mal Fal­len wohl end­lich gehen ler­nen; allein ein Bei­spiel von der Art macht doch schüch­tern und schreckt gemei­nig­lich von allen fer­ne­ren Ver­su­chen ab.

Es ist also für jeden ein­zel­nen Men­schen schwer, sich aus der ihm bei­na­he zur Natur gewor­de­nen Unmün­dig­keit [A483] her­aus­zu­ar­bei­ten. Er hat sie sogar lieb­ge­won­nen und ist vor­der­hand wirk­lich unfä­hig, sich sei­nes eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen, weil man ihn nie­mals den Ver­such davon machen ließ. Sat­zun­gen und For­meln, die­se mecha­ni­schen Werk­zeu­ge eines ver­nünf­ti­gen Gebrauchs oder viel­mehr Miß­brauchs sei­ner Natur­ga­ben, sind die Fuß­schel­len einer immer­wäh­ren­den Unmün­dig­keit. Wer sie auch abwür­fe, wür­de den­noch auch über den schmal­es­ten Gra­ben einen nur unsi­che­ren Sprung tun, weil er zu der­glei­chen frei­er Bewe­gung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur weni­ge, denen es gelun­gen ist, durch eige­ne Bear­bei­tung ihres Geis­tes sich aus der Unmün­dig­keit her­aus­zu­wi­ckeln und den­noch einen siche­ren Gang zu tun.

Daß aber ein Publi­kum sich selbst auf­klä­re, ist eher mög­lich; ja es ist, wenn man ihm nur Frei­heit läßt, bei­na­he unaus­bleib­lich. Denn da wer­den sich immer eini­ge Selbst­den­ken­de, sogar unter den ein­ge­setz­ten Vor­mün­dern des gro­ßen Hau­fens fin­den, wel­che, nach­dem sie das Joch der Unmün­dig­keit selbst abge­wor­fen haben, den Geist einer ver­nünf­ti­gen Schät­zung des eige­nen Werts und des Berufs jedes Men­schen, selbst zu den­ken, um sich ver­brei­ten wer­den. Beson­ders ist hie­bei: daß das Publi­kum, wel­ches zuvor von ihnen unter die­ses Joch gebracht wor­den, sie her­nach selbst zwingt, dar­un­ter zu blei­ben, wenn es von eini­gen sei­ner Vor­mün­der, die selbst aller Auf­klä­rung unfä­hig sind, dazu auf­ge­wie­gelt [A484] wor­den; so schäd­lich ist es, Vor­ur­tei­le zu pflan­zen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vor­gän­ger ihre Urhe­ber gewe­sen sind. Daher kann ein Publi­kum nur lang­sam zur Auf­klä­rung gelan­gen. Durch eine Revo­lu­ti­on wird viel­leicht wohl ein Abfall von per­sön­li­chem Des­po­tism und gewinn­süch­ti­ger oder herrsch­süch­ti­ger Bedrü­ckung, aber nie­mals wah­re Reform der Den­kungs­art zustan­de kom­men; son­dern neue Vor­ur­tei­le wer­den, eben­so­wohl als die alten, zum Leit­ban­de des gedan­ken­lo­sen gro­ßen Hau­fens dienen.

Zu die­ser Auf­klä­rung aber wird nichts erfor­dert als Frei­heit; und zwar die unschäd­lichs­te unter allem, was nur Frei­heit hei­ßen mag, näm­lich die: von sei­ner Ver­nunft in allen Stü­cken öffent­li­chen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Sei­ten rufen: Räson­niert nicht! Der Offi­zier sagt: Räson­niert nicht, son­dern exer­ziert! Der Finanz­rat: Räson­niert nicht, son­dern bezahlt! Der Geist­li­che: Räson­niert nicht, son­dern glaubt! (Nur ein ein­zi­ger Herr in der Welt sagt: Räson­niert, soviel ihr wollt und wor­über ihr wollt, aber gehorcht!) Hier ist über­all Ein­schrän­kung der Frei­heit. Wel­che Ein­schrän­kung aber ist der Auf­klä­rung hin­der­lich, wel­che nicht, son­dern ihr wohl gar beför­der­lich? – Ich ant­wor­te: Der öffent­li­che Gebrauch sei­ner Ver­nunft muß jeder­zeit frei sein, und der allein kann Auf­klä­rung unter Men­schen zustan­de [A485] brin­gen; der Pri­vat­ge­brauch der­sel­ben aber darf öfters sehr enge ein­ge­schränkt sein, ohne doch dar­um den Fort­schritt der Auf­klä­rung son­der­lich zu hin­dern. Ich ver­ste­he aber unter dem öffent­li­chen Gebrau­che sei­ner eige­nen Ver­nunft den­je­ni­gen, den jemand als Gelehr­ter von ihr vor dem gan­zen Publi­kum der Leser­welt macht. Den Pri­vat­ge­brauch nen­ne ich den­je­ni­gen, den er in einem gewis­sen ihm anver­trau­ten bür­ger­li­chen Pos­ten oder Amte von sei­ner Ver­nunft machen darf. Nun ist zu man­chen Geschäf­ten, die in das Inter­es­se des gemei­nen Wesens lau­fen, ein gewis­ser Mecha­nism not­wen­dig, ver­mit­telst des­sen eini­ge Glie­der des gemei­nen Wesens sich bloß pas­siv ver­hal­ten müs­sen, um durch eine künst­li­che Ein­hel­lig­keit von der Regie­rung zu öffent­li­chen Zwe­cken gerich­tet oder wenigs­tens von der Zer­stö­rung die­ser Zwe­cke abge­hal­ten zu wer­den. Hier ist es nun frei­lich nicht erlaubt zu räson­nie­ren; son­dern man muß gehor­chen. Sofern sich aber die­ser Teil der Maschi­ne zugleich als Glied eines gan­zen gemei­nen Wesens, ja sogar der Welt­bür­ger­ge­sell­schaft ansieht, mit­hin in der Qua­li­tät eines Gelehr­ten, der sich an ein Publi­kum im eigent­li­chen Ver­stan­de durch Schrif­ten wen­det, kann er aller­dings räson­nie­ren, ohne daß dadurch die Geschäf­te lei­den, zu denen er zum Tei­le als pas­si­ves Glied ange­setzt ist. So wür­de es sehr ver­derb­lich sein, wenn ein Offi­zier, dem von sei­nen Obe­ren etwas anbe­foh­len wird, im Diens­te [A486] über die Zweck­mä­ßig­keit oder Nütz­lich­keit die­ses Befehls laut ver­nünf­teln woll­te; er muß gehor­chen. Es kann ihm aber bil­li­ger­ma­ßen nicht ver­wehrt wer­den, als Gelehr­ter über die Feh­ler im Krie­ges­diens­te Anmer­kun­gen zu machen und die­se sei­nem Publi­kum zur Beur­tei­lung vor­zu­le­gen. Der Bür­ger kann sich nicht wei­gern, die ihm auf­er­leg­ten Abga­ben zu leis­ten; sogar kann ein vor­wit­zi­ger Tadel sol­cher Auf­la­gen, wenn sie von ihm geleis­tet wer­den sol­len, als ein Skan­dal, (das all­ge­mei­ne Wider­setz­lich­kei­ten ver­an­las­sen könn­te), bestraft wer­den. Eben­der­sel­be han­delt demohn­ge­ach­tet der Pflicht eines Bür­gers nicht ent­ge­gen, wenn er als Gelehr­ter wider die Unschick­lich­keit oder auch Unge­rech­tig­keit sol­cher Aus­schrei­bun­gen öffent­lich sei­ne Gedan­ken äußert. Eben­so ist ein Geist­li­cher ver­bun­den, sei­nen Kate­chis­mus­schü­lern und sei­ner Gemei­ne nach dem Sym­bol der Kir­che, der er dient, sei­nen Vor­trag zu tun, denn er ist auf die­se Bedin­gung ange­nom­men wor­den. Aber als Gelehr­ter hat er vol­le Frei­heit, ja sogar den Beruf dazu, alle sei­ne sorg­fäl­tig geprüf­ten und wohl­mei­nen­den Gedan­ken über das Feh­ler­haf­te in jenem Sym­bol und Vor­schlä­ge wegen bes­se­rer Ein­rich­tung des Reli­gi­ons- und Kir­chen­we­sens dem Publi­kum mit­zu­tei­len. Es ist hie­bei auch nichts, was dem Gewis­sen zur Last gelegt wer­den könn­te. Denn was er zufol­ge sei­nes Amts als Geschäft­trä­ger der Kir­che lehrt, das stellt er als etwas vor, in Anse­hung [A487] des­sen er nicht freie Gewalt hat, nach eige­nem Gut­dün­ken zu leh­ren, son­dern das er nach Vor­schrift und im Namen eines andern vor­zu­tra­gen ange­stellt ist. Er wird sagen: unse­re Kir­che lehrt die­ses oder jenes; das sind die Beweis­grün­de, deren sie sich bedient. Er zieht als­dann allen prak­ti­schen Nut­zen für sei­ne Gemein­de aus Sat­zun­gen, die er selbst nicht mit vol­ler Über­zeu­gung unter­schrei­ben wür­de, zu deren Vor­trag er sich gleich­wohl anhei­schig machen kann, weil es doch nicht ganz unmög­lich ist, daß dar­in Wahr­heit ver­bor­gen läge, auf alle Fäl­le aber wenigs­tens doch nichts der innern Reli­gi­on Wider­spre­chen­des dar­in ange­trof­fen wird. Denn glaub­te er das letz­te­re dar­in zu fin­den, so wür­de er sein Amt mit Gewis­sen nicht ver­wal­ten kön­nen; er müß­te es nie­der­le­gen. Der Gebrauch also, den ein ange­stell­ter Leh­rer von sei­ner Ver­nunft vor sei­ner Gemein­de macht, ist bloß ein Pri­vat­ge­brauch, weil die­se immer nur eine häus­li­che, obzwar noch so gro­ße Ver­samm­lung ist; und in Anse­hung des­sen ist er als Pries­ter nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen frem­den Auf­trag aus­rich­tet. Dage­gen als Gelehr­ter, der durch Schrif­ten zum eigent­li­chen Publi­kum, näm­lich der Welt spricht, mit­hin der Geist­li­che im öffent­li­chen Gebrau­che sei­ner Ver­nunft, genießt einer unein­ge­schränk­ten Frei­heit, sich sei­ner eige­nen Ver­nunft zu bedie­nen und in sei­ner eige­nen Per­son zu spre­chen. Denn daß die Vor­mün­der des Volks [A488] (in geist­li­chen Din­gen) selbst wie­der unmün­dig sein sol­len, ist eine Unge­reimt­heit, die auf Ver­ewi­gung der Unge­reimt­hei­ten hinausläuft.

Aber soll­te nicht eine Gesell­schaft von Geist­li­chen, etwa eine Kir­chen­ver­samm­lung oder eine ehr­wür­di­ge Clas­sis (wie sie sich unter den Hol­län­dern selbst nennt), berech­tigt sein, sich eid­lich auf ein gewis­ses unver­än­der­li­ches Sym­bol zu ver­pflich­ten, um so eine unauf­hör­li­che Ober­vor­mund­schaft über jedes ihrer Glie­der und ver­mit­telst ihrer über das Volk zu füh­ren und die­se so gar zu ver­ewi­gen? Ich sage: das ist ganz unmög­lich. Ein sol­cher Kon­trakt, der auf immer alle wei­te­re Auf­klä­rung vom Men­schen­ge­schlech­te abzu­hal­ten geschlos­sen wür­de, ist schlech­ter­dings null und nich­tig; und soll­te er auch durch die obers­te Gewalt, durch Reichs­ta­ge und die fei­er­lichs­ten Frie­dens­schlüs­se bestä­tigt sein. Ein Zeit­al­ter kann sich nicht ver­bün­den und dar­auf ver­schwö­ren, das fol­gen­de in einen Zustand zu set­zen, dar­in es ihm unmög­lich wer­den muß, sei­ne (vor­nehm­lich so sehr ange­le­gent­li­che) Erkennt­nis­se zu erwei­tern, von Irr­tü­mern zu rei­ni­gen und über­haupt in der Auf­klä­rung wei­ter­zu­schrei­ten. Das wäre ein Ver­bre­chen wider die mensch­li­che Natur, deren ursprüng­li­che Bestim­mung gera­de in die­sem Fort­schrei­ten besteht; und die Nach­kom­men sind also voll­kom­men dazu berech­tigt, jene Beschlüs­se, als unbe­fug­ter und fre­vel­haf­ter Wei­se genom­men, zu ver­wer­fen. Der Pro­bier­stein [A489] alles des­sen, was über ein Volk als Gesetz beschlos­sen wer­den kann, liegt in der Fra­ge: ob ein Volk sich selbst wohl ein sol­ches Gesetz auf­er­le­gen könn­te? Nun wäre die­ses wohl, gleich­sam in der Erwar­tung eines bes­sern, auf eine bestimm­te kur­ze Zeit mög­lich, um eine gewis­se Ord­nung ein­zu­füh­ren: indem man es zugleich jedem der Bür­ger, vor­nehm­lich dem Geist­li­chen, frei lie­ße, in der Qua­li­tät eines Gelehr­ten öffent­lich, d. i. durch Schrif­ten, über das Feh­ler­haf­te der der­ma­li­gen Ein­rich­tung sei­ne Anmer­kun­gen zu machen, indes­sen die ein­ge­führ­te Ord­nung noch immer fort­dau­er­te, bis die Ein­sicht in die Beschaf­fen­heit die­ser Sachen öffent­lich so weit gekom­men und bewäh­ret wor­den, daß sie durch Ver­ei­ni­gung ihrer Stim­men (wenn­gleich nicht aller) einen Vor­schlag vor den Thron brin­gen könn­te, um die­je­ni­gen Gemein­den in Schutz zu neh­men, die sich etwa nach ihren Begrif­fen der bes­se­ren Ein­sicht zu einer ver­än­der­ten Reli­gi­ons­ein­rich­tung geei­nigt hät­ten, ohne doch die­je­ni­gen zu hin­dern, die es beim alten woll­ten bewen­den las­sen. Aber auf eine beharr­li­che, von nie­man­den öffent­lich zu bezwei­feln­de Reli­gi­ons­ver­fas­sung auch nur bin­nen der Lebens­dau­er eines Men­schen sich zu eini­gen, und dadurch einen Zeit­raum in dem Fort­gan­ge der Mensch­heit zur Ver­bes­se­rung gleich­sam zu ver­nich­ten und frucht­los, dadurch aber wohl gar der Nach­kom­men­schaft nach­tei­lig zu machen ist schlech­ter­dings uner­laubt. Ein Mensch kann zwar für sei­ne Per­son [A490] und auch als­dann nur auf eini­ge Zeit in dem, was ihm zu wis­sen obliegt, die Auf­klä­rung auf­schie­ben; aber auf sie Ver­zicht zu tun, es sei für sei­ne Per­son, mehr aber noch für die Nach­kom­men­schaft, heißt die hei­li­gen Rech­te der Mensch­heit ver­let­zen und mit Füßen tre­ten. Was aber nicht ein­mal ein Volk über sich selbst beschlie­ßen darf, das darf noch weni­ger ein Mon­arch über das Volk beschlie­ßen; denn sein gesetz­ge­ben­des Anse­hen beruht eben dar­auf, daß er den gesam­ten Volks­wil­len in dem sei­ni­gen ver­ei­nigt. Wenn er nur dar­auf sieht, daß alle wah­re oder ver­mein­te Ver­bes­se­rung mit der bür­ger­li­chen Ord­nung zusam­men­be­stehe, so kann er sei­ne Unter­ta­nen übri­gens nur selbst machen las­sen, was sie um ihres See­len­heils wil­len zu tun nötig fin­den; das geht ihn nichts an, wohl aber zu ver­hü­ten, daß nicht einer den andern gewalt­tä­tig hin­de­re, an der Bestim­mung und Beför­de­rung des­sel­ben nach allem sei­nen Ver­mö­gen zu arbei­ten. Es tut selbst sei­ner Majes­tät Abbruch, wenn er sich hier­in mischt, indem er die Schrif­ten, wodurch sei­ne Unter­ta­nen ihre Ein­sich­ten ins rei­ne zu brin­gen suchen, sei­ner Regie­rungs­auf­sicht wür­digt, sowohl wenn er die­ses aus eige­ner höchs­ten Ein­sicht tut, wo er sich dem Vor­wur­fe aus­setzt: Cae­sar non est supra gram­ma­ti­cos, als auch und noch weit mehr, wenn er sei­ne obers­te Gewalt soweit ernied­rigt, den geist­li­chen Des­po­tism eini­ger Tyran­nen [A491] in sei­nem Staa­te gegen sei­ne übri­gen Unter­ta­nen zu unterstützen.

Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem auf­ge­klär­ten Zeit­al­ter? so ist die Ant­wort: Nein, aber wohl in einem Zeit­al­ter der Auf­klä­rung. Daß die Men­schen, wie die Sachen jetzt ste­hen, im gan­zen genom­men, schon imstan­de wären oder dar­in auch nur gesetzt wer­den könn­ten, in Reli­gi­ons­din­gen sich ihres eige­nen Ver­stan­des ohne Lei­tung eines andern sicher und gut zu bedie­nen, dar­an fehlt noch sehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöff­net wird, sich dahin frei zu bear­bei­ten und die Hin­der­nis­se der all­ge­mei­nen Auf­klä­rung oder des Aus­gan­ges aus ihrer selbst­ver­schul­de­ten Unmün­dig­keit all­mäh­lich weni­ger wer­den, davon haben wir doch deut­li­che Anzei­gen. In die­sem Betracht ist die­ses Zeit­al­ter das Zeit­al­ter der Auf­klä­rung oder das Jahr­hun­dert FRIEDERICHS.

Ein Fürst, der es sei­ner nicht unwür­dig fin­det zu sagen, daß er es für Pflicht hal­te, in Reli­gi­ons­din­gen den Men­schen nichts vor­zu­schrei­ben, son­dern ihnen dar­in vol­le Frei­heit zu las­sen, der also selbst den hoch­mü­ti­gen Namen der Tole­ranz von sich ablehnt, ist selbst auf­ge­klärt und ver­dient von der dank­ba­ren Welt und Nach­welt als der­je­ni­ge geprie­sen zu wer­den, der zuerst das mensch­li­che Geschlecht der Unmün­dig­keit, wenigs­ten von sei­ten der Regie­rung, ent­schlug und jedem frei ließ, sich [A492] in allem, was Gewis­sens­an­ge­le­gen­heit ist, sei­ner eige­nen Ver­nunft zu bedie­nen. Unter ihm dür­fen ver­eh­rungs­wür­di­ge Geist­li­che, unbe­scha­det ihrer Amts­pflicht, ihre vom ange­nom­me­nen Sym­bol hier oder da abwei­chen­den Urtei­le und Ein­sich­ten in der Qua­li­tät der Gelehr­ten frei und öffent­lich der Welt zur Prü­fung dar­le­gen; noch mehr aber jeder ande­re, der durch kei­ne Amts­pflicht ein­ge­schränkt ist. Die­ser Geist der Frei­heit brei­tet sich auch außer­halb aus, selbst da, wo er mit äuße­ren Hin­der­nis­sen einer sich selbst miß­ver­ste­hen­den Regie­rung zu rin­gen hat. Denn es leuch­tet die­ser doch ein Bei­spiel vor, daß bei Frei­heit für die öffent­li­che Ruhe und Einig­keit des gemei­nen Wesens nicht das min­des­te zu besor­gen sei. Die Men­schen arbei­ten sich von selbst nach und nach aus der Rohig­keit her­aus, wenn man nur nicht absicht­lich küns­telt, um sie dar­in zu erhalten.

Ich habe den Haupt­punkt der Auf­klä­rung, d. i. des Aus­gan­ges der Men­schen aus ihrer selbst­ver­schul­de­ten Unmün­dig­keit, vor­züg­lich in Reli­gi­ons­sa­chen gesetzt, weil in Anse­hung der Küns­te und Wis­sen­schaf­ten unse­re Beherr­scher kein Inter­es­se haben, den Vor­mund über ihre Unter­ta­nen zu spie­len, über­dem auch jene Unmün­dig­keit, so wie die schäd­lichs­te, also auch die ent­eh­rends­te unter allen ist. Aber die Den­kungs­art eines Staats­ober­haupts, der die ers­te­re begüns­tigt, geht noch wei­ter und sieht ein: daß selbst in Anse­hung sei­ner Gesetz­ge­bung [A493] es ohne Gefahr sei, sei­nen Unter­ta­nen zu erlau­ben, von ihrer eige­nen Ver­nunft öffent­li­chen Gebrauch zu machen und ihre Gedan­ken über eine bes­se­re Abfas­sung der­sel­ben, sogar mit einer frei­mü­ti­gen Kri­tik der schon gege­be­nen, der Welt öffent­lich vor­zu­le­gen; davon wir ein glän­zen­des Bei­spiel haben, wodurch noch kein Mon­arch dem­je­ni­gen vor­ging, wel­chen wir verehren.

Aber auch nur der­je­ni­ge, der, selbst auf­ge­klärt, sich nicht vor Schat­ten fürch­tet, zugleich aber ein wohl­dis­zi­pli­nier­tes zahl­rei­ches Heer zum Bür­gen der öffent­li­chen Ruhe zur Hand hat, – kann das sagen, was ein Frei­staat nicht wagen darf: Räson­niert, soviel ihr wollt, und wor­über ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremd­li­cher, nicht erwar­te­ter Gang mensch­li­cher Din­ge; sowie auch sonst, wenn man ihn im gro­ßen betrach­tet, dar­in fast alles para­dox ist. Ein grö­ße­rer Grad bür­ger­li­cher Frei­heit scheint der Frei­heit des Geis­tes des Volks vor­teil­haft und setzt ihr doch unüber­steig­li­che Schran­ken; ein Grad weni­ger von jener ver­schafft hin­ge­gen die­sem Raum, sich nach allem sei­nen Ver­mö­gen aus­zu­brei­ten. Wenn denn die Natur unter die­ser har­ten Hül­le den Keim, für den sie am zärt­lichs­ten sorgt, näm­lich den Hang und Beruf zum frei­en Den­ken, aus­ge­wi­ckelt hat: so wirkt die­ser all­mäh­lich zurück auf die Sin­nes­art des Volks, (wodurch dies der Frei­heit zu han­deln [A494] nach und nach fähi­ger wird), und end­lich auch sogar auf die Grund­sät­ze der Regie­rung, die es ihr selbst zuträg­lich fin­det, den Men­schen, der nun mehr als Maschi­ne ist, sei­ner Wür­de gemäß zu behandeln.¹

Königs­berg in Preu­ßen, den 30. Sep­temb. 1784. I. Kant.

(Quel­le: http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*